# taz.de -- Fotograf Ziv Koren über Bilder aus Gaza: „Sie kämpfen gegen ein… | |
> Seit dem 7. Oktober begleitet Fotograf Ziv Koren die israelische Armee | |
> bei Operationen in Gaza. Seine Bilder zeigen einen unsichtbaren Feind. | |
Bild: Begräbnis von israelischen Opfern des Terroranschlags vom 7. Oktober | |
Ziv Koren sitzt in einem Hotel in Berlin-Mitte. Vor ihm ausgebreitet liegen | |
Kopien einiger seiner Bilder, die er seit dem 7. Oktober in Israel | |
fotografiert hat. Am Abend wird er eine Ausstellung seiner Fotodokumente | |
eröffnen, die in Zusammenarbeit mit der Botschaft des Staates Israel in | |
Deutschland im Berliner Abgeordnetenhaus gezeigt wird. Koren greift nach | |
einem Bild, das einen israelischen Soldaten in einem zerstörten Kibbuz | |
zeigt. Vor ihm ein Tisch, auf dem ein Shabbat-Mahl angerichtet ist. Der | |
Soldat weint, sein Kommandeur hält ihn im Arm. | |
taz: Herr Koren, die Terroristen der palästinensischen Hamas filmten ihre | |
Gräueltaten am 7. Oktober mit GoPro-Kameras an ihrer Kleidung. Diese Videos | |
brutalster Gewalt verbreiteten sie dann im Internet. Das Bild, das Sie, | |
Herr Koren, gerade in der Hand hielten, zeigt ebenfalls das Ausmaß von | |
Gewalt – jedoch viel subtiler – sowie die berührende Reaktion eines | |
Soldaten darauf. Wie haben Sie diesen Moment damals erlebt? | |
Ziv Koren: Am 7. Oktober begleitete ich die israelische Spezialeinheit | |
LOTAR in den Kibbuz Kfar Aza. Da dauerten die Kämpfe gegen die Hamas im | |
Land noch an. Die Soldaten gingen mit gezogenen Waffen von Haus zu Haus, | |
weil sie fürchteten, dass sich dort noch Terroristen versteckten. Ich | |
betrat gemeinsam mit den Soldaten das Haus einer Familie, die getötet | |
worden war. Wir sahen einen Tisch, der für den jüdischen Feiertag Simchat | |
Tora angerichtet war. Und bei diesem Anblick brach der Soldat, der zuvor | |
noch hoch konzentriert war, in Tränen aus. Es war emotional, für alle | |
Anwesenden. | |
Haben Sie in diesem Moment bereits begriffen, was in Israel passiert war? | |
Seit über 30 Jahren bin ich Fotojournalist. Ich habe auf der ganzen Welt | |
über Kriege und Naturkatastrophen berichtetet: über das Erdbeben in Haiti | |
und Nepal, in der Türkei, über den Krieg in der Ukraine und immer wieder | |
über Krieg und Terroranschläge in Israel. Der 7. Oktober war anders als | |
alles, was ich je zuvor erlebt habe. Ich bin am Morgen aufgewacht und habe | |
verstanden, dass gerade etwas sehr Schlimmes passiert ist. Das Ausmaß der | |
Ereignisse konnte ich aber noch nicht begreifen. Ich habe versucht, meine | |
Kontakte in der israelischen Armee und in den Spezialeinheiten anzurufen. | |
Niemand ging ans Telefon. Sie kämpften alle bereits. | |
Also sind Sie auf eigene Faust losgefahren? | |
Ich habe mich mit einigen Fotokollegen an einem Treffpunkt in Aschkelon | |
verabredet. Die Stadt liegt im Süden Israels und nicht weit von Gaza | |
entfernt. Wir versuchten [1][nach Sderot zu kommen]. Aus dieser Stadt sahen | |
wir an dem Morgen die ersten Bilder: Terroristen auf Pick-Up-Trucks, die | |
durch die Gegend schossen. Wir schlugen uns über Nebenstraßen durch und | |
gerieten in einen Schusswechsel mit Hamas-Terroristen, bei dem wir zwanzig | |
Minuten auf dem Boden lagen, uns hinter Autos versteckten. Die waren später | |
voll mit Kugeln. Das waren sehr lange 20 Minuten. | |
Was hat sich für Sie persönlich seit dem Angriff der Hamas verändert? | |
Das ist eine schwierige Frage. Ich denke nicht an mich persönlich, ich | |
denke an die israelische Gesellschaft. Es müssen Lösungen gefunden werden, | |
um diesen Konflikt zu beenden. Israel muss alles Notwendige tun, um die | |
Geiseln aus Gaza zurückzubringen. Das steht an erster Stelle. Jeder weitere | |
Tag entscheidet über ihr Leben. Man muss aber auch die Situation der | |
Zivilisten in Gaza verstehen. Jemand muss für sie Verantwortung übernehmen. | |
Wir sind umgeben von muslimischen Ländern, aber keines von ihnen ist | |
bereit, auch nur einen einzigen Palästinenser aus dem Gazastreifen als | |
Flüchtling in seinem Land aufzunehmen. | |
Nach dem Massaker waren Sie als einer der ersten Reporter mit der IDF im | |
Gazastreifen. Was haben Sie dort erlebt? | |
Im Gegensatz zu herkömmlichen Kriegen kämpft Israel in Gaza gegen eine | |
Terrororganisation. Die Armee kämpft buchstäblich gegen ein Gespenst. Man | |
sieht den Feind nicht. Er ist in Zivil gekleidet. Er hat keine Waffe, bis | |
er mit einer AK-47 oder einer Panzerfaust aus dem Boden hervorspringt. | |
Häuser sind mit Sprengfallen versehen. Überall gibt es Minen und Tunnel. | |
Die Terroristen halten sich an keine Regeln, die sonst im Krieg gelten, an | |
keine Genfer Konvention. Sie schießen aus Krankenhäusern, aus Schulen, aus | |
Moscheen. | |
In einem Interview sagten Sie einmal, als Kriegsfotograf „fotografierst du, | |
was du kannst. Nicht, was du willst.“ Was würden Sie denn gerne | |
fotografieren? | |
Ich wünschte, ich könnte von einer Seite zur anderen wechseln, Fotos auf | |
der palästinensischen Seite schießen, dann wieder auf der israelischen. | |
Aber in einem Krieg, in dem du selbst das Ziel bist, ich als Israeli, kann | |
ich nicht tun, was ich will. Die Hamas kontrolliert [2][auf der | |
palästinensischen Seite zu hundert Prozent die Medien]. Das Einzige, woran | |
die Terroristen interessiert sind, ist, Zivilisten in Gaza zu zeigen, die | |
erschossen oder verwundet wurden. Ich sage nicht, dass es das nicht gibt. | |
Die Hamas setzt solche Bilder aber gezielt als Kriegswaffe ein. Wir haben | |
seit dem 7. Oktober kein einziges Bild gesehen, auf dem die Hamas gegen | |
Israel zurückschlägt. Dabei sterben jeden Tag israelische Soldaten. In | |
Israel kann ich mich frei als [3][Fotojournalist] bewegen. Ich kann die | |
Geschichten erzählen, die ich möchte. In Gaza ist das nicht möglich für | |
Fotografen. Die Hamas ist keine demokratische Autorität. | |
Aber es gibt Vorgaben durch das israelische Militär, wenn Sie mit ihnen | |
unterwegs sind. | |
Es gibt zwei Arten von Zensur für meine Arbeit. Die erste ist die | |
moralische. Nach dem Massaker hat Israel Fotojournalisten den Zutritt in | |
die Kibbuzim so lange nicht erlaubt, bis sie die Leichen zugedeckt hatten. | |
Die Hamas hingegen bewegt Leichen nicht, bis die Fotografen weg sind. Sie | |
will mit Babyleichen und menschlichen Überresten schockieren. Die zweite | |
Art von Zensur ist professioneller Art. Wenn ich mit der Armee unterwegs | |
bin, muss ich darauf achten, in meinen Bildern keine Hinweise auf den | |
Standort der Soldaten zu verraten. Ich verpixle auch die Gesichter von | |
Soldaten der Spezialeinheiten, um sie zu schützen. Aber noch nie hat ein | |
IDF-Sprecher meine Bilder durchgeschaut und mir vorschreiben wollen, welche | |
ich veröffentlichen darf oder nicht. Israel ist eine Demokratie, [4][in der | |
offen Kritik geübt werden kann]: an der Regierung, an der militärischen | |
Operation in Gaza. | |
Ihre Fotografien prägen seit drei Jahrzehnten den Blick auf den | |
israelisch-palästinensischen Konflikt. Spüren Sie diese Verantwortung? | |
Es geht mir nicht darum, dass meine Bilder auf Titelseiten und in der | |
Zeitung von morgen abgedruckt werden. Dafür tue ich das nicht. Ich sehe | |
das, was ich tue, als Mission an, und die lautet: Geschichte zu | |
dokumentieren. Das ist die Verantwortung, die ich trage. | |
Sie haben Kriege und Katastrophen fotografiert. Haben Sie noch Hoffnung für | |
die Zukunft? | |
Ich bin Optimist, aber seit dem 7. Oktober bröckelt diese Überzeugung. | |
Israel ist von Feinden umgeben, dennoch haben wir nicht kommen sehen, was | |
passiert ist. Unsere Geheimdienste haben versagt, obwohl sie als die besten | |
der Welt gelten. Wir werden nach Lösungen für diesen Konflikt suchen | |
müssen. Krieg ist keine Lösung. Am Ende dieses Krieges werden wir uns aber | |
auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, was mit zwei Millionen | |
Palästinensern in Gaza passieren soll. Es ist möglich, die Hamas zu | |
zerstören, aber wie geht man gegen ihre Ideologie vor? Diese Ideologie, der | |
Hass, hat es möglich gemacht, dass die Terroristen wie Monster Gräueltaten | |
ausüben konnten. Wer sonst bringt Babys um und schlachtet Kinder ab? Kein | |
normaler Mensch ist zu so etwas in der Lage. | |
22 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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