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# taz.de -- Sicherheitspaket und die Härte der EU: Abschreckung, Abschiebung, …
> Die Ampel hat das Asylrecht verschärft, Konservativen und Rechten reicht
> das noch nicht. Auf europäischer Ebene schmieden sie neue Allianzen.
Bild: Abgeschirmt von der Öffentlichkeit werden abgewiesene Asylbewerber vom H…
Union und FDP wollen mehr – das stand in diesem oder ähnlichem Wortlaut in
den vergangenen Tagen über vielen Meldungen der Nachrichtenagenturen. Und
es fasst die etwas unübersichtliche Lage gut zusammen. Ganz korrekt müsste
es heißen: Sie wollen immer weniger – vom Asylrecht nämlich, das in der
vergangenen Woche weiter eingeschränkt wurde. Und zwar in Deutschland
genauso wie in der Europäischen Union.
[1][Als Reaktion auf das islamistische Attentat in Solingen im August]
standen am Freitag im Bundestag und Bundesrat Abstimmungen über das
sogenannte Sicherheitspaket der Ampel an. Mit 361 Stimmen, 54 weniger, als
die Ampelfraktionen haben, wurde der Teil zum Asylrecht im Bundestag
angenommen. Auch der Bundesrat [2][billigte diesen Teil des Pakets, lehnte
allerdings einen anderen zur Inneren Sicherheit ab].
Nun werden unter anderem Asylsuchenden, für die eigentlich ein anderer
EU-Staat zuständig wäre, die Leistungen weitestgehend gestrichen, von
wenigen Ausnahmen abgesehen. Die Landesflüchtlingsräte nannten dies im
Vorfeld der Abstimmungen „mit Sicherheit Verfassungsbruch“ und warnten vor
„Wohnungslosigkeit und Verelendung“ bei den Betroffenen.
Auch 35 SPD-Abgeordnete hatten in der vergangenen Woche öffentlich erklärt,
dass sie „den Kurs, der gerade in der SPD in der Migrations- und
Asylpolitik eingeschlagen wird, für falsch“ halten. Aber der Druck, den
Union und AfD aufgebaut hatten, schien zu groß für die Kanzlerpartei.
## Eigentlich sinken die Asylzahlen
Und die Konservativen wollen mehr. Das „Päckchen“, wie die Union das nun
beschlossene Ampelgesetz nannte, reicht ihr nicht. Unter anderem, weil ihr
darin Instrumente fehlen, um die Zurückweisung von Menschen an den
deutschen Grenzen ausweiten zu können. Das Sicherheitspaket sei „nicht die
richtige Antwort,“ sagte Unions-Fraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) am
Freitag im Parlament.
Dabei hatte erst in dieser Woche ein EU-Gericht Zurückweisungen aus
Deutschland als rechtswidrig eingestuft. Innenministerin Nancy Faeser
(SPD) ist selbst nicht gegen Zurückweisungen, will dafür aber das EU-Recht
ändern. Der Grüne Konstantin von Notz sagte im Bundestag, wer wie CDU/CSU
die „Binnengrenzen dichtmachen will, um pauschal zurückzuweisen, der
zerstört Vertrauen und Solidarität und der gefährdet Europa im Kern“.
Währenddessen gehen die Asylzahlen in Deutschland deutlich zurück.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte es schon am Donnerstag beim
EU-Migrationsgipfel in Brüssel einen „Erfolg“, dass die Zahl der
Asyl-Erstanträge in den vergangenen Monaten um „fast 50 Prozent“ gefallen
sei. Zwar lag der Rückgang von Juni bis September 2024 im Vergleich zum
Vorjahreszeitraum tatsächlich nur bei 30 Prozent, er ist gleichwohl
erheblich.
Dieser Trend reicht vielen aber nicht. [3][82 Prozent der Deutschen wollen
die Zuwanderung „einschränken]“, ergab kürzlich eine Umfrage der Zeit.
Angesichts der permanenten Rede von Migration als Problem verwundert das
kaum. Die Union hat diese Stimmungslage maßgeblich mitgeschaffen, in der es
nun nicht mehr scharf genug sein kann. Sie denkt schon lange vernehmlich
über eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl nach. Andere Konservative
und die extreme Rechte haben dasselbe im Sinn. Manfred Weber (CSU), Chef
der Europäischen Volkspartei, schmiedet eifrig ein dazu passendes
europäisches Bündnis.
## Asyl-Lager in Albanien sind illegal
All das führt zu der paradoxen Situation, dass nach rund zehnjährigen
Verhandlungen das noch nicht einmal in Kraft getretene Gemeinsame
Europäische Asylsystem (Geas) schon als Auslaufmodell dasteht. Zwar wurde
rund um den EU-Gipfel versichert, das Geas müsse „beschleunigt“ umgesetzt
werden. Tatsächlich aber will kaum jemand dessen Wirkung abwarten.
Stattdessen gibt es permanent neue Ideen, die weit über das Geas
hinausgehen.
Mit viel Brimborium wurden in der vergangenen Woche etwa die beiden ersten
Lager für Asylverfahren in Betrieb genommen, die Italien in Albanien
errichten ließ. Das Marineschiff „Libra“ legte am Mittwoch mit sechzehn
Migranten an Bord im Hafen Shëngjin an. Die zehn Männer aus Bangladesch und
sechs aus Ägypten waren auf ihrem Weg von Libyen nach Europa in
internationalen Gewässern aufgegriffen worden. Die Lager, in denen sie
jetzt interniert sind, sind die ersten überhaupt, in denen aus der EU
ausgelagerte Asylverfahren durchgeführt werden. Die Niederlande verhandeln
mit Uganda über ein ähnliches Modell.
[4][Am Freitag aber entschied ein Gericht in Rom, dass 12 der geflüchteten
Männer aus Albanien nach Italien gebracht werden müssen, damit dort über
ihre Asylanträge entschieden werden kann.]
Von der symbolträchtigen Lagereröffnung in Albanien offenbar inspiriert,
hatten Italien, Ungarn und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
(CDU) vor dem EU-Gipfel sogenannte return hubs, also Abschiebezentren, in
Afrika vorgeschlagen. „Wir sollten mögliche Wege zur Entwicklung von
Rückkehrzentren außerhalb der EU erkunden“, schrieb von der Leyen an die
EU-Regierungschefs.
## Keine Partner für Asyl-Deals
Es gebe „Bedarf, an pragmatischen Lösungen zu arbeiten“, sagte Italiens
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni dazu. Der griechische Ministerpräsident
Kyriakos Mitsotakis zeigte sich offen. „Wir müssen ausgetretene Pfade
verlassen“, meinte er. Kanzler Scholz hingegen blieb skeptisch. Konzepte,
die nur „wenige kleine Tropfen darstellen, wenn man die Zahlen anguckt“,
seien für große Länder wie Deutschland keine Lösung, sagte er mit Blick auf
das italienische Modell. Unklar blieb, ob die „Return Hubs“ – wie beim
italienischen Modell – auch Asylverfahrenslager sein sollen oder ob sie als
reine Internierungslager für jene gedacht sind, deren Antrag in der EU
abgelehnt wurde, die aber nicht direkt abgeschoben werden können.
Erst recht unklar ist, welches Land sich für solche Zentren hergeben würde.
Die EU versucht seit vielen Jahren Partner für ein solches Modell zu
gewinnen – mit Ausnahme Albaniens ohne Erfolg.
So schaffte es die Idee denn auch nicht ins formelle Abschlusspapier des
Gipfels. Darin findet sich lediglich die vage Formulierung, es „sollten
neue Wege zur Verhinderung und Bekämpfung der irregulären Migration in
Betracht gezogen werden“.
Der Trend weist in eine klare Richtung: Immer mehr Stimmen wollen mehr als
das mühsam verhandelte Geas. Auch wenn dessen Möglichkeiten noch gar nicht
ausgeschöpft sind. Polens Präsident Donald Tusk etwa hat angekündigt, das
Recht auf Asyl für Menschen an der Grenze zu Belarus „vorübergehend“
auszusetzen. Der Gesetzentwurf dafür soll in einigen Wochen vorliegen.
## CDU und CSU applaudierten Tusk
Über Belarus würden „paramilitärisch“ organisierte Menschen aus den Nahen
Osten nach Polen geschleust, sagte Tusk zur Begründung. Dabei sieht das
Geas schon Mechanismen für den Fall einer „Instrumentalisierung“ von
Migrant:innen durch feindliche Nachbarstaaten vor. Tusk aber machte
keine Anstalten, hiervon Gebrauch zu machen – lieber setzt er, wohl aus
parteipolitischen Gründen, das Asylrecht ganz aus.
CDU und CSU applaudierten Tusk umgehend dafür. Denn sie bereiten, mit Blick
auf ihre wahrscheinliche Regierungsübernahme 2025, vor, dass Asyl in der EU
selbst nur noch über freiwillige Kontingente möglich sein soll. Ihr neues
Grundsatzprogramm will den übrigen Flüchtlingsschutz in andere Teile der
Welt auslagern.
Die FDP beeilt sich schon heute zu versichern, dass sie dabei wäre. „Wir
müssen das derzeitige Momentum in Deutschland und Europa nutzen und einen
echten Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik erreichen“, sagt der
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.
18 Oct 2024
## LINKS
[1] /Migrationsdebatte-nach-Solingen/!6032582
[2] https://www.bundesrat.de/DE/plenum/bundesrat-kompakt/24/1048/42.html#top-42
[3] https://www.zeit.de/politik/2024-09/migration-debatte-bundestag-umfrage-nac…
[4] https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-10/italien-gericht-inhaftierung-mi…
## AUTOREN
Christian Jakob
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