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# taz.de -- Studie Jugend und Politik: Von wegen undankbares Pack
> Kinder und Jugendliche hegen keine Hoffnungen, Einfluss auf
> gesellschaftliche Entscheidungen nehmen zu können. Daran muss sich
> schnell etwas ändern.
Bild: Über die Mauer kommen – das wäre schon was
Eine Wand, so glatt, dass es unmöglich scheint, an ihr hochzuklettern. Sie
schluckt jedes Geräusch, kein Rufen, kein Schreien kann hindurchdringen.
Immer wieder wird versucht, über sie drüberzukommen, sie zum Einsturz zu
bringen, sich irgendwie auf der anderen Seite bemerkbar zu machen. Doch
trotz großer Kraftanstrengung gelingt das nicht oder nur in Ansätzen; und
das ist ein komisches Gefühl, ein Gefühl der Machtlosigkeit.
So oder so ähnlich empfinden offenbar zwei Drittel aller Jugendlichen in
Deutschland: völlige Machtlosigkeit. In einer von der
[1][Bepanthen-Kinderförderung] in Auftrag gegebenen repräsentativen Studie,
durchgeführt von der Universität Bielefeld, gaben 78 Prozent der befragten
12- bis 16-Jährigen an, keinen Einfluss darauf zu haben, was die Regierung
macht. Rund 72 Prozent der Befragten stimmten außerdem der Aussage zu, dass
sich Politiker:innen in Deutschland kaum darum kümmern, was
Jugendliche denken.
Undankbares Pack! Jetzt darf man schon [2][ab 16 wählen], die politischen
Beteiligungsmöglichkeiten in Deutschland sind größer als je zuvor, trotzdem
fühlen sich Jugendliche machtlos? Nun ja. Die Studienergebnisse sind vor
dem Hintergrund der Jugendpolitik der vergangenen Jahre nicht überraschend.
So beschränkten sich viele Politiker:innen auf lustige Promo-Aktionen,
während ernsthafte Probleme von jungen Menschen stets freundlich
weggelächelt wurden. Kevin Kühnert etwa, der im Europawahlkampf [3][Döner
für 3 Euro] verteilte, oder Olaf Scholz, der endlich das tiefe Bedürfnis
aller Jugendlichen stillte, indem er das [4][Geheimnis um seine
Aktentasche] lüftete. „Jugendliche ansprechen“ war auf den Checklisten der
Politiker:innen damit erst mal abgehakt.
Dabei ist die Liste der politischen Verfehlungen der letzten Jahre lang:
Junge Menschen während der [5][Coronapandemie – vergessen], [6][Klimakrise]
– war da was?, [7][sichere Rente] – haha. Wer bei den Ergebnissen an
wohlstandsverwahrloste Jugendliche denkt, könnte falscher nicht liegen.
Denn die Studie zeigt: Besonders ungerecht wird die Welt von jungen
Menschen empfunden, die aus finanziell schwachen Haushalten kommen. Gerade
diese Gruppe scheint das starke Empfinden zu haben, nicht zu politischen
Entscheidungsträgern durchdringen zu können.
## Abgeschotteter Betrieb
Klar: Wenn die geplante Kindergrundsicherung durch ewiges politisches
Gerangel [8][nicht zustande kommt] – unter der Einführung würden
voraussichtlich ohnehin vor allem [9][Alleinerziehende und
Asylbewerber:innen leiden] – und die Erhöhung des [10][BAföG-Satzes
weitgehend ausbleib]t, muss sich niemand über das Ungerechtigkeitsgefühl in
finanziell schwachen Haushalten wundern. Und auch nicht darüber, dass junge
Menschen vermehrt [11][populistische Parteien wählen].
Trotz vieler Möglichkeiten der Beteiligung, die Jugendliche in Deutschland
genießen, scheiterten sie in den vergangenen Jahren immer wieder an der
besagten Lärmschutzwand, die den Politikbetrieb abschottet. Statt sich nach
den Protesten der [12][Letzten Generation] mit der Verzweiflung junger
Menschen zu befassen, ging es im öffentlichen Diskurs fast ausschließlich
um die Legitimität der Proteste, Medien und Politik diffamierten die jungen
Protestierenden Hand in Hand. Der Versuch, den Protest mit einer
Parteigründung ins [13][Europaparlament zu tragen], scheiterte kläglich.
Auch Fridays for Future kämpft eben damit, [14][Jugendliche zu
mobilisieren]. Warum auf die Straße gehen, wenn sich ohnehin nichts ändert?
Wer daran glaubt, dass die [15][Pariser Klimaziele] eingehalten werden, ist
wohl ein:e hoffnungslose:r Romantiker:in. Kurz gesagt: Das Gefühl der
Machtlosigkeit, das viele Jugendliche prägt, ist schlicht eine realistische
Einschätzung.
Es scheint, als verstünden viele Politiker:innen Jugendliche als eine
homogene Masse, gefesselt ans Handy, [16][faul] und [17][unpolitisch]. Dass
diese Klischees nicht zutreffen, belegt die Studie ebenfalls. Es fällt auf,
dass die befragten Jugendlichen eine ausgeprägte Vorstellung davon haben,
wie eine gerechte Gesellschaft aussehen sollte. Bildungsförderung und
Chancengleichheit sind den Befragten wichtig. Viele Jugendliche bemerkten
jedoch, dass die Vorstellungen einer gerechten Gesellschaft kaum mit ihrer
eigenen Lebensrealität übereinstimmten.
Die Bedürfnisse Jugendlicher sind vielfältig und unterscheiden sich nicht
grundsätzlich von denen Erwachsener. Es braucht keine verrückten Aktionen,
um den Bedürfnissen Jugendlicher gerecht zu werden, sondern vielmehr eine
Politik, die junge Menschen nicht mehr systematisch benachteiligt.
## Zufriedenheit bringt keinen Wandel
Jugendliche stellen in Deutschland eine demografische Minderheit dar,
wählen darf man je nach Wahl [18][erst ab 16 oder 18] und die über
70-Jährigen stellen die größte Gruppe der Wahlberechtigten. Was dabei gerne
vergessen wird: In einigen Jahren werden genau diese Jugendlichen, die sich
jetzt machtlos fühlen, die Politik prägen. Wer nicht möchte, dass AfD und
Konsorten noch stärker werden, sollte jetzt anfangen, Jugendliche
mitzunehmen.
Es ist gut, dass Jugendliche einen realistischen Blick auf die Dinge haben.
Wenn die Befragten sich gänzlich zufrieden gezeigt hätten, gäbe es keine
Möglichkeit, einen Wandel anzustoßen. Noch ist es nicht zu spät, die Mauer
von der Erwachsenenseite her einzureißen und Einfluss zu nehmen, in welche
Richtung das Gefühl der Machtlosigkeit umschlagen wird.
4 Jul 2024
## LINKS
[1] https://www.bepanthen.de/kinderfoerderung
[2] /Europawahlen-ab-16/!6012068
[3] https://www.google.com/search?client=firefox-b-e&q=d%C3%B6ner+k%C3%BChn…
[4] /Olaf-Scholz-auf-TikTok/!6001383
[5] /Jugendliche-in-der-Coronapandemie/!5837375
[6] /Zukunftsaengste-von-Jugendlichen/!6013570
[7] /Neues-Rentenpaket/!6010489
[8] /Gesetzentwurf-zur-Kindergrundsicherung/!6007595
[9] /Antworten-zur-Kindergrundsicherung/!5981082
[10] /Kritik-an-Bafoeg-Reform/!6011049/
[11] /Umfrage-unter-Jugendlichen/!6006562
[12] /Letzte-Generation-blockiert-in-Berlin/!5958135
[13] /Letzte-Generation/!5991126
[14] /Fridays-for-Future/!5956988
[15] /UN-Zwischenbericht-zum-Paris-Abkommen/!5752250
[16] /Generation-Z-und-Arbeitsmoral/!5979594
[17] /!6015993/
[18] /Philosophin-ueber-Wahlrecht-fuer-Kinder/!5954485
## AUTOREN
Joscha Frahm
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