| # taz.de -- Neues Buch des Politologen Fukuyama: Immer noch besser als autorit�… | |
| > Der US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama verteidigt in seinem neuen | |
| > Buch den Liberalismus als bestmögliche Gesellschaftsform. | |
| Bild: Pro-Trump-Aufständische stürmen das Kapitol in Washington | |
| Demokratien sind auf dem Rückzug: Laut des diesjährigen Global Democracy | |
| Index [1][lebten 2021 nur noch knapp 46 Prozent der Weltbevölkerung in | |
| einer Demokratie] – der niedrigste Wert seit Beginn der Erhebung 2006. | |
| Und während liberale Gesellschaften zunehmend mit destabilisierenden | |
| Tendenzen wie Populismus, Nationalismus und Demokratieverdrossenheit | |
| kämpfen, scheint das autoritäre Politikmodell an Stärke und Attraktivität | |
| zu gewinnen. In diese düstere Ausgangslage hinein meldet sich nun | |
| ausgerechnet Francis Fukuyama zu Wort – mit einer Verteidigung des | |
| Liberalismus. | |
| Anfang der 1990er Jahre machte der Harvard-Politologe mit einem Essay | |
| Furore, der „Das Ende der Geschichte“ ausrief – aus dem Systemgegensatz d… | |
| Kalten Krieges, so seine damalige Grundthese, sei der Liberalismus in Form | |
| von Demokratie plus Marktwirtschaft als endgültiger Sieger hervorgegangen, | |
| das liberale Ordnungsprinzip werde sich endgültig und global durchsetzen. | |
| ## Legimitätskrise nach 9/11 | |
| Es kam bekanntlich anders – was Fukuyama besonders seit der westlichen | |
| Legitimitätskrise nach 9/11 und der Wirtschaftskrise 2008 viel Spott | |
| eingebracht hatte. Unter anderem von Wladimir Putin, der den Liberalismus | |
| 2002 zur „obsoleten Doktrin“ erklärte, und von Viktor Orbán, der sich | |
| ironisch zum Modell einer „illiberalen Demokratie“ bekennt. | |
| Doch auch von links gerät der marktwirtschaftlich grundierte Liberalismus | |
| unter Druck, da er starke Ungleichheiten hervorbringt und bestimmte | |
| Gesellschaftsgruppen bevorzugt. | |
| Fukuyama versucht sich in seinem neuen Buch „Der Liberalismus und seine | |
| Feinde“ an einer Ehrenrettung des Politik- und Gesellschaftsmodells, | |
| [2][das er trotz aller Schwächen noch immer für die bestmögliche aller | |
| Lebens- und Regierungsformen hält.] | |
| ## Schutz des Individuums vor staatlicher Willkür | |
| Zunächst definiert der Autor, was er genau unter Liberalismus versteht: den | |
| Schutz des Individuums vor staatlicher Willkür, die Freiheit von | |
| Diskriminierung nach Gruppenmerkmalen, ein handlungsfähiger Staat, Freiheit | |
| des Wirtschaftens. Wie wichtig freier Handel ist, betont Fukuyama gleich zu | |
| Beginn – und führt dafür den Erfolg asiatischer Staaten wie Japan, Südkorea | |
| oder Taiwan an. | |
| Doch auf das Gegenbeispiel China, wirtschaftlicher Erfolg ohne Demokratie, | |
| geht er an dieser Stelle nicht ein. Und das bleibt nicht die einzige | |
| Ungereimtheit in dieser Verteidigungsschrift, die, näher betrachtet, eher | |
| eine Wiederholung von Fukuyamas spektakulär widerlegten Thesen von vor 30 | |
| Jahren ist. | |
| [3][Die Unzufriedenheit mit dem Liberalismus,] die nicht nur von rechts | |
| kommt, sondern auch von links, erklärt Fukuyama vor allem mit der Dominanz | |
| des Neoliberalismus, die er als Fehlentwicklung beschreibt. | |
| Allerdings nur halbherzig: „In den Vereinigten Staaten sowie anderen | |
| entwickelten Ländern hatten Deregulierung und Privatisierung positive | |
| Wirkungen“, beschreibt er. „Die neoliberale Agenda wurde ins | |
| kontraproduktive Extrem getrieben“; die Privatisierung als Religion habe in | |
| Ländern wie Mexiko oder dem postsowjetischen Russland zu massiven | |
| Fehlentwickungen und der Herausbildung einer Oligarchenschicht geführt. | |
| ## Kritik am Neoliberalismus | |
| Die Kritik am Neoliberalismus ist nicht neu, sie gehört seit Jahren zum | |
| Standardrepertoire der Linken. Umso mehr enttäuscht Fukuyamas | |
| unentschiedenes Fazit: „Richtig verstanden ist der Liberalismus mit einem | |
| breiten Spektrum sozialer Schutzmaßnahmen des Staates vereinbar. (…) Die | |
| skandinavischen Länder bleiben trotz ihrer umfassenden Wohlfahrtssysteme | |
| liberale Gesellschaften, wie auch die Vereinigten Staaten oder Japan mit | |
| ihren vergleichsweise kleineren staatlichen Wohlfahrtssektoren“. | |
| Warum aber ist selbst im liberalen Vorzeigeland Schweden die | |
| Unzufriedenheit so groß, dass dort unlängst eine rechtspopulistische Partei | |
| Wahlerfolge feierte? Fukuyama erklärt sich das damit, dass der | |
| Liberalismus zwar große persönliche Freiheiten bringe, aber nicht in der | |
| Lage sei, für übergeordneten Zusammenhalt zu sorgen. | |
| Können progressive Kämpfe wie Feminismus oder Postkolonialismus dieses | |
| Gemeinschaftsgefühl erzeugen? Im Gegenteil: Fukuyama beschreibt die | |
| Identitätspolitik als Totengräberin des Liberalismus. Der Nationalstaat | |
| scheint ihm geeigneter, das Bedürfnis nach Identität zu befriedigen – auf | |
| die unumkehrbare Globalisierung wie globale Migrationsentwicklungen geht er | |
| dabei nicht ein. | |
| ## Liberale Doktrin | |
| Postkoloniale Anliegen weist Fukuyama pauschal als unberechtigt zurück: | |
| „zu behaupten, Rassismus und Patriarchat seien dem Liberalismus immanent, | |
| würde bedeuten, historisch bedingte Phänomene zu Wesenszügen der liberalen | |
| Doktrin umzudeuten“. | |
| Wie aber sollen liberale Demokratien nun umgehen mit inneren Widersprüchen | |
| und Fehlentwicklungen, wie sollen sie illiberalen Bedrohungen begegnen? | |
| Hier flüchtet sich Fukuyama ins Aufstellen abstrakter Prinzipien – oder | |
| stellt die drohenden Alternativen in den Raum: religiöser oder | |
| nationalistischer Konservatismus oder Autoritarismus. Von einem gefeierten | |
| US-Intellektuellen hätte man sich in diesen grimmigen Zeiten Erhellenderes | |
| gewünscht. | |
| 21 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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