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# taz.de -- Waffenlobby in der EU: Wie Rüstung nachhaltig werden soll
> Die EU erwägt, Rüstungsfirmen als nachhaltig zu klassifizieren.
> Recherchen von Taz und LobbyControl zeigen: Die Branche hat dafür
> lobbyiert.
Bild: Airbus, Entwickler des Eurofighters, lobbyierte in der EU fleißig mit
Immer mehr Menschen in Deutschland wollen ihr Geld nachhaltig anlegen. Sie
entscheiden sich für „grüne“ Fonds, sogenannte ESG-Fonds. ESG steht für
Umwelt (Environment), Soziales (Social) und gute Unternehmensführung
(Governance). Das sind die drei zentralen Nachhaltigkeitskriterien.
In diesen Fonds sollen Unternehmen enthalten sein, die besonders
ressourcenschonend arbeiten, die umweltfreundliche Produkte entwickeln und
sich sozial engagieren. Diese EU-Kriterien sind teilweise verwaschen. Zum
Beispiel finden auch die Energieunternehmen BP, Shell und Total – die
[1][bekannt sind für Öl- und Gasgeschäfte] – ihren Weg in nachhaltige
Fonds. Nicht enthalten sein dürfen Glücksspiel-, Tabak- und
Rüstungsunternehmen. Das liegt an dieser EU-Regel: Auch wenn ein
Unternehmen in einem der Nachhaltigkeitsbereiche sehr positiv bewertet ist,
muss es noch eine zweite Bedingung erfüllen: Es darf in den beiden anderen
Bereichen keinen Schaden anrichten.
Studien zeigen, dass die Nachfrage nach ESG-Fonds in den vergangenen Jahren
deutlich gestiegen ist. Laut dem Geschäftsbericht des Forums Nachhaltige
Geldanlagen sind 2024 knapp ein Achtel des verwalteten Fondsvermögen in
Deutschland in nachhaltigen Geldanlagen angelegt – 542 Milliarden Euro
insgesamt.
ESG-Fonds sind also ein Markt – einer, den sich offenbar auch diejenigen
Unternehmen zu erschließen versuchen, deren Image nicht zum Thema
Nachhaltigkeit passt: Rüstungsunternehmen. Dennoch will die EU
Rüstungsunternehmen in Zukunft als nachhaltig einstufen, und somit in
ESG-Fonds zulassen.
Massive Kampagne der Rüstungsindustrie
Recherchen von taz und Lobbycontrol zeigen, dass hinter diesem Vorhaben
eine massive Kampagne der Rüstungslobby steckt. Wir haben recherchiert, wie
oft sich Rüstungslobbyisten und EU-Politiker*innen getroffen haben. Wir
können zeigen, dass in der vergangene EU-Legislaturperiode nahezu keine
andere Branche so stark lobbyiert hat wie Rüstungsunternehmen. Und wir
können belegen, dass sich Forderungen der Rüstungslobby nahezu wortgleich
in wichtigen Strategiepapieren und Regularien der EU zu nachhaltiger
Finanzwirtschaft finden.
All das zeigt zweierlei: Lag der Fokus der EU-Kommission und deren
Vorsitzenden Ursula von der Leyen in der abgelaufenen Legistlaturperiode
noch auf der [2][ökologischen Transformation der EU, dem Green New Deal],
steht das just formierte Kommissionskabinett von der Leyen II nun ganz im
Zeichen der Wirtschaftsinteressen. Das geht womöglich zu Lasten der
Verbraucher*innen: Denn sollte die EU-Kommission tatsächlich
Rüstungsunternehmen als nachhaltig klassifizieren und somit in ESG-Fonds
zulassen, dürfte das nicht mehr dem entsprechen, was die meisten
Anleger*innen sich von diesen Fonds wünschen.
Die Umsetzung der Pariser Klimaziele von 2015 hat die EU-Politik in vielen
Bereichen durchdrungen. 2018 hat die EU einen Aktionsplan für ein
nachhaltiges Finanzwesen ins Leben gerufen. Der mündete in einer Verordnung
„über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im
Finanzdienstleistungssektor“. Diese Verordnung hat Transparenzpflichten und
Kriterien für Geldanlagen festgelegt, mit denen Greenwashing in der
Finanzwelt verhindert werden soll. Die EU will damit sowohl die
Verbraucher*innen als auch das Klima schützen. Als die Kommission 2022
Erdgas und Atomstrom als nachhaltig einstufte, gab es unter Umweltverbänden
einen Aufschrei. Auch aus der taz kam der „Greenwashing“-Vorwurf.
Bei anderen Branchen ist die EU-Kommission da bislang deutlich härter:
Tabak, Glücksspiel und Rüstung gelten bis heute nicht als nachhaltig und
sind für ESG-Fonds eigentlich Tabu – bis jetzt.
Treffen mit der Waffenlobby, nicht mit der Zivilgesellschaft
Im Mai 2024 beschloss die europäische Wertpapier- und
Marktaufsichtsbehörde, dass nur noch Rüstungsunternehmen, die
völkerrechtlich geächtete Waffen herstellen, aus sogenannten ESG-Fonds
auszuschließen sind. Firmen wie RollsRoyce – der zweitgrößte Hersteller von
militärischen Triebwerken, Airbus – die Firma, die an der Herstellung des
Eurofighter beteiligt ist, oder Leonardo – der Konzern, der mit über 15
Milliarden Euro Umsatz einer der größten Rüstungsproduzenten der Welt ist,
könnten damit nun plötzlich in nachhaltigen ESG-Fonds landen.
Wie kam es dazu?
Nach Recherchen der taz und LobbyControl gab es in den Jahren 2023 und 2024
insgesamt 44 Treffen zwischen Vertreter*innen der Rüstungsindustrie und
hohen Vertreter*innen der EU-Kommission zum Thema Verteidigung. Zu den
EU-Vertreter*innen gehörten Thierry Breton, der ehemalige EU-Kommissar für
Verteidigung, Josep Borrell, der hohe Vertreter der Außen- und
Sicherheitspolitik und [3][Margarethe Vestager, der Kommissarin für
Digitales]. Auffällig ist, dass die Kommission zu diesem Thema
ausschließlich die Rüstungsindustrie getroffen zu haben scheint. Zumindest
findet sich kein Treffen mit Vertreter*innen der Zivilgesellschaft zum
Thema Verteidigung.
Insgesamt haben sich Verteter*innen der Rüstungsindustrie und der
EU-Kommission seit der EU-Wahl 2019 356 Mal getroffen – also etwa einmal
pro Woche. Zum Vergleich: Zu dem Gesetz über digitale Dienste, dem Digital
Services Act, der Google und Facebook regulieren, Whistleblower*innen
schützen und Fakenews eindämmen soll, finden sich nur 298 Treffen im
gleichen Zeitraum. Die Rüstungsindustrie hat seit 2019 also intensiver
lobbyiert, als Vertreter*innen von Digitalkonzernen zu einer der
wichtigsten Gesetzgebungen der vergangenen Jahre.
Nicht immer, wenn sich Rüstungslobbyisten und EU-Politiker*innen getroffen
haben, dürfte es dabei um die Klassifizierung der Rüstungsindustrie als
nachhaltige Geldanlage gegangen sein. Zwischen Ende 2022 und Mitte 2024 gab
es sieben Treffen von Vertreter*innen der Konzerne Leonardo, Airbus,
Patria Oyi, Rolls Royce, der Rüstungslobbygruppe ASD – in der alle großen
europäischen Rüstungsunternehmen Mitglied sind – und der EU-Kommission, in
denen es offiziell um die EU-Taxonomie, „Sustainable Finance“ oder die
„Defense Industry Policy“ ging.
Worum es in diesen Treffen ging, daraus macht die Rüstungslobbygruppe ASD
keinen Hehl. Adrian Schmitz, Sprecher der ASD, sagt auf taz-Anfrage: „Wir
haben mit großer Besorgnis eine Tendenz beobachtet, die
Verteidigungsindustrie als „sozial schädlich“ zu betrachten.“ Die ASD ha…
also die Europäische Kommission und die Mitgesetzgeber aufgefordert, dafür
zu sorgen, dass die europäische Regulierung die Rüstungsindustrie als
nachhaltig qualifizieren solle.
Nach Recherchen von taz und Lobbycontrol traf sich Timo Pesonen, der Chef
der Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum der Europäischen
Kommission, am 29. März 2023 mit der ASD, um über die „Weiterverfolgung des
Zugangs zu Finanzmitteln für die Verteidigungsindustrie“ zu sprechen.
Pesonens Sprecherin antwortet dazu auf taz-Anfrage, die EU habe sich im
Herbst 2023 mit dem Finanzsektor, der Verteidigungsindustrie, den
Mitgliedstaaten und Thinktanks beraten, um über das Europäische
Verteidigungsprogramm (EDIP) zu sprechen.
Nach Recherchen der taz und LobbyControl fanden die Treffen zwischen
Rüstungsindustrie und EU allerdings weit vor diesen offiziellen Gesprächen
statt: Allein für das Frühjahr 2023 finden wir sechs Treffen zwischen
Vertreter*innen der Rüstungsindustrie und der EU-Kommission. Die
Rüstungsindustrie hatte demnach genug Zeit, ihre Anliegen in persönlichen
Gesprächen zu vermitteln. Die Zivilgesellschaft hatte dazu offenbar keine
Gelegenheit.
EU reformiert ihre Verteidigungsstrategie
Die Lobby-Treffen fallen in eine Zeit, in der die EU ihre
Verteidigungsstrategie grundlegend reformiert. Dabei entstehen Programme
mit den Namen EDIP, EDIRPA und ASAP. Sie sollen die technologische und
industrielle Grundlage der europäischen Verteidigungspolitik bilden, die
gemeinsame Beschaffung von Kriegsgütern vereinfachen und die Produktion von
Munition ankurbeln. Eine Neubewertung der europäischen Rüstungsunternehmen
passt da gut ins Bild.
Einer der wichtigsten Player der Rüstungsbranche ist der Bundesverband der
Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, kurz: BDSV. Er hat 220
Mitglieder, und laut Lobbyregister ein jährliches Lobby-Budget von gut
einer Millionen Euro. Sein Präsident ist der Vorstandsvorsitzende von
Rheinmetall Armin Papperger. Auf Anfrage der taz legt Hans Christoph
Atzpodien, ein Sprecher des BDSV, dar, warum die Rüstungsindustrie als
nachhaltige Geldanlage gelten sollte: „Krieg bedeutet das Gegenteil von
Umweltschutz und auch den Verlust aller elementaren sozialen Rechte. Also
sollten auch Banken und Fonds Rüstung als Beitrag zur Nachhaltigkeit
behandeln.“ Wer in Rüstung investiert, soll das also heißen, investiert in
Frieden, und damit in Klimaschutz und das Wohlergehen aller.
Der BSDV lobbyiert dafür nicht nur auf EU-Ebene. Auch an die Mitglieder des
Deutschen Bundestags und das Wirtschafts-, Finanz- und
Verteidigungsministerium hat der Verband im Jahr 2024 zwei Stellungnahmen
verschickt, um die „Positive Inklusion von Rüstung in
Nachhaltigkeitsregulatorik“ voranzutreiben. Im Lobbyregister schreibt der
BDSV dazu, die Rüstungsindustrie stehe immer noch vor dem Problem, dass
Investmentfonds und bis zu einem gewissen Grad auch Privatbanken immer noch
zögern, in Rüstungsgüter zu investieren. Daher fordere man ein „bindendes
Regelungsvorhaben, das Rüstung für EU und NATO-Streitkräfte als positiv
nachhaltig kategorisiert,“
Wer sich nun genauer die neuesten Papiere der EU zum Thema anschaut, der
findet überraschend ähnliche Passagen.
Im März 2024 veröffentlicht die EU ihr neues Verteidigungsprogramm EDIP. Es
ist eine Industriestrategie für den Verteidigungsbereich. Verantwortet wird
sie von Josep Borrell, dem Hohen Vertreter für Außen- und
Sicherheitspolitik. Im EDIP heißt es: „Die Bereitschaft der Finanzakteure,
mit der Verteidigungsindustrie zusammenzuarbeiten, dürfte durch die
Besonderheiten des Verteidigungsmarkts (…) bzw. durch Mutmaßungen in Bezug
auf die Faktoren Umwelt, Soziales und Governance (ESG) beeinträchtigt
sein.“ Josep Borrell war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Die EU befürchtet also, dass die Finanzbranche keine Rüstungsunternehmen in
ihre nachhaltigen Anlagen aufnehmen will, solange sie laut EU-Regeln als
nicht nachhaltig gelten. Das gleiche befürchtet auch die Rüstungsindustrie.
Lobby-Statements finden ihren Weg in EU-Papiere
Im EDIP findet sich ein Satz, der dem ähnelt, was der BDSV anführt: „Die
Verteidigungsindustrie der Union trägt entscheidend zur Resilienz und
Sicherheit der Union und damit zu Frieden und sozialer Nachhaltigkeit bei.“
Damit begründet die EU, warum Rüstungsunternehmen als nachhaltig gelten
sollten und damit auch als nachhaltige Geldanlage.
Das reicht dem Lobbyverband BDSV allerdings offenbar nicht: In einer
Stellungnahme vom April 2024 und in einer weiteren aus dem Juni 2024
fordert der Lobbyverband, dass die Regularien noch weiter aufgeweicht
werden müssten, damit die Finanzbranche bedenkenlos Rüstung in ihre
nachhaltigen Geldanlagen aufnehmen kann. Das würde bedeuten, dass
Anleger*innen in Zukunft in häufiger als bisher schon Unternehmen wie
RheinMetall, Leonardo oder Airbus in nachhaltigen Fonds finden könnten.
Die Rüstungsindustrie würde sich damit neue Finanzquellen erschließen. Für
die Anleger*innen hingegen wäre das fatal: Menschen, die sich bewusst
dafür entscheiden, ihr Geld in ökologische und soziale Unternehmen zu
stecken, würden damit letztlich die Produktion von Panzern und Granaten
mitfinanzieren.
Verbraucher-Schützer*innen beobachten die Entwicklung mit großer Sorge. Der
Verein FairFinance beobachtet, dass Rürstungsunternehmen jetzt schon
vereinzelt in ESG-Fonds stecken. Thomas Küchenmeister, Sprecher von
FairFinance sagt dazu: „Da brechen Dämme. Alles, was uns heilig war, geben
wir auf.“ Auch das [4][Forum Nachhaltige Geldanlagen ist alarmiert]. Ein
Sprecher sagt auf taz-Anfrage, es stehe außer Frage, dass die
Rüstungsindustrie signifikanten Schaden anrichte. „Damit ist Rüstung nicht
nachhaltig.“
Noch ist die Einstufung der Rüstungsindustrie als „nachhaltige“ Branche
keine beschlossene Sache. Die Formulierungen aus den entsprechenden
EU-Papieren beschreiben das Vorhaben, die neue EU-Kommission hat
entsprechende Regeln dafür noch nicht umgesetzt. Das könnte aber in den
kommenden Monaten passieren.
8 Oct 2024
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## AUTOREN
Anton Dieckhoff
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