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# taz.de -- Fotografien von Rüstungsmesse: „Kinderballett neben Kalaschnikow…
> Der Fotograf Nikita Teryoshin dokumentiert seit acht Jahren
> Rüstungsmessen auf der ganzen Welt. Was treibt ihn an?
Bild: In der ersten Reihe: Besucher der IDEX Expo in Abu Dhabi an Deck einer F�…
wochentaz: Herr Teryoshin, Sie besuchen seit mehreren Jahren Waffenmessen
und haben dafür 15 Länder bereist. Wer organisiert diese Messen und für
welches Publikum?
Nikita Teryoshin: Es sind Handelsmessen von großen Rüstungsfirmen, zum Teil
auch von den Staaten selbst. Man trifft dort Verkäufer und Hersteller,
Politiker und Militärs, natürlich auch zwielichtige Leute. Die Messen sind
ziemlich exklusiv und nur für Fachpublikum. Die wenigen Medienvertreter
dort kommen oft von der Fachpresse. Deshalb gibt es kaum kritische
Berichterstattung darüber.
Was war das Absurdeste, das Sie während Ihrer Besuche gesehen haben?
In Abu Dhabi gab es bei der Abschlusszeremonie eine riesengroße
Jubiläumstorte, die auf Holzpaletten stand. Auf der Spitze der Torte wurde
eine Explosion nachgebildet, und sie war mit Kampfjets und Panzern
verziert. Irgendwann haben die VIP-Gäste mit ganz kleinen Gäbelchen
begonnen, vom Rand der Torte zu essen, ohne Teller. Da dachte ich: „Das ist
also hier das Schlachtfeld.“ Und bei einer Messe in Indien war die
Pappfigur eines Soldaten ohne Kopf aufgestellt, im Hintergrund war eine
Atomexplosion abgebildet. Man konnte sich hinter die Figur stellen und als
Soldat posieren. Ich wunderte mich, dass der Pappsoldat eine russische
Uniform trug – auf einer indischen Messe. Ich fragte die Leute am Stand
danach, und sie antworteten: „Ach, den haben wir haben einfach über
Google-Bildersuche gefunden.“ Zu meiner Arbeit passte es, diese Figur ohne
Kopf abzubilden, denn ich wollte keine Gesichter auf den Bildern zeigen.
Das verdeutlichen Sie schon mit dem Titel der Serie, „Nothing personal“.
Warum war es Ihnen wichtig, dass keine Gesichter zu sehen sind?
Ich wollte verhindern, dass der Betrachter die Menschen auf den Messen als
Personifizierung des „Bösen“ sieht – und es sich so zu leicht macht. Der
Handel mit Rüstungsgütern ist kein Werk einzelner Menschen, er steht für
die Menschheit insgesamt, um es mal etwas pathetisch zu sagen. Waffen und
schweres Gerät werden auf den Messen wie Staubsauger verkauft, das wollte
ich abbilden. Ein weiteres Thema ist die Inszenierung des Kriegs auf diesen
Messen, es gibt dort zum Beispiel Simulationen von Krieg auf Leinwänden
sowie Flugschauen, die man von Tribünen aus anschauen kann. Da passte der
Ansatz besser, keine Personen zu zeigen. Die anonymisierten Händler sollen
auch als Metapher für eine Industrie stehen, die gerne unter dem Radar der
Medien und der Öffentlichkeit agiert.
Unterscheiden sich die Messen in [1][Diktaturen] von denen im Westen?
Ja. In Diktaturen sind sie viel folkloristischer. In Belarus tanzte ein
Kinderballett neben Soldaten mit Kalaschnikows. Und es sind Diktatoren aus
anderen Ländern zu Gast, wie in einem schlechten Hollywood-Film. In
Deutschland hingegen wird eher vorgeführt, wie die Technik funktioniert
oder wie Spezialeinheiten ein Gebäude stürmen.
Man sieht auf den Bildern eine für den Kontext ungewöhnliche, fast sterile
Szenerie. War das ästhetisch das Interessante daran?
Es gibt Drinks bei strahlendem Sonnenschein, die Waffen sind auf Hochglanz
poliert. Diesen scheinbaren Widerspruch und die hemmungslose Welt des
Waffenhandels wollte ich einfangen.
Sie selbst kommen aus [2][Russland] und sind in St. Petersburg
aufgewachsen. 2016 haben Sie begonnen, diese Motive zu fotografieren. Waren
die [3][Invasion der Krim] und der Krieg in der Ostukraine der Anlass
dafür?
Nein. Ich lebe seit meinem 14. Lebensjahr in Deutschland und habe Russland
auch nur aus der Ferne verfolgt. Welche Ausmaße der russische Imperialismus
unter Putin annehmen würde, habe ich lange nicht kommen sehen. Erst als ich
am 9. Mai 2019, dem Tag des Sieges, die Straßenparaden in Moskau
fotografiert habe, dämmerte es mir langsam. Da marschierten Tausende mit,
zum Teil mit Bildern von Stalin in der Hand, zum Teil mit Porträts ihrer
Großväter oder auch gefakten Großväter. Diesen Patriotismus hatte ich total
unterschätzt. Da habe ich mir schon gedacht, dass es irgendwann in einen
großen Krieg münden könnte.
6 Feb 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Jens Uthoff
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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