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# taz.de -- Wie Russland um Soldaten wirbt: „Du bist doch ein Kerl!“
> Mit Chauvinismus und finanziellen Wohltaten versucht Putin, Männer für
> den Krieg zu gewinnen. Dafür werden extra Anlaufstellen eingerichtet.
Bild: „Diene unter Vertrag“: Rekrutierungsplakat in Sankt Petersburg am 24.…
Moskau taz | Knapp 50 Sekunden lang ist der Clip, der gerade im russischen
Staatsfernsehen, in den sozialen Medien und auf Veranstaltungen präsent
ist: Ein Mann in Camouflage steht in einem Supermarkt, er ist ein
Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts, das Gewehr im Anschlag. „Hast du etwa
davon geträumt, solch ein Beschützer zu werden?“, heißt es in einem
eingeblendeten Spruch daneben. Die Szene ändert sich: In einem
Fitnessstudio nimmt ein Trainer dem Menschen vor sich das Trainingsgerät
weg. „Liegt etwa darin deine Stärke?“, wird eingeblendet.
Wieder Szenenwechsel: Es wird Nacht, ein Taxi fährt durch die nasse
Dunkelheit, der Fahrer packt das Geld seines Gastes ein. „Wolltest du etwa
solch einen Weg einschlagen?“, wird gefragt. Dann tauchen alle drei Männer
aus dem Nebel auf, alle in Armeeuniform, samt einem Z auf dem Arm – dem
[1][Propaganda]-Symbol des Kremls für den Angriffskrieg gegen die Ukraine.
„Du bist doch ein Kerl! Dann sei es auch! Diene unter Vertrag“, lautet die
Botschaft des russischen Verteidigungsministeriums, das mit diesem Filmchen
um neue Vertragssoldaten wirbt: Kanonenfutter für die Front in der Ukraine.
Die Botschaft hinter dem Video ist recht primitiv: Wachmann,
Fitnesstrainer, Taxifahrer – das seien keine Berufe für wahre Männer, ein
richtiger Mann müsse eine Waffe in die Hand nehmen und sein „Vaterland
verteidigen“. Das sei doch der Traum aller „Muschiks“, wie der Macho-Mann
in Russland genannt wird.
Das patriarchale Bild, wonach ein Junge ein „Verteidiger“ sei, das sind
offiziell in [2][Russland] „einzigartige, traditionelle, russische Werte“,
die nicht zu hinterfragen sind. Was ein Mann verteidigt und warum, ist
nicht Teil irgendeiner Diskussion im Land. Im Werbefilm zeigt sich
vielmehr ein Chauvinismus, der die präsentierten Berufe entwertet: Berufe,
von denen in Russland viele Männer leben, selbst wenn sie bereits in Rente
sind.
Gescheiterte Existenzen für den Krieg
Aus Sicht des Verteidigungsministeriums sind sie aber quasi gescheiterte
Existenzen, und natürlich helfe da nur eins: die Unterschrift unter den
Vertrag als Zeitsoldat. Dafür wirbt das Ministerium mit allerlei
„Wohltaten“: einem Monatseinkommen von umgerechnet mindestens 2.300 Euro,
was viel Geld ist in Russland; mit einem warmen Kindergarten- oder
Schulessen für die Kinder von Soldaten; mit Putzhilfen für die älteren
Angehörigen von Soldaten. [3][Moskau] hat im Norden der Stadt eine extra
Anlaufstelle für die zukünftigen Zeitsoldaten eingerichtet – doch Andrang
dort ist kaum zu beobachten.
Dass ein „anständiger Lebensstandard“ mit zivilen Berufen offenbar kaum zu
erreichen ist, ist die Tragik in einem Land, das seine Männer für sinnlose
Imperialismusträume eines Präsidenten verheizt. Die Unzufriedenheit mit
seinem Leben, so suggeriert die Werbekampagne, lasse sich lediglich mit
einer Waffe in der Hand abstellen. Woher eine solche Unzufriedenheit
womöglich kommt, interessiert den Staat nicht. Stattdessen lässt die
Regierung Banner entlang der Straßen aufstellen, auf denen martialisch
aussehende Kämpfer zu sehen sind, daneben der Satz: „Es gibt einen solchen
Beruf – die Verteidigung des Heimatlandes.“
Das „Echte“ und „Richtige“ ist der Krieg, mehr hat der Staat nicht zu
bieten. Wohlstand erreicht nur jemand, so zeigen Russlands Verwaltungen,
Gerichte, Beamt*innen unmissverständlich, wer sich in den Dienst an der
Waffe stellt – und als Subjekt völlig aufgibt.
27 Apr 2023
## LINKS
[1] /Russische-Propaganda-in-Wochenzeitung/!5927074
[2] /70-Todestag-von-Josef-Stalin/!5916323
[3] /Alltag-in-Russland/!5920497
## AUTOREN
Inna Hartwich
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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