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# taz.de -- Gewerkschaften und Rüstungsindustrie: Hauptsache, Arbeitsplätze?
> Die IG Metall und die Chemiegewerkschaft IG BCE sind vom Rüstungsboom
> erfreut. Aber es regt sich auch Widerstand in DGB-Gewerkschaften.
Bild: 155mm-Artilleriemunition wird bei Rheinmetall gefertigt
Die Aussage ist deutlich: „Wir arbeiten für die Landes- und
Bündnisverteidigung“, [1][sagt Thomas Pretzl im IG-Metall-Mitgliedermagazin
Metall]: Er ist Betriebsratsvorsitzender der Airbus Defence and Space im
bayerischen Manching und Mitglied der IG Metall. Die organisiert nicht nur
Auto- und Maschinenbauer, sondern auch die Beschäftigten der
Rüstungsbranche. Im Airbus-Werk bei Ingolstadt werden auch der Eurofighter
und die Awacs-Aufklärer gewartet. Zudem baut Airbus gemeinsam mit
ausländischen Partnern eine europäische Drohne.
Pretzl macht sich trotzdem Sorgen. Es gebe „einen Trend, die Luftwaffe mit
amerikanischem Gerät auszustatten“, klagt der Betriebsrat. Die derzeitige
Vergabepraxis des Verteidigungsministeriums, etwa die Bestellung des
Kampfflugzeugs F-35 beim US-Hersteller Lockheed, sei „eine Enttäuschung für
unsere Belegschaft“. Eine „militärische Luftfahrtstrategie“ der
Bundesregierung fordert auch Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG
Metall.
Kann es Arbeitnehmervertretern gleichgültig sein, mit welchen Produkten die
Kollegen ihr Geld verdienen? Oder gibt es moralische Grenzen in
fragwürdigen Industriezweigen? Standortsicherung gehört zum Kerngeschäft
von Betriebsräten, sie definieren sich zu Recht als Interessenvertretung
aller Arbeitnehmer in sämtlichen Branchen. Andererseits aber hat die
Satzung der IG Metall „Abrüstung“ als erstrebenswertes politisches Ziel
fixiert, und einst spielten die Gewerkschaften, auch die IG Metall, eine
gewichtige Rolle in der deutschen Friedensbewegung. Jetzt argumentieren die
Funktionäre spitzfindig: Bei den aktuellen Aufträgen der Bundeswehr gehe es
um „Ausrüstung“ und keineswegs um „Aufrüstung“.
Das Dilemma zwischen subjektiven Interessen und ethischem Anspruch
wiederholt sich in einer historischen Endlosschleife. In den 1970er Jahren
demonstrierten Gewerkschafter für Atomkraftwerke, um Jobs in öffentlichen
Energiekonzernen zu sichern. Kieler Werftarbeiter streikten 1980 für den
Export von Unterseebooten in das von einer Militärdiktatur beherrschte
Chile. Hauptsache Arbeitsplätze? Gegenproteste kamen eher aus dem
christlichen Spektrum. So gehörte die Katholische Arbeitnehmerbewegung vor
zehn Jahren zu den Initiatoren des „Waldkircher Appells“, benannt nach
einem Ort in der Bodenseeregion, in der militärtechnische Betriebe stark
vertreten sind.
Ganz anders die großen DGB- Gewerkschaften: Betriebsräte von zwanzig
Waffenfirmen schrieben einen Brief an den damaligen SPD-Wirtschaftsminister
Sigmar Gabriel, der die Ausfuhr militärischer Güter beschränken wollte.
Rüstungsproduktion könne „zwar kein Allheilmittel“ sein, hieß es in dem
Schreiben, aber sonst sei „die Industrie nicht überlebensfähig“. Die
Argumente der Rüstungsindustrie werden von Arbeitnehmervertretern oft
kritiklos übernommen. Von einer „untergehenden Erfindernation“ und dem
Verlust von Ingenieurkompetenzen ist dann die Rede.
Nie fehlen darf der angebliche „Spin-Off“-Effekt: Die bei der
Waffenproduktion gewonnenen Erkenntnisse könnten später anderweitig genutzt
werden. Längst hat sich indes herausgestellt, dass es sinnvoller ist,
gleich in zivile Forschung zu investieren. Der kostspielige Umweg über
Militärgüter lohnt sich nicht, selbst wenn ethische Bedenken keine Rolle
spielen.
Solche Bedenken plagen die Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG
BCE) nicht. „Zentrum der Zeitenwende“, jubelt das Mitgliedermagazin Profil,
ein vierseitiger Aufmacher dreht sich um Rheinmetall. Das Unternehmen mit
Sitz in Düsseldorf spiele eine „entscheidende Rolle bei der Modernisierung
der deutschen Streitkräfte und als Lieferant für die Ukraine“. Es lohne
sich, „dort anzuheuern“, rät die Gewerkschaftszeitung.
In der Tat: Der Rüstungskonzern boomt; seit Anfang 2022 hat sich der
Aktienkurs verfünffacht. Die Erfolgsdaten: über sieben Milliarden Euro
Jahresumsatz, knapp eine Milliarde Gewinn, Auftragsbestand fast 50
Milliarden, 28.000 Mitarbeiter bei steigender Tendenz. [2][Wichtigster
Standort ist Unterlüß in der Lüneburger Heide]; dort werden Panzer und
Munition hergestellt. Letztere gilt als chemisches Produkt und ist der
Grund, warum die IG BCE und nicht die IG Metall zuständig ist.
## Verteidigung der Klientel
[3][Rheinmetall macht nicht nur große Geschäfte], das Unternehmen sucht den
Imagewandel. Man will herauskommen aus der Schmuddelecke, in die sich die
Waffenhersteller nach dem Ende des Kalten Krieges gedrängt fühlten.
Plakativ zeigt sich dies bei dem unter Fans umstrittenen Sponsoring des
Fußballklubs Borussia Dortmund. Vor wenigen Jahren, berichtet die
Mitgliederzeitung der IG BCE, seien Rheinmetall-Beschäftigte noch als
„Mörder“ beschimpft worden. Der „Wandel im Denken der Bevölkerung“ st…
das Selbstbewusstsein und die Motivation der Beschäftigten, so Profil.
Mittlerweile „schätzen viele unsere Arbeit und sagen uns das auch“, erzäh…
auch Airbus-Betriebsrat Pretzl.
Gewerkschaften verteidigen natürlich die Arbeitsplätze ihrer Klientel. Was
in den Werkshallen produziert wird, ist dann aber offenbar egal. Angesichts
von hohen Energiepreisen, Absatzproblemen und den Hürden der ökologischen
Transformation scheint das Militär ein bequemer Ausweg.
Doch innerhalb des DGB regt sich Widerstand. IG Metall und IG BCE bestimmen
im Dachverband DGB nicht allein den Kurs, [4][ver.di oder die GEW zum
Beispiel vertreten tendenziell konträre Positionen]. Einen Aufruf gegen
Aufrüstung und deren Unterstützung durch Gewerkschafter haben immerhin
6.000 DGB-Mitglieder unterzeichnet. Sie fordern, sich für Diplomatie und
friedliche Lösungen einzusetzen: „Gigantische Finanzmittel und Ressourcen
werden verpulvert, statt die Probleme von Armut und Unterentwicklung,
maroder Infrastruktur und katastrophalen Mängeln in Bildung und Pflege,
Klimawandel und Naturzerstörung zu bekämpfen.“
Thomas Gesterkamp ist Politikwissenschaftler und Autor für Radio und
Printmedien in Köln. Eines seiner Themengebiete sind die deutschen
Gewerkschaften.
12 Nov 2024
## LINKS
[1] https://www.igmetall.de/download/20241029_metall_11_12_2024_barrierefrei_46…
[2] /Historiker-ueber-Waffenexporte/!5614730
[3] /Rheinmetall-entwaffnen-ueber-Abruestung/!5878538
[4] /Verdi-Bundeskongress-in-Berlin/!5960684
## AUTOREN
Thomas Gesterkamp
## TAGS
Verdi
Rüstungsindustrie
DGB
Rüstung
Rüstungsindustrie
Tarifstreit
Kolumne Starke Gefühle
Europäische Union
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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