# taz.de -- Ausstellung zum Kalten Krieg: Ästhetisierung der Kampftechnik | |
> „Overkill“ im Militärhistorischen Museum Dresden erzählt vom | |
> Bedrohungsspiel der Großmächte im Kalten Krieg. Die Ausstellung wirkt | |
> beklemmend aktuell. | |
Bild: Der Raumgleiter Sänger II wurde in den 1980ern von Ernst Högenauer entw… | |
Im Jahr 1980 beschwor der japanische Thriller „Overkill“ den Untergang der | |
Menschheit durch einen Killervirus und einen Atomschlag herauf. Das | |
Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden, das sich seit seiner | |
Wiedereröffnung 2011 eher als Museum der Gewaltgeschichte versteht, wählte | |
diesen Titel auch für seine bislang größte Sonderausstellung. Geht es doch | |
um viereinhalb Jahrzehnte des perfiden Spiels der Großmächte mit der | |
Drohung der Apokalypse. „Gleichgewicht des Schreckens“ wurde zumindest die | |
spätere Phase des Kalten Kriegs nach dem Zweiten Weltkrieg auch genannt. | |
[1][Francis Fukuyamas] These vom „Ende der Geschichte“ nach 1989 mit dem | |
Siegeszug liberaler Demokratien erwies sich schon bald nach dem Zerfall des | |
Ostblocks als Illusion. Heute mehr denn je, leider. Im Museum begannen die | |
Vorbereitungen für die Sonderausstellung schon vor mehr als drei Jahren. An | |
dem Konzept aber hat man auch mit dem russischen Überfall auf die Ukraine | |
kaum etwas ändern müssen. | |
Ein Rundgang hinterlässt denn auch das Gefühl beklemmender Aktualität, | |
obschon es eigentlich um die Epoche 1945 bis 1989 geht. Die zahlreichen | |
Kriege nach dem vermeintlichen Ende des Systemkampfes wurden größtenteils | |
mit den Waffen des Kalten Kriegs geführt. Im Ukrainekrieg haben sie einen | |
Anteil von etwa 90 Prozent. [2][Und Putin droht in seinem nun wieder heißen | |
Krieg gegen den Westen erneut mit der atomaren Vernichtung]. | |
## Die Technik ist interpretierbar, per se weder gut noch böse | |
Nur auf den ersten Blick erscheint „Overkill“ als Schau von Waffen und | |
technischer Entwicklung. Es lässt einen nicht unberührt, vor einer nur etwa | |
acht Meter langen Atombombe zu stehen. Ganz anders als noch zu Zeiten des | |
Armeemuseums der DDR zeigen die Dresdner Militärhistoriker aber Horizonte, | |
politische Kontexte und die Widerspiegelung des Wettrüstens in Kunst, | |
Kultur und im Alltag der Gesellschaft auf. | |
„Die Technik ist ein Kulturgut wie alles von Menschen Geschaffene. Sie ist | |
interpretierbar, per se weder gut noch böse. Die Bewertung hängt mit | |
gesellschaftlichen Prozessen zusammen“, beschreibt Jens Wehner das zentrale | |
Anliegen der Sonderausstellung. Der promovierte Historiker ist der Kopf | |
eines Dreierteams von Kuratoren. Dieser Leitgedanke kultureller | |
Konnektivität empfängt die Besucher schon beim Eintritt. Auf einem | |
Bildschirm läuft Missile Command, eines der frühen PC-Ballerspiele von | |
1980. Flugobjekte müssen abgeschossen werden. | |
Raketentechnik der Wehrmacht | |
Die nachfolgenden Stationen sind chronologisch angeordnet und tragen | |
markante Überschriften. Es beginnt folgerichtig mit deutscher | |
Wehrmachtstechnologie im Zweiten Weltkrieg. Sowohl die Sowjetunion als auch | |
die westlichen Alliierten verschleppten nach 1945 bekanntlich vor allem | |
deutsche Raketentechniker für die Modernisierung ihrer Waffen. | |
Mindestens die gesamten 1950er Jahre über folgte „Das Rennen“, bestimmt von | |
Atomtechnologie und der Luft- und Raumfahrt. Also der naive Glaube, in | |
einem potenziellen Krieg militärische Überlegenheit erzielen zu können, | |
verbunden sogar mit einer gewissen Ästhetisierung der Kampftechnik. | |
Die Begeisterung für Kernspaltung und Kernfusion als Generallösung für | |
Militärtechnik, Energieversorgung und Antriebe erfasste auch die | |
Bevölkerung. Zugleich regten sich erste Ängste und Widerstände gegen den | |
„Atomtod“ in der Bundesrepublik wie in der DDR. Vorwegnahme einer später | |
immer relevanter werdenden Skepsis gegenüber den angeblichen Segnungen des | |
technologischen Fortschritts. | |
## Flugunfälle galten als normal | |
Ein Abschnitt ist der „Atomkultur“ gewidmet. Er schlägt beispielsweise die | |
Brücke vom pazifischen Bikini-Atoll zum aufkommenden Badebikini. Einfältig, | |
ja geradezu demagogisch muten die Versuche an, der Bevölkerung | |
Schutzmöglichkeiten bei einem Atomangriff zu suggerieren. | |
Lächeln kann man eher über die Verklärung sowjetischer Raumfahrterfolge in | |
den 1960er Jahren und ihre propagandistische Ausschlachtung. Aber wer weiß | |
schon, dass auch [3][der erste DDR-Kosmonaut, Sigmund Jähn], zuvor mit | |
einer MIG abgestürzt war? „Flugunfälle und Abstürze galten damals als | |
normal“, erklärt Kurator Wehner. Also auch Menschenopfer. Umso | |
erstaunlicher, dass die 116 Starfighter-Toten in der Bundesrepublik für | |
einen üblen Ruf dieses Kampflugzeugs sorgten. | |
Die Zeit des Wettlaufs in den Kosmos und zum Mond war zugleich die einer in | |
dem Kapitel „Grenze“ geschilderten Einsicht. Es dämmerte vielen, dass | |
unabhängig vom Erstschlag ein Atomkrieg nicht zu gewinnen war und immer die | |
Vernichtung des eigenen Landes mit sich gebracht hätte. Allein auf das | |
ostdeutsche Gebiet waren 500 Sprengköpfe gerichtet. | |
Diplomatie und konventionelle Rüstung gewannen wieder an Bedeutung. Kurator | |
Wehner spricht von einem Wiederaufleben alter deutscher | |
Strategietraditionen. Allein das Arsenal gezeigter Handfeuerwaffen | |
erschreckt ebenso wie die Erinnerung an den brutalen Vietnamkrieg der | |
Amerikaner. Ein „Rotes Telefon“ in Gestalt eines Fernschreibers illustriert | |
wiederum das letzte Mittel eines friedenserhaltenden Kontakts zwischen den | |
Großmächten. | |
Handy, PC, Satelliten | |
„Reflexion“ beschreibt schließlich das ambivalente Empfinden gegenüber den | |
meist der Militärtechnik entsprungenen Hochtechnologien. Handy, PC, die | |
Satellitennavigation. „Ohne den Kalten Krieg wären alle diese Innovationen | |
nicht da“, vertritt Museumsdirektor Oberstleutnant Rudolf Schlaffer eine | |
These, über die sich streiten lässt. | |
Immerhin öffnet nun die Suche nach Hightech-Spezialisten Frauen den Weg in | |
die Bundeswehr. Doch die Technikfolgen rücken ins Bewusstsein. Außerdem | |
sind in einer einzigartigen Zusammenschau Prototypen gescheiterter | |
Entwicklungsversuche vor allem bei Panzern zu sehen. | |
Noch einmal drohte der Atomkrieg in den 1980ern mit der | |
Mittelstreckenraketenaufrüstung von SS-20 und Pershing. Das Außengelände | |
des Museums stellt schließlich in ebenso einmaliger Dichte konventionelles | |
Gerät wie Jagdflieger, Hubschrauber und Panzer gegenüber, teils bis heute | |
im Einsatz. Technisch verblüffende Ähnlichkeiten in Ost und West bemerkt | |
auch der Laie. Vor allem aber wird man mit der schockierenden Imagination | |
entlassen, auf einem Schlachtfeld diesen Monstern gegenüberzustehen. | |
22 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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