# taz.de -- Ausgestellte Waffen-Messen-Fotos: Im Backoffice der Schlachtfelder | |
> Acht Jahre lang hat Nikita Teryoshin auf Waffen-Messen fotografiert. Zu | |
> sehen ist seine Serie „Nothing Personal – The Back Office of War“ in | |
> Hamburg. | |
Bild: Unter Geschäftspartnern: Am Stand des ukrainischen Staatskonzerns UkrObo… | |
Als neulich am Ende einer Veranstaltung des Hamburger Körber-Forums die | |
ukrainische Schriftstellerin [1][Tanja Maljartschuk] vom Publikum etwas | |
hilflos gefragt wurde, wie man nach zwei Jahren Krieg ihrem Land noch | |
helfen könne, musste sie nicht lange nachdenken: „Unterstützen Sie das | |
ukrainische Militär.“ | |
Nun geht man durch die Hamburger [2][Galerie des Fotografinnen- und | |
Fotografen-Verbandes Freelens]. Zu sehen ist die Ausstellung „Nothing | |
Personal – The Back Office of War“ von Nikita Teryoshin. Es geht auf | |
Waffen-Messen in aller Welt, etwa nach Abu Dhabi, nach Minsk, nach Lima | |
oder nach Zhuhai; von 2016 bis 2023 war er unterwegs. | |
Teryoshin zeigt in präzisen Bildern, wie man dort unter sich bleiben will, | |
wenn man Geschäfte mit dem Krieg macht und dafür dennoch eine Art | |
Fachöffentlichkeit braucht. Auch sind Waffen aller Arten zu sehen. Waffen, | |
wie sie die Ukraine gut gebrauchen könnte – wie man denkt, wenn man zu den | |
Befürwortern einer militärischen Unterstützung des bedrohten Landes gehört, | |
ob nun von Beginn an entschlossen oder notgedrungen oder schweren Herzens | |
und vielleicht auch tief beschämt darüber, dass sich die Ideen der puren | |
Friedfertigkeit in der Realität als blanke Illusionen erwiesen haben. | |
Mithin: Ist die Ukraine der weiße Elefant im Raum? | |
Ja, was denkt man denn, an welchen Orten Waffen verkauft werden, wie es da | |
ausschaut, was das für ein Geschäft und also auch Geschäftsgebaren ist? Und | |
was das für Leute sind, die das tun und die davon, wie zu sehen ist, sehr | |
gut leben und die ihre Macht mit unbekümmerter Deutlichkeit zur Schau | |
stellen? Und flux ist man mittendrin in einem Wirrwarr aus | |
widersprüchlichen Gefühlen und Überlegungen, wenn man von Bild zu Bild geht | |
und wieder zurücktritt und die Welt draußen dazuholt. | |
## Fragen nach Moral | |
Man könnte es sich einfach machen und die fotografische Eleganz und noch | |
mehr die unbedingte Stringenz der Fotografien loben, ihre Beharrlichkeit | |
und auch den bissigen Humor. Und ja: „Nothing Personal“ ist keine | |
soziologische Arbeit, es ist keine wissenschaftliche Studie, sondern eine | |
gelungene fotoästhetische Dokumentation. Doch gleichzeitig sind sie immer | |
da, die Fragen nach Moral und Verantwortung. Man fühlt sich zum | |
Positionieren aufgerufen, wenn man beispielsweise auf das Bild schaut, auf | |
dem zwischen wohl präsentierten Maschinenpistolen die gefüllten | |
Schnapsgläser bereitstehen, [3][na dann Prost]! | |
Was hilft: Sich die Zeit nehmen, die diese Ausstellung braucht, auch um | |
Fragen zuzulassen. Etwa: Warum sollen Leute, die Panzer kaufen und | |
verkaufen und dazu auch Panzerabwehrkanonen, nicht zwischendurch etwas | |
essen? Und sieht ein Büffet, wenn es nur grell geblitzt fotografiert wird, | |
nicht immer schräge und unappetitlich aus? | |
Immer wieder zeigt Nikita Teryoshin, der Freelens-Mitglied ist, in welche | |
Abgründe es geht, wenn man erst mal die Sphäre des Militärischen betritt, | |
welcher Preis abverlangt wird. Immer wieder stehen wir etwas dumm da, mit | |
unseren Waffenwünschen an die Ukraine, also wenn wir zu den Befürwortern | |
einer militärischen Unterstützung gehören. Wenn nicht, ist alles klar. Also | |
hier im Galerieraum; draußen in der Welt könnte das sofort anders sein. | |
Teryoshin verzichtet strikt darauf, die Gesichter der Anwesenden zu zeigen, | |
wenn sie Verträge unterzeichnen, wenn sie gelangweilt Flugschauen verfolgen | |
oder sich Visitenkarten reichen. Mal sieht man eine Kinnpartie, mal einen | |
Halsansatz, den Hinterkopf, so etwas. Was den Personen, die ja trotzdem vor | |
Ort gewesen sind, etwas abstrakt Puppenhaftes gibt. „Ich wollte verhindern, | |
dass der Betrachter die Menschen auf den Messen als Personifizierung des | |
‚Bösen‘ sieht – und es sich so zu leicht macht“, so Teryoshins durchaus | |
einleuchtende Begründung neulich in einem Interview. | |
Spannend ist daher dieser eine Moment, wo er dieses Prinzip überprüft: Es | |
gibt in der Ausstellung ein interessantes Video, gut vier Minuten lang, das | |
einige der Besucher vom Scheitel bis zur Sohle zeigt, also auch deren | |
Gesichter: Leute stehen an einem Stand herum und reden, schieben sich die | |
Brille ins Haar. Ein Mann geht kurz durchs Bild, greift sich eine Art | |
Rakete, [4][als wäre er in einem Baumarkt], stellt sie wieder hin. ‚Ach, | |
brauche ich doch nicht‘, scheint seine Gestik zu sagen. Und die Idee und | |
auch der Wunsch nach der Monstrosität des Bösewichts, der nicht erkannt | |
werden darf, ist mit einem Mal dahin. | |
## Errechnete Feuerbälle | |
Der Clou in dem Video ist aber ein Film, der seinerseits an diesem Stand | |
gezeigt wird, ein Werbevideo: Die Flugbahnen werden am Computer eingegeben, | |
die Raketen abgeschossen, suchen sich ihr Ziel und schlagen punktgenau ein. | |
Immer wieder geht es von vorne los, der Film vom Stand mit dem Mann, der | |
durchs Bild läuft, der Werbefilm vom Abschuss der Geschosse, ein Loop im | |
Loop. | |
Und schaut man genauer, also mehrmals hin, dann sieht man: Viele der zu | |
betrachtenden Einschläge und Explosionen, für die geworben wird, sind | |
ihrerseits am Computer generiert worden, sie sind errechnete Feuerbälle. Um | |
ein altmodisches Wort zu nutzen: Sie sind nicht echt. Ach, herrje, wo ist | |
man hier hineingeraten! | |
Also eine Empfehlung? Oder nicht? Aber ja! Unbedingt hingehen, sich | |
verwirren lassen, ratlos werden, vielleicht auch bleiben und vor allem das | |
Schauen trainieren. Das schnelle Eindeutige ist ja nie ein guter Ratgeber, | |
ist es auch nie gewesen. | |
24 Feb 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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