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# taz.de -- Innovationspolitik der EU: Fehlende Visionen
> Bei der EU-Innovationspolitik geht es kaum voran. Ein Grund scheint zu
> sein, dass Forschung und Wissenschaft derzeit keine Priorität haben.
Bild: In Dortmund ein Leuchtturm der Innovationspolitik: das Deutsche Rettungsr…
Berlin taz | Was Dortmund im Fußballstadion partout nicht gelingen will,
der Titelgewinn, wurde jetzt in einer anderen Liga erreicht. Der
Europäische Innovationsrat in Brüssel verlieh der Westfalen-Metropole in
der vorigen Woche die Auszeichnung „Innovationshauptstadt Europas“. Die
Dortmunder Erneuerungserfolge in der Wirtschaft und Gesellschaft, etwa mit
einem Zentrum für Rettungsrobotik oder einem digitalen Stadtfest, hatte die
europäische Innovations-Jury am stärksten beeindruckt.
Die Preisvergabe des iCapital Awards war einer der Höhepunkte des
EIC-Summits, den der [1][Europäische Innovationsrat (European Innovation
Council, EIC]) zwei Tage lang veranstaltete. Die Einrichtung ist noch
relativ jung und muss daher bekannter werden, wenn sie, so der Auftrag, der
bislang wenig erfolgreichen Innovationspolitik der Europäischen Union (EU)
zu neuer Blüte verhelfen will.
Mit 10 Milliarden Euro aus dem Europäischen Forschungsrahmenprogramm
„Horizon Europe“ (insgesamt 95 Milliarden Euro für die Jahre 2021 bis 2027)
ist der EIC etwas kleiner als seine Schwestereinrichtung, der
[2][Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC),] dem zur
Finanzierung der wissenschaftlichen Grundlagenforschung im gleichen
Zeitraum 16 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.
Aufgabe des EIC ist es, aus wissenschaftlichen Entdeckungen über innovative
Unternehmensgründungen zu wirtschaftlichen Durchbrüchen zu kommen. Damit
ähnelt er der [3][deutschen Agentur für Sprunginnovationen SprinD], obwohl
es zwischen beiden keine engere Verbindung gibt.
Überhaupt ist es ein Problem der EU-Innovationspolitik, dass sie zu sehr
„im eigenen Saft kocht“ und Entwicklungen in den Mitgliedsländern wenig
einbindet. So spielte beim Brüsseler Summit das derzeit spannendste
Innovationsprojekt in Deutschland, die aktuell im Koalitionsvertrag
besiegelte Gründung der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation
(DATI), keine Rolle. Der passende Ort zum Erfahrungsaustausch wäre es aber
schon gewesen.
## Bessere Vernetzung
Der Brüsseler Summit – überwiegend online durchgeführt und mit geringer
Vorortpräsenz – machte aber auch die beiden größten Baustellen der
Innovationspolitik deutlich: fehlende Vision und unzureichende Führung. Die
Vision könnte in das Konzept eines „Europäischen Innovations-Raumes“
münden, das die Kommission im kommenden Jahr vorlegen will. Vorbild ist der
„Europäische Forschungs-Raum“ zur besseren Vernetzung der
wissenschaftlichen Akteure, den die EU-Forschungsminister am vergangenen
Freitag final beschlossen haben, allerdings ohne die deutsche Ministerin
Anja Karliczek.
Noch immer lastet auf der Innovationspolitik das Scheitern älterer
Visionen, besonders der „Lissabon-Strategie“ aus dem Jahre 2000. Mit ihr
sollte Europa binnen eines Jahrzehnts zur weltweit führenden
Innovationsregion aufgerüstet werden, mit einem Anteil der Forschungs- und
Entwicklungsausgaben an der gesamten Wirtschaftsleistung in Höhe von 3
Prozent. Davon ist die EU zwei Jahrzehnte später immer noch meilenweit
entfernt.
Der europäischen Statistikbehörde Eurostat zufolge erhöhte sich die
FuE-Quote der damals noch 28 EU-Mitgliedsländer zwischen 2011 und 2019 nur
minimal von 1,96 auf 2,15 Prozent. Deutschland liegt jetzt bei 3,17 Prozent
und ist damit eines von vier EU-Ländern oberhalb der 3 Prozent, die jetzt
EU-Innovationskommissarin Marija Gabriel erneut als europäische Zielmarke
für 2030 ausgab. Ihr Heimatland Bulgarien wird sich dafür aber sehr
anstrengen müssen, liegen doch dort die FuE-Ausgaben derzeit bei
bescheidenen 0,84 Prozent.
Der EIC wurde zudem vom früheren EU-Forschungskommissar Carlos Moedas auch
deshalb als neuer Innovationsmotor aufgesetzt, weil eine Vorgängergründung
die Erwartungen nicht erfüllt hatte: Das Europäische Innovations- und
Technologieinstitut (EIT), seit 2008 in Budapest ansässig, sollte
ursprünglich die US-Innovations-Kaderschmiede MIT für Europa kopieren. Dazu
ist es nie gekommen. 2016 testierte der EU-Rechnungshof dem EIT erhebliche
Ineffizienz. Die Kritikpunkte auf der Mängelliste: komplexe Bürokratie,
Fehler beim Management, mangelnde Transparenz und zu wenig greifbare
Ergebnisse.
Problemstelle „fehlende Führung“: Während der Forschungsrat ERC seit Anfa…
November mit der deutschen Mikrobiologin Maria Leptin eine neue Präsidentin
besitzt, sucht der EIC derzeit noch nach einem Spitzenkopf. Daher wurde der
EIC-Gipfel von einem Vertreter der „zweiten Reihe“, dem Direktor der
Exekutivagentur für kleine und mittlere Unternehmen (EISMEA), Jean-David
Malo, eröffnet. Bei den Auftritten der Kommissionsvertreterinnen war
auffallend, dass Marija Gabriel ihre angekündigte Rede zur Zukunft der
Innovation nicht hielt, wogegen Digital-Kommissarin Margarethe Vestager
grundsätzlich Stellung bezog.
Inhaltlich ist Gabriel mit ihren Kernzuständigkeiten „Forschung und
Innovation“ noch nicht richtig warm geworden. Schon der Amtsantritt vor
zwei Jahren geriet zum Fauxpas. Es kam zu Missfallensbekundungen aus der
Wissenschaft, weil Gabriels Generaldirektion nur den Titel „Innovation und
Jugend“ tragen sollte, unter Verzicht auf „Forschung“. Noch gravierender
war der Ansehensverlust im Folgejahr, als um den EU-Haushalt 2021 bis 2027
hart gerungen wurden.
Vier Kleinstaaten unter Führung der Niederlande setzten massive Einschnitte
in der Budgetplanung durch, die vor allem zulasten des [4][Forschungsgramms
„Horizon Europe“] realisiert wurden. Statt 120 Milliarden Euro, wie vom
Parlament gefordert, wurden nur 95 Milliarden Euro bewilligt. Zahlreiche
wissenschaftliche Einzelprogramme, wie die ERC-Förderungen, mussten den
Rotstift ansetzen, während die hochsubventionierte Landwirtschaft
ungeschoren davon kam. Auffallend in diesem zentralen Streit ums Geld war,
dass sich Gabriel nicht auf die Seite der Wissenschaft und des Parlaments
stellte, sondern die Kürzungen verteidigte.
Auch bei inhaltlichen Konzepten ist es Gabriel bislang nicht gelungen, in
die Schuhe ihres Vorgängers Carlos Moedas hineinzuwachsen. Der Portugiese
hatte unter anderem die Ausrichtung der Forschungsressourcen auf
langfristige und für die Gesellschaft bedeutsame „Missionen“ angestoßen,
basierend auf einem Entwurf der italienischen Innovationsexpertin Mariana
Mazzucato.
„Solche Erfolge kann Frau Gabriel bisher nicht vorweisen“, findet Dietmar
Harhoff,, Innovationsforscher bei der Max-Planck-Gesellschaft und früherer
Leiter der Expertenkommission Forschung und Innvation (EFI). Gabriel habe
zwar vorher in der Digitalpolitik gute Arbeit gemacht und kenne Brüssel aus
ihrer Arbeit als Abgeordnete der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen
Parlament sehr gut. „Aber die Innovationsagenda der Kommission wird von
Thierry Bretons Impulsen in der Industriepolitik und von den Digitalthemen
bei Frau Vestager dominiert“, Berlinurteilt Harhoff und fügt hinzu:
„Forschung und Wissenschaft scheinen derzeit keine Priorität zu haben“.
Vielleicht ändert sich das mit Dortmunder Hilfe. Wie die taz von einem
Sprecher des Oberbürgermeisters erfuhr, plant Kommissarin Gabriel Anfang
des nächsten Jahres, die NRW-Stadt zu besuchen, um die
„iCapital“-Auszeichnung direkt zu überreichen. Das wäre die Gelegenheit,
die unterbliebene Rede zur „nächsten Welle der Innovation in Europa“ doch
noch zu halten. Inhaltlicher Schwerpunkt wäre dabei, die
innovationsorientierte Gründerförderung von der bisher dominierenden
Ausrichtung auf digitale Service-Plattformen auf „DeepTech“-Gründungen in
der Verkehrs-, Umwelt- und Energietechnologie umzusteuern. Wenn bis dahin
die Konkurrenten der Innovations-Kommissarin nicht doch schneller sind.
5 Dec 2021
## LINKS
[1] /Entwicklung-und-Innovation-in-der-EU/!5420060
[2] /Forschung-in-der-Europaeischen-Union/!5701060
[3] /Erneuerung-von-Forschung-und-Entwicklung/!5804983
[4] /Forschung-in-der-Europaeischen-Union/!5701060
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Forschungspolitik
Innovation
Sprunginnovation
Europäische Union
Anja Karliczek
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