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# taz.de -- Theaterstück über den Ukraine-Krieg: Im russischen Raketenhagel
> Der ukrainische Dramatiker Andriy Bondarenko hat im Auftrag der Neuen
> Bühne Senftenberg ein Stück geschrieben. Es spielt in einem
> Luftschutzkeller.
Bild: Pulverdampf auf der Bühne: Szene aus „Was man im Dunkeln hört“
Es ist nicht das finale Grauen, die Panik und das Elend, das beispielsweise
der Film „Der Untergang“ aus Berliner Kellern 1945 marktschreierisch
inszeniert. Die brutale Waffengewalt bleibt draußen, dringt maximal [1][als
abgestürzte Drohne] auf den Hof des Hauses vor, ist meist nur in Form von
Angriffswarnungen und Frontmeldungen präsent.
In dem Stück „Was man im Dunkeln hört“ könnte die Atmosphäre im
Luftschutzkeller auch für bequeme Westeuropäer anschlussfähig sein. Die
Vorstellung ist nicht fern, man könnte selbst in diesen rettenden und
zugleich freiheitsberaubenden Kellerknast irgendwo in der Ukraine verbannt
sein.
Das enge, dunkle Studiotheater der Neuen Bühne Senftenberg und die
Stahlregale der Bühne, die als Laufstege und separate Spielzonen dienen,
schaffen Bunkeratmosphäre. Jenseits der Theaterspots bewirken
Leuchtstoffröhren an den Regalen passende Lichtstimmungen. An der
Bühnenrückwand hängen zahlreiche Anoraks und Mäntel wie in einer Garderobe.
Vorübergehend hier abgegeben, so scheint es, aber dieser vorübergehende
Zustand hält nun schon länger als ein Jahr an.
## Terror gegen die Zivilbevölkerung
Das ist nicht das Massengrab unter dem Theater von Mariupol, aber auch kein
Refugium, das vor russischen Raketen oder iranischen Drohnen sicher wäre.
Der infame Kreml-Terror gegen die Zivilbevölkerung ist omnipräsent in
dieser Theatererzählung, jeden kann es jederzeit treffen. Man hat sich nur
mit dem Daueralarm arrangiert, ist auch abgestumpft. In diesem Mikrokosmos
bildet sich in dem Text von Andriy Bondarenko eine Paranormalität aus, die
das gewohnte Leben draußen in diesen hermetischen Underground
transportiert.
Der Autor Bondarenko mischt in kluger Weise das Lavieren der Opfer zwischen
Flucht vor dem Grauen und allzu menschlicher Anpassung an [2][das Diktat
des Fatums.] Das kennt man nicht erst seit dem russischen Überfall auf die
Ukraine. Bondarenko arbeitet derzeit als Leiter des Literatur- und
Theaterdepartments in Lwiw. Ein bescheiden wirkender jüngerer Mann, dem
sein Doktortitel in Philosophie und seine zahlreichen Dramen nicht zu Kopf
gestiegen sind.
Sein Auftragswerk für das bemerkenswerte Senftenberger Theater im Lausitzer
Braunkohlerevier hängt [3][mit dem Sonderfonds des Brandenburger
Kulturministeriums für kriegsbetroffene ukrainische Künstler zusamme]n.
Statt des ursprünglich für März geplanten „Woyzeck“ bemühte man sich nu…
einen ukrainischen Autor oder eine Autorin. Hinzu kommt, dass
Hausregisseurin Elina Finkel zwar lange schon in Deutschland lebt, aber aus
der Ukraine stammt.
## Makabre Stimmung
Ist die Situationskomik auch makaber in der Inszenierung, darf dennoch
gelacht werden. „Die Stimmung ist im Keller“, heißt es ironisch. Dessen
Insassen trinken Kaffee und Tee „als Zeichen, dass wir noch am Leben sind“.
Sie können zwar ihren freien Tag nicht draußen verbringen, bereiten sich
aber auf den morgigen Arbeitstag vor. Das Paar Jura und Julia will hier
unten sogar die durch den Kriegsbeginn verhinderte Hochzeit nachfeiern,
muss aber zuvor Konflikte wegen des langen Aufenthalts Julias im Westen
aufarbeiten.
Bei diesen Szenen steigert sich das lange nur aus eher sterilen Monologen
und Dialogen bestehende Geschehen zu turbulenter Heiterkeit. Ungebetene
Hochzeitsgäste wollen einem angeblichen Zettel mit der Einladung zu einer
Orgie folgen.
Bondarenko parodiert eingangs einen Prepper-Typen, der ebenso in Polen oder
Deutschland leben könnte. Nicht nur mit einem Notfallkoffer plant er sein
Überleben, auch auf einen Atomschlag bereitet er sich vor. Ein Atomschlag,
und das überrascht, mit dem in der Ukraine offenbar umso mehr gerechnet
wird, je erfolgloser die russische Armee konventionell operiert.
## Atomnixen und Todestulpen
Daneben berühren poetische Passagen. Die Oma, die Tschernobyl überlebt hat,
ist offenbar traumatisiert und dem Wahn nahe, fantasiert von Atomnixen und
gelben Todestulpen. In der Ausschöpfung dieser Kontraste und Paradoxien
aber bleiben Elina Finkels Inszenierung und auch die Schauspieler hinter
dem Potenzial des Textes zurück.
Sowohl die latente tödliche Gefahr als auch deren trotziges Ignorieren
ließen sich pointierter ausspielen. Auch wenn es hier um Inseln der
Normalität geht, hätte mehr Expressivität eine dringendere Wirkung erzielt.
Die bei Bondarenko durchaus angelegten durchweg sympathischen Typen
entfalten sich zu wenig.
Der Text kippt allerdings immer wieder in sehr geradlinigen Patriotismus
und in Siegesgewissheit. Ins Abgründige stößt hingegen die wiederholte
Frage vor, wie die Ukrainer sich dereinst an diese Ausnahmezeiten erinnern
werden, an ihre Ambivalenz womöglich. Das Publikum hatte verstanden und
spendete langen, intensiven Beifall, der auf eine auch nach einem Jahr noch
wenig abgenutzte Solidarität schließen lässt.
21 Mar 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Michael Bartsch
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