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# taz.de -- Zensur in Russland: Wie zu Stalins Zeiten
> Boris Akunin war noch vor einiger Zeit der am meisten gelesene Krimiautor
> Russlands. Nun hat ihn der Staat zum „Terroristen“ erklärt.
Bild: Boris Akunin während einer Protestveranstaltung in Moskau, Archivaufnahm…
Kaum über 20 ist er, nicht einmal 1,60 Meter groß, schmächtig, mit glatten,
schwarzen Haaren und hellblauen, eng stehenden Augen, Haut: reinweiß. So
beschreibt der russische Autor Boris Akunin seinen eher tölpelhaften
Ermittler Fandorin, der im Zarenreich fast schon fantastisch anmutende
Fälle löst.
Mit dieser Figur ist der im sowjetischen Georgien als Grigori
Tschchartischwili geborene Autor weit über Russlands Grenzen hinaus bekannt
geworden. „Fandorin“ ist lustig, ist feingeistig – und in russischen
Buchläden seit wenigen Tagen nicht mehr zu finden. Entfernt samt allen
anderen Büchern Akunins.
Der Grund: Der Staat hat den 67-jährigen Erfolgsautor auf die „Liste der
Terroristen und Extremisten“ gesetzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt
wegen Rechtfertigung von Terrorismus und Verbreitung von Falschnachrichten.
Der Moskauer Verlag AST, der Akunins Bücher seit jeher publiziert, hat den
Druck seiner Werke eingestellt. Auch auf russischen Onlineplattformen
werden Akunins Bücher nicht mehr gelistet.
Die Moskauer Buchhandlung Sacharow, die Fandorin und Co weiterhin zum
Verkauf anbot, wurde von den Sicherheitskräften durchsucht, die Inhaberin
zur Befragung mitgenommen. Akunin ist wegen seiner Kritik am russischen
Krieg gegen die Ukraine zum „Feind Russlands“ erklärt worden – und wird
gecancelt.
## Anruf von falschem Selenskyj
Noch vor wenigen Jahren überhäufte ihn der Staat mit Preisen, nun stempelt
dieser Staat ihn als Kriminellen ab. „Meine unglückselige Heimat ist in die
Hände von Verbrechern geraten“, schrieb Akunin nach der Entscheidung der
russischen Finanzaufsichtsbehörde Rosfinmonitoring, ihn auf die
Terroristenliste zu setzen. „Die Menschen, die dort leben, auch die, die es
noch nicht gemerkt haben, sind Geiseln. Das ist kein böser Traum. Das
passiert in Russland wirklich.“
Akunin, wie auch sein [1][Schriftstellerkollege Dmitri Bykow], waren auf
Videoanrufe der kremltreuen Comedians Wowan und Lexus hereingefallen. Diese
– sie hatten auch bereits Angela Merkel und Robert Habeck reingelegt –
riefen als ukrainischer Kulturminister und ukrainischer Präsident Wolodymyr
Selenskyj bei Akunin an. Da Selenskyj noch zu seinen Schauspielerzeiten
„Fandorin“ spielte und Akunin ihn deshalb persönlich kannte, machte sich
der Schriftsteller offenbar kaum Gedanken über den merkwürdigen Anruf.
Er berichtete darin über seine Unterstützung für die Ukraine, zeigte
Verständnis für ukrainische Angriffe auf russisches Territorium und sagte,
wie er das bereits mehrfach getan hatte, Russland sei zu moskauzentriert
(in Moskau selbst gelten solche Aussagen als Aufrufe zum Separatismus).
Kurz nachdem die Aufzeichnungen des Gesprächs veröffentlicht worden waren,
bekam es Akunin, der seit 2014 in Großbritannien lebt, mit den russischen
Behörden zu tun. Wenn auch in Abwesenheit. „Es scheint ein unbedeutendes
Ereignis, was ist schon dabei, so ein Buchverbot“, schrieb er daraufhin
bitter.
Dass Akunins Bücher so bereitwillig aus den Bücherregalen genommen werden,
dass auch andere [2][Autor*innen, vor allem die, die der Staat als
„ausländische Agenten“ listet, kaum mehr in russischen Buchläden zu finden
sind], ist eine neue Zäsur in Putins Russland. Seit den Zeiten des Großen
Terrors unter Stalin wurde kein Schriftsteller zum Terroristen erklärt,
Bücher wurden zuletzt in der Sowjetunion verboten. Manche gehen da noch
weiter: Der Duma-Abgeordnete Andrei Guruljow forderte offen, Akunin gehöre
„physisch vernichtet, egal, wo er sich aufhält“. Eine solche Rhetorik ist
mittlerweile alltäglich in Russland.
27 Dec 2023
## LINKS
[1] /Autor-Sergej-Lebedew-ueber-Giftmorde/!5787843
[2] /Internationales-Kulturforum-in-Russland/!5970201
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Wladimir Putin
Russland
Zensur
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