# taz.de -- Debatte um gefeuerten Dozenten: Kündigung unrechtmäßig | |
> Kiels Universität hat einen Dozenten gekündigt, weil der sich für | |
> russische Propaganda hat einspannen lassen. Der Dozent klagte dagegen mit | |
> Erfolg. | |
Bild: Patrik B. auf Recherche: heiße Spur im Asow-Stahlwerk in Mariupol | |
Neumünster taz | Die Kieler Christian-Albrecht-Universität (CAU) hat einen | |
Journalisten von einem Lehrauftrag entbunden, weil er im vergangenen | |
September von Russland besetzte Gebiete der Ukraine besucht und dort drei | |
von fünf in Augenschein genommene Wahllokale als „frei, gleich, | |
demokratisch“ bezeichnet hat. Doch das sei kein Grund, das | |
Arbeitsverhältnis zu beenden, meint das Verwaltungsgericht in Schleswig und | |
gab dem Journalisten am Dienstag recht. | |
Es wurde viel gelacht im Gerichtssaal, was vor allem an Richter Malte | |
Sievers lag, dessen lockeren Ton die Anwälte beider Seiten aufgriffen. In | |
der Sache aber näherten sich die gegnerischen Parteien nicht an: Einen | |
„Verstoß gegen Treuepflichten“ sieht die Universität, der wiederum der | |
Medienrechtsanwalt Markus Kompa eine „hysterische Reaktion“ vorwirft. | |
Kompa vertritt den Journalisten Patrik B., der gegen die Uni klagt. Sie | |
hatte ihm im Oktober 2022 den Lehrauftrag für einen Kursus entzogen, bei | |
dem er unter anderem Recherchetechniken unterrichten sollte. | |
Die Hochschule begründete das mit B.s Verhalten während einer | |
Recherchereise im September durch die von Russland kontrollierten Gebiete | |
in der Ukraine. Dort fanden zu diesem Zeitpunkt Abstimmungen darüber statt, | |
ob die Bevölkerung künftig zu Russland gehören oder bei der Ukraine bleiben | |
wolle. Die internationale Gemeinschaft hat diese Referenden mitten im Krieg | |
[1][als völkerrechtswidrig anerkannt] – große Teile der Bevölkerung waren | |
bereits geflohen, und wer geblieben war, lebt unter Besatzungsrecht. | |
Durch sein Auftreten und seine Stellungnahmen verleihe B. dem „russischen | |
Vorgehen den Anschein von Legitimität“, heißt es in einer Stellungnahme des | |
Präsidiums und des Bereichs Politikwissenschaft auf der Homepage der Uni. | |
Die CAU „distanziert sich ausdrücklich von Herrn B.s Reise und wird keine | |
Lehrveranstaltungen anbieten, die von Herrn B. unterrichtet werden.“ | |
Mit dieser Mitteilung reagierte die Uni-Leitung auf Nachfragen anderer | |
Medien, die berichtet hatten, wie der Journalist bei einer Pressekonferenz, | |
die russische Behörden organisiert hatten, auf dem Podium saß. Dort und | |
auch im Interview mit einer pro-russischen Bloggerin beschrieb B. die | |
Abläufe in den meisten Wahllokalen als „demokratisch“. „Die Menschen | |
drängten zur Wahl“, und praktisch „alle wählen die Eingliederung in die | |
Russische Föderation“. | |
In dem Interview, das im Gerichtssaal gezeigt wurde, begründete B. auch, | |
warum es die Mehrheit nach Russland zöge: Weil die Ukraine zu wenig in die | |
Region investiert habe, und wegen des Krieges. „Es geht nicht mehr mit der | |
Ukraine, der Beschuss war zu stark, es sind Kinder gestorben.“ Zwar | |
kritisierte B., dass in einigen Wahllokale keine geheime Abstimmung möglich | |
gewesen sei, und betonte, dass er als Journalist auf einer Recherchereise | |
für ein Buch unterwegs sei. Von russischen Propaganda-Medien, unter anderem | |
der Nachrichtenagentur TASS, wurde er aber als „internationaler | |
Wahlbeobachter“ bezeichnet. | |
Für die Universität sei mit diesem Auftritt ein „Ansehensverlust“ | |
verbunden, sagte der von der CAU beauftragte Kieler Anwalt Fiete | |
Kalscheuer. Selbst die kritischen Anmerkungen hätten nur das „Wie“, aber | |
nicht das „Ob“ der Referenden thematisiert und nicht klar gemacht, dass die | |
Aggression von Russland ausgegangen sei. Ein Lehrauftrag, gerade im | |
Fachbereich Politik, umfasse auch die Treue zum [2][Völkerrecht]. Ja, die | |
Lage im Kriegsgebiet sei für einen Journalisten schwierig – aber „er hätte | |
die Möglichkeit gehabt, sich gar nicht zu äußern“. Ein Profi wie B. „mus… | |
wissen, dass sein Auftritt propagandistisch genutzt wird“. | |
Patrik B., der lange für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeitete, an | |
Hochschulen lehrt und Bücher veröffentlicht hat, fühlt sich durch die | |
Mitteilung auf der [3][Uni-Homepage] „an den Pranger gestellt“, er reichte | |
im November Klage ein. Er habe den Krieg nie gebilligt, seine Reise habe | |
dazu gedient, sich vor Ort selbst ein Bild zu machen – das gehöre für ihn | |
zu den journalistischen Sorgfaltspflichten, die er auch so unterrichte. | |
## Hauruck-Kündigung statt Gespräch | |
Als er die Reise plante, sei von den Referenden noch nicht die Rede | |
gewesen. Um in die besetzten Gebiete zu kommen, sei er über Moskau gereist | |
und habe sich aus Sicherheitsgründen einer Gruppe angeschlossen. Dass er | |
auf das Podium einer Pressekonferenz gebeten wurde, habe er im Kosovo-Krieg | |
ähnlich erlebt. Mit seinen kritischen Äußerungen über die Wahllokale habe | |
er sogar seine „Gastgeber brüskiert“. Der CAU warf er vor, nicht mit ihm | |
gesprochen zu haben. | |
Diesen Punkt sah auch Richter Sievers kritisch: Die Uni habe sich in einer | |
„Hauruck-Aktion“ von ihrem langjährigen Lehrbeauftragten getrennt. Dabei | |
habe es nie ein Fehlverhalten oder eine Kritik an seiner Arbeit gegeben. | |
„Und dass Sie einem Journalisten eine Recherchereise vorwerfen, klingt | |
etwas merkwürdig“, sagte Sievers den Vertretern der Hochschule. Das Gericht | |
hatte beiden Seiten vorgeschlagen, sich bei einer öffentlichen | |
Veranstaltung auszutauschen – darauf waren weder die CAU noch B. | |
eingegangen. | |
Nun entschied das Gericht: Das Verhalten B.s biete keinen Anlass, um daraus | |
eine Kündigung zu begründen. Die Uni muss auch den Text von der Homepage | |
entfernen. | |
Gegendarstellung | |
In Ihrem Artikel „Putin-Legitimierer darf weiter lehren / Kündigung | |
unrechtmäßig“ in der taz Nord vom 26.04.2023 hat mich Ihre Autorin in der | |
Überschrift als „Putin-Legitimierer“ bezeichnet und geschrieben: „Die | |
Kieler Christian-Albrecht-Universität (CAU) hat einen Journalisten von | |
einem Lehrauftrag entbunden, weil er im vergangenen September von Russland | |
besetzte Gebiete der Ukraine besucht und dort die von Russland erzwungenen | |
„Referenden“ im Großen und Ganzen als „frei, gleich, demokratisch“ | |
bezeichnet hat.“ Hierzu stelle ich fest, dass ich kein Putin-Legitimierer, | |
sondern ein Putin-Kritiker bin. Ich habe mich nicht zu den | |
völkerrechtswidrigen Referenden geäußert, sondern meine Beobachtungen über | |
fünf Wahllokale berichtet, von denen drei mit Wahlkabinen, zwei ohne | |
hingegen nicht die Anforderungen an eine frei, gleich und demokratische | |
Wahl in meinen Augen erfüllt haben. | |
Patrick Baab, Berlin, den 09.05.2023 | |
26 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!5883518 | |
[2] /Voelkerrecht/!t5008474 | |
[3] https://www.uni-kiel.de/de/ | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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