Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Buchautor Glukhovsky über Selbstzensur: „Eine erlernte Hoffnungs…
> In seinem Roman „Outpost – Der Aufbruch“ beschreibt Dmitry Glukhovsky e…
> dystopisches Russland. Er hat schon vor dem Krieg begonnen zu schreiben.
Bild: Der russische Autor Dmitry Glukhovsky lebt im Exil, das Foto entstand im …
taz: Herr Glukhovsky, Sie sind in Russland [1][als ausländischer Agent
eingestuft.] Momentan läuft ein Prozess gegen Sie wegen Verbreitung von
Falschinformationen, weil Sie öffentlich den Krieg gegen die Ukraine
verurteilen. Wie geht es Ihnen?
Dmitry Glukhovsky: Grundsätzlich gut, denn ich bin nicht in Russland, wo
ich jetzt im Gefängnis sitzen würde. Ich bin in Freiheit und glaube, dass
ich alles richtig gemacht habe. Ich habe öffentlich über Butscha
gesprochen, über Irpin, über russische Kriegsverbrechen, und ich habe
diesen Krieg einen Krieg genannt, was in Russland verboten ist.
Sie haben sich bereits vor dem Ukrainekrieg kritisch gegenüber Russland
geäußert. Hatte das schon einmal ähnlich ernste Konsequenzen wie jetzt?
Es wurden 2021 administrative Ermittlungen gegen mich eingeleitet, als ich
die Verhaftung Alexei Nawalnys kritisiert habe. Alle meine
Verfilmungsprojekte in Russland wurden gestoppt. Irgendwann bekam ich über
soziale Medien Todesdrohungen. Die letzten zweieinhalb Jahre waren ziemlich
intensiv.
Viele russische Künstler:innen und Autor:innen befinden sich aktuell
wie Sie im Exil in Europa. Wie viel Kritik am Putin-Regime ist innerhalb
Russlands noch vernehmbar?
Es sind gar nicht so viele russische Autoren im Ausland. Wir reden
vielleicht von einem Dutzend, die außerhalb Russlands für Demokratie und
liberale Werte einstehen. All diejenigen, die noch die Hoffnung haben,
zurückzukehren, etwa wegen ihrer Eltern, die halten sich zurück. Ich habe
die Entscheidung getroffen, dass ich in dieser konkreten Lage nicht
schweigen darf. Ich kann nicht so tun, als ob dieser Krieg mich nichts
angeht.
Lassen Sie uns über Ihren neuen dystopischen Roman sprechen. Darin ist
Russland nach einem Bürgerkrieg gespalten, ganze Landstriche sind verseucht
und verwaist. Es breitet sich unter den Menschen eine Krankheit, ein Wahn
aus, der mittels Wörtern übertragen wird. Sie scheinen Sprache eine große
Macht zuzuschreiben.
Sprache hat unglaubliche Macht. Wörter bestimmen das Denken. Man kann das
gerade in Russland sehr genau sehen, wo eine Art Orwell’scher Neusprech
entsteht. Wenn du dem Regime treu bist, nennst du den Krieg nicht Krieg –
sonst bist du automatisch ein Regimegegner, sondern Spezialoperation. Bei
einem Krieg wären die russischen Behörden dazu verpflichtet, die Anzahl von
Opfern zu veröffentlichen. Eine Spezialoperation wiederum ist Sache des
Militärs, da muss überhaupt nichts öffentlich erklärt werden. Es wird ein
bestimmter Wortschatz verwendet, um über die Aktionen der russischen Armee
zu sprechen. Der Krieg sei eine Rettungsoperation, um die Bevölkerung vor
ukrainischen Nazis zu schützen und so weiter. Wenn du deine Feinde in einer
bestimmten Weise beschreibst, sind das plötzlich keine Menschen mehr,
sondern legitime Ziele für Angriffe, Hinrichtungen.
Im Roman lässt der Herrscher, der Zar, vertuschen, was vor sich geht, und
sogenannte Panikmacher einsperren. Ein Verweis auf heute?
In meinem Roman beschreibe ich die Auswirkungen von Hasspropaganda. Ich
habe ihn vor drei Jahren geschrieben, also lange vor diesem Krieg. Als ich
schrieb, dass sich Menschen über Wörter infizieren, kam mir das wie eine
Übertreibung vor, mittlerweile bekomme ich aber viele Nachrichten von
Leuten, die mir sagen, ich hätte die Situation genau vorausgesehen.
Sie schreiben, dass Russen generell sehr in der Vergangenheit verhaftet
sind. Sie haben aber einen Roman über die Zukunft geschrieben. Warum?
Das Hauptproblem Russlands ist, dass Russlands Zukunft irgendwie immer auch
Russlands Vergangenheit ist. Die aktuelle russische Regierung besteht aus
Personen, die 70 Jahre alt sind und Angst vor der Zukunft haben, weil sie
in dieser Zukunft keinen Platz haben. Die einzige Zukunft, die sie sich
vorstellen können, ist eine nach chinesischem Modell, eine totale. Die
einzigen Elemente der Zukunft, die sie attraktiv finden, ist die
omnipräsente, digitale Kontrolle. Ansonsten soll Russland wie ein
monarchistischer Staat funktionieren, mit einem starken Führer oben und
Untertanen unten.
Werden Ihre Bücher in Russland eigentlich noch verkauft?
Ja, aber sie müssen in einem nichttransparenten Umschlag verpackt und mit
dem Zusatz markiert sein, dass sie von einem ausländischen Agenten verfasst
worden sind. Das diskreditiert mich natürlich, aber es stört mich
inzwischen nicht mehr. „Metro 2033“, das erste Buch, das ich geschrieben
habe, war im letzten Jahr das populärste Buch meines Verlags, weil es von
einem Atomkrieg handelt. Die Angst vor Atomkriegen ist in Russland aktuell
verständlicherweise groß.
Wie frei ist die Literatur in Russland?
Immer noch frei, aber das wird nicht mehr lange so bleiben. Das Kino ist
komplett zensiert. Alles, was ausgestrahlt wird, muss vorher durch die
staatliche Kontrolle, wird letztlich von Mitarbeitern des Geheimdiensts
geprüft. In der Welt der Literatur fand zuletzt ein Prozess der
Monopolisierung statt. Der Oligarch Oleg Novikov kontrolliert mit seinen
Verlagen nun mehr als 80 Prozent des Literaturmarkts. Die Instrumente, um
Literatur weitflächig zu zensieren, hat er also schon. Eigentlich hat die
Literatur aber ohnehin keinen großen Einfluss, weil heute nicht mehr viel
gelesen wird. Die sozialen Medien hingegen werden flächendeckend
kontrolliert, Festnahmen und Erpressungen sind an der Tagesordnung und es
gibt Influencer, die im Auftrag des Staats senden.
Sie sind in sozialen Medien aktiv. Bei Instagram haben Sie kürzlich
geschrieben, dass der Krieg für die Ukraine ähnlich zerstörerisch sei wie
für die russische Bevölkerung. Was meinen Sie damit?
Der Hauptgrund für diesen Krieg, obwohl es ein Angriffskrieg ist, mit dem
Ziel, die Ukraine zu unterwerfen, liegt in der Innenpolitik. Putin will
jegliche Kritik an ihm und seinem Umkreis unterdrücken, demokratische
Bewegungen ersticken. Vor dem Krieg dachte ich, wir müssten einfach warten,
bis Putin stirbt, dann käme eine neue Welle von jungen, nach Westen
orientierten Politikern, die nicht die gleichen Minderwertigkeitskomplexe
wie Putin in Bezug auf den Untergang der Sowjetunion haben. Doch diese
Hasspropaganda jetzt macht nachhaltig etwas mit den Menschen. Sich aus
Angst und Konformismus ständig selbst zu zensieren, Lügen zu wiederholen,
ist eine sehr traumatische Erfahrung, das weiß man aus der Sowjetzeit. Es
schafft eine kognitive Dissonanz. Um nicht ständig in Angst zu leben,
versuchst du dich irgendwann selbst zu überzeugen, dass diese Lügen wahr
sind. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiges Instrument von wirklicher,
nicht metaphorischer Versklavung.
Haben Sie keine Hoffnung, dass der Widerstand innerhalb Russlands gegen
Putin und den Krieg wachsen wird?
Das Erbe der Sowjetzeit besteht darin, dass die Leute immer noch Angst vorm
Staat haben und nicht glauben, dass sie gegen ihn aufbegehren können. Eine
erlernte Hilflosigkeit. Die Demonstrationen gegen den Krieg, die es in
Russland gab, gingen von Leuten aus, die eigentlich keine Hoffnung mehr
hatten. Ihr Gewissen hat sie dazu getrieben, sich öffentlich gegen den
Krieg zu positionieren, damit ihre Enkel ihnen nicht einmal Untätigkeit
vorwerfen müssen. Einen liberalen Widerstand werden wir in Russland in der
nächsten Zeit nicht sehen. Wenn die westlichen Sanktionen weiter
aufrechterhalten werden, was ich richtig fände, wird vielleicht nach Putins
Tod der neue Machthaber einsehen, dass es sinnvoll ist, Frieden mit dem
Westen zu schließen, wofür Russland Bedingungen erfüllen muss.
Welche wären das?
Reparationszahlungen an die Ukraine und die Rückgabe der ukrainischen
Territorien. Eine schnelle Lösung sehe ich nicht. Putin hat in Russland
beinahe unbegrenzte Macht. Politische Aktivisten werden nicht nur bedroht,
sondern auch erniedrigt, indem man ihre erzwungenen Geständnisse auf Video
aufnimmt und verbreitet. Es gibt viele Arten, die Leute zu demotivieren.
Hilflosigkeit ist das vorherrschende Gefühl. Einen Umschwung aktuell könnte
nur ein Palaststurm oder eine Straßenrevolution bewirken.
Unwahrscheinlich, oder?
Ja. Aber vielleicht haben die Kriegsveteranen, wenn sie zurückkehren,
enttäuscht und traumatisiert, wenn sie Tod und Blut gesehen haben, keine
Angst mehr vorm Staat. Das ist ja auch bei der Oktoberrevolution von 1917
der Fall gewesen. Die Generation, die keine Kriege miterlebt hat, fand es
unvorstellbar, gegen den Staat und den Zarismus vorzugehen. Die Leute, die
zuletzt in Moskau auf die Straße gegangen sind, sind Leute aus der
Mittelklasse, die sich scheuen, einen Stein in die Hand zu nehmen. Die
andere Frage ist aber, wie man diese Kriegsveteranen erreichen wird. Was
ihre Ziele sind, wie sie einen Umschwung herbeiführen wollen. Das wird
definitiv nicht auf demokratische Art erfolgen.
16 May 2023
## LINKS
[1] /Russland-fahndet-nach-SciFi-Autor/!5860025
## AUTOREN
Julia Hubernagel
## TAGS
Russland
Literatur
Ukraine-Konflikt
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine
Autor
Dystopie
Wladimir Putin
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
deutsche Literatur
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Sowjetunion
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Zensur in Russland: Wie zu Stalins Zeiten
Boris Akunin war noch vor einiger Zeit der am meisten gelesene Krimiautor
Russlands. Nun hat ihn der Staat zum „Terroristen“ erklärt.
Dichter Christoph Martin Wieland: Der Platzhirsch vor Goethe
Zu seinen Lebzeiten war der Schriftsteller Christoph Martin Wieland vorne
dran. Jan Philipp Reemtsma entdeckt in seiner Biografie einen
Sprachkünstler.
Ukraine-Solidarität in Bulgarien: Den Goldenen Georg zurückgeschickt
Der Regisseur Teodor Uschew hat seinen russischen Filmpreis zurückgegeben.
Wenn es um Solidarität mit der Ukraine geht, ist Streit vorprogrammiert.
Russischer Dissident Warlam Schalamow: Kontakt mit der Vergangenheit
Schriftsteller Warlam Schalamow überlebte den sowjetischen Gulag. Seine
Briefe sowie seine Biografie geben Einblicke in eine Poetik des Schreckens.
Georgische Autorin über Sowjetunion: „Eine patriarchale, gewalttätige Zeit�…
Russland werde unter Putin seine Geschichte nie aufarbeiten können, sagt
die aus Georgien stammende Theaterregisseurin und Autorin Nino
Haratischwili.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.