| # taz.de -- Russische Atomwaffen in Belarus: Das Spiel mit den Drohungen | |
| > Moskau hat erste Atomsprengköpfe nach Belarus geschickt. Das behauptete | |
| > der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko schon vor einigen | |
| > Tagen. | |
| Bild: Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko (l) am 9. Juni in Sotschi | |
| Berlin taz | Sie ist wieder da – die Drohung mit Atomwaffen. Am Freitag | |
| teilte Russlands Präsident Wladimir Putin beim Wirtschaftsforum in St. | |
| Petersburg mit, dass die ersten [1][Atomsprengköpfe nach Belarus] geschickt | |
| worden seien. Bereits vor drei Tagen hatte der belarussische Machthaber | |
| Alexander Lukaschenko im russischen Staatsfernsehen gesagt, dass die | |
| Verlegung russischer taktischer Atomwaffen nach Belarus begonnen habe. Kurz | |
| zuvor war Lukaschenko von seiner Präsidialverwaltung mit dem Satz zitiert | |
| worden, im Falle eines Angriffes werde er auch nicht zögern, diese Waffen | |
| einzusetzen. | |
| Die Verlegung von Raketen mit taktischen Atomsprengköpfen nach Belarus | |
| hatte Russlands Präsident Wladimir Putin bereits im März angekündigt. | |
| Begleitet wurde dieser Schritt nun von einem bemerkenswerten Aufsatz von | |
| Sergei Karaganow, dem Politikwissenschaftler und Leiter des Rats für Außen- | |
| und Verteidigungspolitik (Swop). Es gelte die Glaubwürdigkeit der nuklearen | |
| Abschreckung wiederherzustellen, indem Russland die hohe Schwelle für den | |
| Einsatz von Atomwaffen senke und die Abschreckungs-Eskalationsleiter immer | |
| schneller emporsteige. | |
| Das könne sogar so weit gehen, dass Russen im Ausland geraten werde, | |
| Wohnorte in der Nähe von Objekten zu verlassen, die zum Ziel nuklearer | |
| Angriffe werden könnten, schreibt er in einem Beitrag unter dem Titel „Eine | |
| schwierige, aber notwendige Entscheidung“ für [2][die Webseite der | |
| Zeitschrift Russia in Global Affairs]. | |
| „Der Feind muss wissen, dass wir bereit sind, einen präventiven | |
| Vergeltungsschlag für alle seine aktuellen und vergangenen Aggressionen | |
| durchzuführen“, schreibt Karaganow. „Dies ist eine moralisch schreckliche | |
| Entscheidung (…). Wenn dies jedoch nicht geschieht, könnte nicht nur | |
| Russland zugrunde gehen, sondern höchstwahrscheinlich die gesamte | |
| menschliche Zivilisation.“ | |
| ## Teil des Kreml-Repertoires | |
| [3][Derartige Drohungen gehören allerdings seit Monaten zum Repertoire des | |
| Kreml] – genauso wie die Mär, der Westen sei in diesem Krieg der wahre | |
| Aggressor, gegen den sich Moskau verteidigen müsse. Bei der Ankündigung der | |
| Stationierung von Atomwaffen in Belarus hatte Putin gesagt, der Ausbau der | |
| notwendigen Infrastruktur solle bis zum 1. Juli abgeschlossen sein. Am 25. | |
| Mai unterzeichneten Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu und sein | |
| belarussischer Amtskollege Wiktar Chrenin ein entsprechendes Abkommen. | |
| Dabei wies Schoigu auch darauf hin, dass Moskau die Kontrolle und | |
| Entscheidungshoheit über die A-Waffen behalte. | |
| Wie auch die Ukraine hatte Belarus in den 90er Jahren sein | |
| Atomwaffenarsenal abgegeben – im Austausch gegen die Zusicherung, dass | |
| seine Souveränität sowie bestehende Grenzen geachtet würden. Das steht im | |
| Budapester Memorandum von 1994, das die USA, Großbritannien und Russland | |
| unterzeichneten. | |
| Fünf Jahre später setzten Russlands damaliger Präsident Boris Jelzin und | |
| Alexander Lukaschenko ihre Namen unter einen Unionsvertrag. Das Dokument, | |
| jahrzehntelang ein Papiertiger, ist unter dem Druck Russlands und ob | |
| Lukaschenkos totaler Abhängigkeit vom Kreml seit der Niederschlagung der | |
| Massenproteste im Jahr 2020 zum Leben erwacht. Die feindliche Übernahme | |
| läuft. | |
| Hinzu kommt: Als Folge eines sogenannten Referendums vom Februar 2022 | |
| wurden die strategische Ausrichtung auf einen neutralen Status sowie die | |
| Atomwaffenfreiheit des Staatsgebietes aus der belarussischen Verfassung | |
| gestrichen. | |
| ## Offiziell nicht Kriegspartei | |
| Sollten Lukaschenkos jüngste Äußerungen wahr sein, wäre es das erste Mal | |
| seit dem Ende der Sowjetunion, dass Russland Atomwaffen außerhalb seiner | |
| Landesgrenzen stationiert. Allerdings suggeriert seine Ankündigung einen | |
| Handlungsspielraum, den der belarussische Diktator gar nicht mehr hat. | |
| [4][Zwar ist Belarus offiziell nicht Kriegspartei], stellt Putins Truppen | |
| jedoch sein Territorium, Logistik und militärische Ausrüstung zur | |
| Verfügung. Russische Raketen, die in den ersten Kriegstagen auf Kyjiw | |
| niedergingen, wurden auch aus Belarus abgefeuert. | |
| Laut Sergei Galaka, Spezialist für Atomwaffen und Professor an der Kyjiwer | |
| Universität, gebe es in Belarus noch keine Mobilisierung, weil Lukaschenko | |
| Angst habe, die Bevölkerung zu bewaffnen. Ihm sei klar, dass sich die Armee | |
| gegen ihn erheben könne. „Durch seine Zustimmung zur Stationierung | |
| russischer taktischer Atomwaffen ist Lukaschenko zur Geisel Putins | |
| geworden, und er wird den Krieg in sein Land bringen“, zitiert das | |
| ukrainische Nachrichtenportal focus.ua. Galaka. „Doch er hat keine Wahl | |
| mehr.“ | |
| Hat sich das Risiko, Putin könnte den roten Knopf drücken, jetzt erhöht? | |
| Das fragen sich derzeit viele. Dagegen spricht, dass Moskau in diesem Fall | |
| mit, wie es aus den USA hieß, „katastrophalen Konsequenzen“ rechnen müsste | |
| und die Unterstützung Chinas aufs Spiel setzte. Aber eine Versicherung ist | |
| das nicht. | |
| Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels stand, Frankreich habe | |
| das Budapester Memorandum 1994 mitunterschrieben. Das trifft nicht zu. Wir | |
| haben die entsprechende Stelle angepasst. | |
| 16 Jun 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Atomwaffen-in-Belarus/!5922192 | |
| [2] https://eng.globalaffairs.ru/ | |
| [3] /Russische-Drohungen-mit-Atomwaffen/!5884829 | |
| [4] /Verhaeltnis-von-Belarus-und-Ukraine/!5924659 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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