# taz.de -- Ukraine-Solidarität in Bulgarien: Den Goldenen Georg zurückgeschi… | |
> Der Regisseur Teodor Uschew hat seinen russischen Filmpreis | |
> zurückgegeben. Wenn es um Solidarität mit der Ukraine geht, ist Streit | |
> vorprogrammiert. | |
Bild: Der Filmemacher Teodor Uschew | |
BERLIN taz | Sergei Rachmaninow oder Anton Tschechow aus dem Spielplan | |
streichen? Künstler*innen ausladen, Arbeitsbeziehungen aufkündigen oder | |
kulturelle Kooperationen kappen? [1][Die Frage, wie mit russischer Kunst | |
und Kultur oder deren Vertreter*innen in Zeiten von Moskaus Krieg in | |
der Ukraine umzugehen sei,] hat auch Bulgarien erreicht. | |
Unlängst meldete sich Slawa Janakiewa, Kulturwissenschaftlerin an der | |
Sofioter Universität, zu Wort. „Ich denke, dass ehrenwerte Menschen alle | |
Verbindungen mit Russland abbrechen sollten“, schrieb sie auf Facebook. | |
Zwar gebe es auch dort heldenhafte Dissident*innen und verängstige | |
normale Menschen. Aber jedes Kulturprodukt legitimiere nicht sie, sondern | |
die Staatsmacht, die sie zermalme und töte. | |
Mit ihrem Post reagierte Janakiewa auf den Fall von Teodor Uschew. Dem | |
bulgarischen Animator, der in Kanada lebt, wurde im vergangenen Monat eine | |
„besondere“ Ehre zuteil: Sein dystopischer Science-Fiction-Abenteuerfilm | |
„Phi 1.618“ (2021) wurde bei dem diesjährigen Internationalen Filmfestival | |
Moskau mit dem Preis Goldener Georg – die Figur am Stadtwappen von Moskau – | |
ausgezeichnet. | |
Präsident des Festivals ist seit 2000 der Filmregisseur Nikita Michalkow. | |
Der 77-Jährige, ein Freund Wladimir Putins, lobpreist Russlands Krieger in | |
der Ukraine und den bewaffneten Kampf für traditionelle Werte. Im | |
vergangenen Jahr entzog der Internationale | |
Filmproduzent*innenverband FIAPF dem Moskauer Festival als Reaktion | |
auf den Ukrainefeldzug bis auf Weiteres die Akkreditierung. | |
## Uschews Botschaft wurde unterschlagen | |
Auch Uschew zog jetzt den Stecker und lehnte die Auszeichnung ab. Bei der | |
Zeremonie war er nicht persönlich anwesend, sondern schickte stattdessen | |
ein Video – mit Passagen auf Bulgarisch, Russisch und Englisch. Unter | |
anderen Umständen wäre er glücklich gewesen, diese Trophäe in Moskau | |
entgegenzunehmen. Doch das könne er heutzutage nicht tun – in einer Stadt, | |
wo die Führung Befehle erteile, Kinder, Frauen und Alte zu töten, Menschen | |
zu bombardieren, die frei sein wollten. | |
„Ich glaube, dass der Frieden kommen wird, dass in diesem Krieg das Gute | |
über das Böse siegen wird. Jede/r muss für sich entscheiden, auf welcher | |
Seite er/sie steht – auf der des Guten oder des Bösen“, sagte Uschew. | |
Das russische Staatsfernsehen enthielt den Zuschauer*innen Uschews | |
Botschaft vor. Ein Kommentator teilte mit, die Macher des Films hätten an | |
dem Festakt nicht teilnehmen können, der Preis werde ihnen später | |
überreicht. | |
## Die Gesellschaft ist gespalten | |
Ob und wie sich von Russland distanzieren, darüber besteht in Bulgarien | |
kein Konsens. Das Balkanland ist Russland historisch und kulturell immer | |
noch eng verbunden. Aber auch politisch. So üben sich die Sozialisten | |
(BSP), 2022 mehrere Monate mit in der Regierung, sowie Staatspräsident | |
Rumen Radew, ein Ex-Militär, in vornehmer Zurückhaltung, wenn es um | |
Waffenlieferungen an die Ukraine geht. Auch die Gesellschaft ist in der | |
Frage, wie weit die Solidarität mit der Ukraine gehen soll, tief gespalten. | |
Diesen Befund teilt der bekannte und international vielfach ausgezeichnete | |
bulgarische Schriftsteller [2][Georgi Gospodinow] in einem Beitrag für den | |
britischen Guardian von Anfang April. Auch er sorgt derzeit für | |
Gesprächsstoff. Sein Roman „Zeitzuflucht“, der für den International Book… | |
Prize 2023 gelistet ist, soll, wie bereits vertraglich vereinbart, auch ins | |
Russische übersetzt und in Russland vertrieben werden. | |
Gospodinows Argument: „Zeitzuflucht“, das Russlands Krieg gegen die Ukraine | |
in gewisser Weite antizipiert, beinhalte eine klare Anti-Putin-Botschaft | |
und müsse daher auch dem russischen Publikum zugänglich gemacht werden. | |
## Unterstützen, um zum Widerstand zu werden | |
Der bulgarische Kulturwissenschaftler und Medienexperte Georgi Lozanow | |
vermag zwar der Idee eines Boykotts des russischen Kulturlebens einiges | |
abzugewinnen. Gleichwohl kann er auch Gospodinows Entscheidung | |
nachvollziehen. | |
„Der Dissens einiger Intellektueller sollte nicht auch noch bestraft | |
werden, weil er kein erklärter Widerstand ist. Er sollte unterstützt | |
werden, um zum Widerstand zu werden“, schreibt Lozanow in einem Kommentar | |
für die Deutsche Welle. „Kunst dafür einzusetzen, gegen eine Diktatur auf | |
deren eigenem Terrain zu kämpfen, ist das genaue Gegenteil davon, sie dafür | |
zu nutzen, um einen Diktator vor der Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen.“ | |
10 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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schlauer. |