# taz.de -- Auswirkungen des „Sicherheitspakets“: Mehr Sicherheit – durch… | |
> Als Teil eines Maßnahmenbündels sollen manche Dublin-Flüchtlinge keine | |
> Leistungen mehr bekommen. Das könnte dazu führen, dass sie obdachlos | |
> werden. | |
Bild: Menschenrechtsaktivisten vo Pro Asyl und Campact inszenierten am 16. Okto… | |
BERLIN taz | Experten aus Politik und Zivilgesellschaft erwarten eine | |
Zunahme von Obdachlosigkeit und Verelendung unter Flüchtlingen aufgrund des | |
am Freitag beschlossenen „Sicherheitspakets“. „Wir befürchten, dass | |
vorbeugende Leistungen verweigert werden. Das bedeutet ein hohes Risiko, | |
dass Dublin-Flüchtlinge obdachlos gemacht werden und trotzdem in Berlin | |
bleiben müssen, weil sie gar nicht zurückkönnen“, sagte Emily Barnickel vom | |
Flüchtlingsrat am Montag der taz. | |
Die Sorge treibt auch Jian Omar um, den flüchtlingspolitischen Sprecher der | |
Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Er zweifelt stark, dass das | |
Gesetzespaket in seiner aktuellen Form Berlin sicherer machen wird. | |
Betroffene Flüchtlinge würden [1][vermutlich in die Illegalität | |
untertauchen und irgendwie versuchen, sich über Wasser zu halten], auch mit | |
Schwarzarbeit. „Länder wie Bulgarien oder Ungarn, wo Flüchtlinge keinerlei | |
Leistungen bekommen und keine Perspektive haben, sind keine Option“, sagt | |
er. | |
Auch Sozialsenatorin Cancel Kiziltepe äußerte am Montag Bedenken. Mit der | |
Möglichkeit, Leistungen auf null zu senken, würden „viele Menschen in die | |
Illegalität getrieben. Der Sicherheit im Land werden wir damit wohl kaum | |
dienen.“ Ihr Sprecher, Stefan Strauß, ergänzt: „Der Leistungsausschluss | |
könnte daher auch schwerwiegende Konsequenzen für die Notfallsysteme der | |
Obdach- und Wohnungslosenhilfe und anderer niedrigschwelliger Angebote zur | |
Mindestversorgung haben.“ | |
Elif Eralp, flüchtlingspolische Sprecherin der Linksfraktion, teilt die | |
Kritik der Vorgenannten, und erklärt: „Ich erwarte vom Senat, dass alle | |
Spielräume im Gesetz für Humanität genutzt werden, damit Menschen in Berlin | |
nicht obdachlos und mittellos werden und sich die soziale Lage nicht noch | |
weiter verschärft.“ | |
## Verfahren in anderen EU-Ländern | |
Bundesrat und Bundesrat haben vergangenen Freitag verschiedene als | |
„Sicherheitspaket“ bezeichnete Gesetzesänderungen verabschiedet. Dazu | |
gehört die Streichung aller Sozialleistungen nach dem | |
Asylbewerberleistungsgesetz für Geflüchtete, für deren Verfahren ein | |
anderes EU-Land zuständig ist. Diesen Punkt hatte etwa [2][Pro Asyl bei der | |
Expertenanhörung vor einigen Wochen als menschenrechts- und | |
verfassungswidrig] bezeichnet. Die Ampel-Koalition hatte daraufhin | |
klargestellt, die Kürzung sollten ausschließlich Menschen betreffen, deren | |
Ausreise „rechtlich und tatsächlich“ möglich sein soll. Dies soll das | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) prüfen, das für Asylanträge | |
zuständig ist. | |
Wie viele Flüchtlinge die Neuerung betreffen wird, ist unklar. Das Bamf | |
erklärte auf taz-Anfrage, zum Stichtag 30. September 2024 seien in Berlin | |
7.806 Asylverfahren anhängig, davon seien 10,8 Prozent Dublin-Fälle; in | |
Brandenburg seien zum Stichtag 4.947 Asylverfahren anhängig, davon seien | |
8,5 Prozent Dublin-Fälle. Meistens sind dann Griechenland, Italien, | |
Bulgarien, Kroatien und Polen zuständig, wo Flüchtlinge zuerst in die EU | |
einreisen. | |
Das Problem: Für Flüchtlinge gibt es sehr gute Gründe, nicht in diesen | |
Ländern bleiben zu wollen und stattdessen nach Deutschland zu gehen. In | |
[3][Griechenland, Polen und Bulgarien etwa würden Asylbewerber in | |
gefängnisähnlichen Lagern] inhaftiert, erklärt Barnickel. „Wenn sie | |
entlassen werden, und ihr Asylantrag anerkannt wird, bekommen sie keinerlei | |
staatliche Leistungen oder Hilfen, können keine Arbeit finden“, sagt sie. | |
Zugleich, stellt Barnickel fest, würden die formal zuständigen EU-Länder | |
Flüchtlinge oft gar nicht zurücknehmen. Griechenland etwa nehme nur | |
Asylbewerber aus sieben Ländern zurück – Syrien als eines der | |
Hauptherkunftsländer zählt demnach nicht dazu. Auch Italien weigere sich | |
zumeist, „seine“ Asylbewerber zurückzunehmen. | |
## Prophylaktisches Einstellen von Leistungen | |
Das wiederum wirft die Frage auf, ob wirklich so viele Flüchtlinge | |
hierzulande von der Neuregelung betroffen sein werden. Schließlich soll nur | |
denjenigen die Leistungen gestrichen werden, deren zuständiges EU-Land sie | |
zurücknehmen will. Oder? „Ich befürchte, dass das Landesamt für | |
Flüchtlingsangelegenheiten prophylaktisch Leistungen einstellt“, sagt | |
Barnickel vom Flüchtlingsrat. Denn schon jetzt kürze das LAF „reihenweise | |
rechtswidrig Leistungen, wogegen mühsam und in Einzelfällen vorgegangen | |
werden muss, auf Kosten der Betroffenen und der Staatskassen“. Die Gangart | |
des Amts gegenüber Flüchtlingen werde seit einiger Zeit immer härter – die | |
neue Regelung werde diese Entwicklung beflügeln, schätzt Barnickel. | |
Omar betont dagegen, dass die neue Regelung [4][dem LAF mehr Arbeit und | |
Überlastung der Mitarbeiter bringen wird]. Anwälte von betroffenen | |
Flüchtlingen würden sicherlich gegen den Ausschluss von Leistungen klagen, | |
ein Vorgehen, das den LAF-Mitarbeitern schon jetzt immer wieder zusätzliche | |
Arbeit mache. Die Sozialverwaltung befürchtet ebenfalls, auf die | |
Leistungsbehörden kämen nun „erhebliche personelle und rechtliche | |
Herausforderungen zu“. | |
Auch das Bamf sei schon jetzt völlig überlastet, ergänzt Barnickel. Das Amt | |
verschicke derzeit Briefe an Asylbewerber, dass ihr Asylverfahren aufgrund | |
von Überlastung länger als sechs Monate dauern werde. „Das ganze Asylsystem | |
in Berlin funktioniert nicht, Behörden kooperieren nicht miteinander, | |
überall herrscht Chaos. Die Neuregelung wird dies noch schlimmer machen“, | |
ist Barnickel sicher. Das Bamf erklärte auf taz-Anfrage: „Die | |
verwaltungstechnischen Details und die Auswirkungen der Gesetzesänderungen | |
werden derzeit noch geprüft.“ | |
Wenn die Kritiker recht haben: Welchen Sinn hat das Ganze dann? Omar: | |
„Letztlich ist das Sicherheitspaket in dieser Form [5][eher Symbolpolitik | |
der Ampel], um der Bevölkerung zu signalisieren, man tue etwas nach dem | |
schrecklichen Anschlag von Solinngen.“ Wirkliche Verbesserungen könne es | |
aber nur durch eine echte Reform des Dublin-Systems geben, mit der die | |
faktische Benachteiligung der EU-Länder im Süden und Südosten beendet und | |
ein faires und solidarisches Aufnahmesystem für Flüchtlinge etabliert | |
würde. | |
Senatorin Kiziltepe: „Zum geplanten Sicherheitspaket muss man sagen: Thema | |
verfehlt. Im Kampf gegen islamistischen Terror kommen wir nicht voran, wenn | |
wir Menschen, die oftmals selbst vor genau diesem Terror fliehen mussten, | |
entrechten.“ | |
22 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Sicherheitspaket-der-Ampel/!6041119 | |
[2] /Sicherheitspaket-und-die-Haerte-der-EU/!6041120 | |
[3] /Sicherheitspaket-der-Ampel/!6042384 | |
[4] /Landesamt-fuer-Fluechtlingsangelegenheiten/!6040800 | |
[5] /Bundestag-beschliesst-Sicherheitspaket/!6043455 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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