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# taz.de -- Russische Propaganda in Wochenzeitung: Kampf der Patrioten
> Wer russische Medien liest, erlebt ein Feuerwerk von Lügen und
> Verdrehungen. Die Berliner Stadtbibliothek legt eines dieser Medien aus.
Bild: Propaganda ist im Alltag präsent: Werbung für den Dienst im russischen …
Die Wochenzeitung Argumenty i fakty ist laut Impressum außerhalb Russlands
„not for sale“. In der Berliner Stadtbibliothek liegt sie trotzdem aus:
Momentan ist die Ausgabe 9/2023 (Anfang März) verfügbar. Die Bibliothek hat
diese Zeitung abonniert, um Leser*innen „möglichst das gesamte
Medienspektrum anbieten zu können“, erklärt Pressesprecherin Anna Jacobi.
Laut Eigenangabe liegt die Auflage bei über 1,2 Millionen Exemplaren. Der
Eigentümer wird dort aber nicht genannt.
Tatsache ist: Die Zeitung wird von der Moskauer Stadtregierung
herausgegeben. Sie hat Argumenty i fakty – einst unabhängiges Flaggschiff
der Perestroika-Ära, um 1990 mit einer Auflage von über 33 Millionen
Exemplaren – bereits 2014 aufgekauft.
Seit der Krim-Annexion und der Besetzung der Ostukraine verfügt die
Moskauer Exekutive also über ein bestens eingeführtes
Veröffentlichungsorgan. Ein Jahr nach Beginn des russischen
Angriffskriegs ist diese Publikation ein interessantes Anschauungsobjekt,
um die Mechanismen staatlicher Propaganda zu analysieren.
So werden Porträts von „Helden der Spezialoperation“ in verschiedene
Ressorts gestreut und prominent bebildert. Die Texte nutzen reportagehafte
Elemente und setzen schon in der Überschrift direkte Rede ein, um
Authentizität zu suggerieren: „Ich habe mein Business aufgegeben und
Hubschrauber gekauft.“
## Russen als Helden inszeniert
So wird das Porträt eines ursprünglich militärfremden jungen Mannes
angetitelt, der als Kriegsgewinnler Wohnungen im Donbass kaufen will, sich
dann vor Ort von der Notwendigkeit des Kampfeinsatzes überzeugt. Nun
investiert er sein Geld in Militärtechnik und bleibt als Freiwilliger vor
Ort.
„Der Engel kommt als Retter. Die Geschichte des Freiwilligen Gagarin, der
Hunderte Kinder unter Beschuss des ukrainischen Militärs aus [1][Mariupol]
gerettet hat“, wird ein zweiter Text betitelt. Er vermittelt den Eindruck,
die ukrainische Armee habe die Stadt unrechtmäßig besetzt – und die
heldenhaften russischen Verteidiger setzten ihr Leben für Zivilisten aufs
Spiel.
Vor dem Hintergrund der russischen Blockade und der Zerstörung des Theaters
von Mariupol, in dem Frauen und Kinder Schutz suchten, kann der Text nur
als Versuch gewertet werden, die geschundene Stadt positiv zu besetzen. Ob
es die Personen, so wie sie geschildert werden, wirklich gibt, muss in
Zweifel gezogen werden.
Viele Texte behandeln Sanktionen von USA und EU gegen Russland. Die
Hauptthese wird immer wiedergekäut: Sanktionen belasten die russische
Wirtschaft weniger als angenommen. Im Wirtschaftsteil ist ein Text über
Klopapier, dessen Diktion an die Panik zu Anfang der Coronapandemie
erinnert: Hamsterkäufe als erste Reaktion auf Sanktionen.
## Russland wird konsequent als Opfer dargestellt
Inzwischen ist die türkische Firma Hayat Kimya Marktführer in Russland:
Klopapier kostet über 30 Prozent mehr als vor Kriegsbeginn. Für vier Rollen
Klopapier zahlt man in Moskau momentan 200 Rubel (etwa 2,50 Euro), vor dem
Krieg waren es 130 Rubel.
Im Politikteil wird Russland konsequent als Opfer dargestellt, illustriert
mit einer Collage, die die Sanktionen von USA und EU als ansteigende Mauer
dargestellt. Das wird mit der ikonischen Fotografie der Erstürmung des
Berliner Reichstags 1945 kurzgeschlossen. Garniert mit zwei Flaggen: die
sowjetische und die russische – mit der Losung „Mobilisierung der
Wirtschaft“.
Der Text geht auf das Motiv, das zwei historisch unterschiedliche
Situationen visuell gleichsetzt, gar nicht ein. Am Schluss die Drohung:
„Man zwingt uns zu den Prinzipien zurückzukehren, die Zar Alexander III.
Ende des 19. Jahrhunderts formuliert hat: Russland hat nur zwei Verbündete:
sein Heer und seine Marine.“
Die im Politikteil aufgestellte Behauptung, USA und Nato streben die
Auflösung Russlands an, wird im Gesellschaftsressort durch einen Artikel
flankiert, der das am 23. Dezember 1917 von Frankreich und Großbritannien
unterzeichnete Abkommen in Erinnerung ruft. Darin haben beide Mächte im
Falle eines Separatfriedens zwischen Russland und dem Deutschen Reich eine
gemeinsame Intervention und die Aufteilung Russlands in verschiedene
Einflusssphären beschlossen.
## Der Westen als Feindbild und „künstliches Konstrukt“
Der Text reiht Zeitzeugenberichte von 1919 aneinander, die nur von
Gräueltaten durch US-Soldaten berichten. Sie kämpften damals mit den
„Weißen“ gegen die Bolschewiki. Daraufhin wird der Großfürst Alexander
Michailowitsch zitiert, der auch nach der Machtergreifung Lenins gesagt
haben soll: „Die Integrität Russlands ist in jedem Fall zu verteidigen, und
Schritt für Schritt werden wir uns (nach den Gebietsverlusten als Folge des
Ersten Weltkriegs) wieder an unsere ursprüngliche Westgrenze annähern.“
Historische Ereignisse werden manipulativ eingesetzt, um in der Bevölkerung
Angst vor einer etwaigen Wiederholung zu schüren und Behauptungen zu
stützen. „Die Geburt des Westens. Wie es Churchill gelang, den USA und
somit der ganzen Welt seine schon lange währende Russophobie
überzustülpen“, beginnt ein Text, der sich auf Churchills Rede vom 5. März
1946 bezieht, in der der britische Premier erstmals vom Eisernen Vorhang
sprach. Der Artikel bemüht sich, den Westen als „künstliches Konstrukt“ zu
entlarven, und bezichtigt ihn einer latent antirussischen Haltung.
Die Webseite von Argumenty i fakty spricht von mehr als 38 Millionen
Zugriffen im Februar. Dem Youtube-Kanal folgen 78.000 Follower. Hier ist
etwa der Zweiminüter „Schlacht der Woche“ mit einer halben Million
Zugriffen zu sehen. Dramatische Musik unterstreicht Filmaufnahmen aus der
Vogelperspektive. Drohnen machen „den Gegner unschädlich“, russische
Verluste werden komplett ausgeblendet. Hält man sich an Argumenty i fakty,
bekommt man den Eindruck einer in der Unterstützung der sogenannten
Spezialoperation geeinten Bevölkerung.
Geht man hingegen auf den Telegram-Kanal von Igor Girkin alias Igor
Strelkow (circa 800.000 Follower), erhält man eine schonungslose Analyse
für das Versagen der russischen Armee im Ukrainekrieg. Girkin, der im
November 2022 in Den Haag in Abwesenheit als Hauptverantwortlicher für den
Abschuss der Passagiermaschine der Malaysian Airlines mit 298 Toten im
August 2014 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, benennt
nüchtern den Hauptgrund des Ukraine-Desasters: Korruption und
Vetternwirtschaft.
## Putin-Gegner von rechts außen
Denn so werden nur unfähige Leute nach oben gespült, erklärt der ehemalige
Soldat und bewegt sich argumentativ in der Nähe des [2][inhaftierten
Regimegegners Alexei Nawalny]. Während dieser im Straflager seinen
Telegram-Kanal (250.000 Follower) nutzt, um sich dezidiert gegen den
russischen Angriffskrieg auszusprechen und als Konsequenz eine
Demokratisierung Russlands fordert, hätte laut Girkin der Angriffskrieg
gegen die Ukraine schon 2014 geführt werden sollen, denn da „war die
ukrainische Armee noch nicht so gut aufgestellt“.
Putin hat in Girkin, dem ehemaligen FSB-Mitarbeiter und Militärangehörigen,
einen ernstzunehmenden Gegner, der ihn von rechts außen kritisiert und
gleichzeitig lächerlich macht. „Halt einfach das Maul“, rät er dem
Präsidenten öffentlich, „du hast von Tuten und Blasen keine Ahnung.“
Während täglich mehr Russ*innen wegen Landesverrats verhaftet werden,
leistet sich Girkin sogar Verbalinjurien gegen den Präsidenten und bleibt
unbehelligt. Hat Putin etwa Angst vor den unkontrollierbaren Folgen einer
Verhaftung „des wahren Patrioten“ (Girkin über Girkin)?
Auf Instagram geht zur selben Zeit ein Post viral, der zwei Fotos zeigt,
die ein identisches Setting haben: aufgenommen 1940 in Warschau und 2022 in
Moskau. Im Zentrum ist jeweils ein großes weißes V, umgeben von Fahnen und
Säulen. 1940 behauptet der Sockel der Propagandaskulptur: Deutschland siegt
an allen Fronten. 2022 „In der Wahrheit liegt die Kraft“. Hat sich hier die
Propagandaabteilung des Kreml tatsächlich von Joseph Goebbels inspirieren
lassen?
17 Apr 2023
## LINKS
[1] /Alltag-im-russisch-besetzten-Mariupol/!5922993
[2] /Inhaftierter-Kreml-Kritiker-Nawalny/!5924690
## AUTOREN
Katja Kollmann
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