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# taz.de -- Wie sozialen Wandel erreichen?: Wir haben die Macht der Straße
> Mit Demos, Aktionen und zivilem Ungehorsam können wir einen sozialen
> Wandel erreichen. Die Zeit dafür ist jetzt. Auf Parteien können wir nicht
> warten.
Bild: In Essen demonstrieren im Juni mehrere Zehntausend Menschen gegen die AFD
Die deutsche Bevölkerung ist unzufrieden. Falsch. Nicht nur die deutsche.
Egal, wo man in Europa unterwegs ist, alle scheinen unzufrieden zu sein.
Und damit meine ich jetzt nicht unbedingt die [1][Faschismus-affinen
Wähler:innen], die ihre Unzufriedenheit als Ausrede vorschieben, wenn
sie auf rechtsextreme Parteien setzen, die endlich „wieder Ordnung in das
Ganze bringen sollen“.
Nein, ich meine, den restlichen Teil der Bevölkerung. Den demokratischen
Teil, der (zum Glück) immer noch in der Mehrheit ist, wie man Anfang des
Jahres bei den landesweiten [2][Demonstrationen gegen Rechtsextremismus]
sehen konnte. Und der sich vor allem nur eines wünscht: ein sicheres,
selbstbestimmtes Leben in Würde.
Ich meine, den Ladenbesitzer bei mir um die Ecke, der nicht weiß, wie lange
er die Miete noch stemmen kann, während diese weiter steigt und die
Kaufkraft sinkt. Wie zum Beispiel die Rentnerin, die immer zu ihm kommt,
aber bei der die Rente kaum noch reicht, selbst wenn sie Flaschen sammeln
geht.
Ich meine auch den Vorstand der [3][Grünen Jugend], junge, idealistische
Leute, die bereit sind, sich zu engagieren und nun genug von der
Mutterpartei haben und endlich eine „richtige“ links-ökologische
Jugendorganisation gründen möchten.
## Von keiner Partei richtig vertreten
Ich meine mich selbst, die jeden Tag mit [4][Kriegen], [5][Klimakrise] und
sozialer Ungerechtigkeiten konfrontiert wird. Und sich oft alleine fühlt
und fragt, was kann man noch tun? Bis ich mit anderen – und zwar weit über
meine links-grün-versiffte Bubble hinaus – spreche und wir doch am Ende
alle bei einem übereinstimmen: Wir sehen meist dieselben Probleme, aber
keine Partei, von der wir uns richtig vertreten fühlen.
Hoffnung, dass irgendein:e Politiker:in vernünftige Entscheidungen
für alle trifft, haben wir auch keine mehr. Die Regierungsparteien selbst
wirken ja unzufrieden, ja, gar orientierungslos.
Vielleicht ist Unzufriedenheit gar nicht das passende Wort. Es ist eine Art
Resignation, eine Hoffnungslosigkeit gegenüber den Parlamenten und den
Regierungen, es ist Angst vor der Zukunft gepaart mit Existenzängsten in
der Gegenwart, es ist Wut auf Leute wie [6][Christian Lindner] und seine
Spießgesellen, die nur Eigeninteressen im Sinn haben, und die Angst vor
denen, die ihm nach der Wahl kommendes Jahr folgen könnten.
## Bürger:innen haben mehr Macht, als sie meinen
Aber warum eigentlich auf Lösung „von oben“ warten? Auf die leise Hoffnung,
dass sich eventuell irgendwann in der Zukunft endlich eine linke,
ökologische Partei gründen möge, die man dann wählen könnte? Wir leben in
Deutschland schließlich (immer noch) in einer Demokratie. [7][Wir können
aktiv was verändern], wenn wir uns doch zusammen tun.
Demokratie kommt schließlich vom altgriechischen Wort „dēmokratía“, was
soviel wie Volksherrschaft bedeutet. Dabei geht es nicht nur darum, dass
das Volk die Regierung wählen und wieder abwählen kann. Nein, dass
Bürger:innen viel mehr Macht haben, als sie meinen: die Macht der
Straße.
Das mag jetzt vielleicht pathetisch klingen. Ist es aber nicht. Eine
[8][Studie der US-amerikanischen Politologin Erica Chenoweth] ergab, dass
es nur 3,5 Prozent der Bevölkerung auf der Straße braucht, um einen
tiefgreifenden politischen Wandel einzuleiten. Besonders erfolgreich seien
laut der Studie vor allem die gewaltfreien Kampagnen. In Deutschland wären
3,5 Prozent knapp drei Millionen Menschen. Das ist nicht viel.
## Selbstwirksamkeit statt Resignation
Wohnraum für alle, keinen Faschismus, einen funktionierenden Sozialstaat,
faire Löhne und faire Renten … es gibt genug Forderungen, hinter denen
sicherlich mehr als drei Millionen Menschen hierzulande stehen. Oft frage
ich die Leute, wenn sie wieder ihre politische Resignation äußern, ob sie
bereit wären, auf die Straße zu gehen für oder gegen eine bestimmte Sache.
Überraschenderweise lautet die Antwort meistens Ja.
Warum denn nicht diese Grundstimmung nutzen, um sich zusammenzutun? Druck
auszuüben. Das „demos“ wieder zurück in die Demokratie zu bringen.
Selbstwirksamkeit und Zusammenhalt zu spüren, statt Resignation. Tut euch
zusammen mit euren Forderungen, tauscht euch aus, informiert euch, wehrt
euch. Zeigt, dass wir mehr sind als die Faschos. Und dass eine soziale und
solidarische Gesellschaft möglich ist.
Wir brauchen nicht direkt die Revolution, aber wir brauchen einen radikalen
Wandel. Bevor der Wandel in die falsche, in die neoliberale oder gar
rechtsradikale Richtung voranschreitet. Und dieser Moment ist jetzt. Auf
eine neue links-ökologische Partei und deren politischen Erfolg zu warten,
ist Zeitverschwendung. Auf Einsicht im festgefahrenen Bundestag zu hoffen,
aussichtslos.
Die Parteien brauchen Orientierung und die muss man ihnen von unten, von
der Straße aus geben. Mit Aktionen, [9][zivilem Ungehorsam], Kundgebungen,
Demonstrationen. Dafür braucht es auch nicht alle. Es braucht nur genug.
Und wir sind genug.
5 Oct 2024
## LINKS
[1] /Studie-zu-AfD-Anhaengern/!6020136
[2] /Demos-gegen-rechts/!5994464
[3] /Gruene-Jugend-Spitze-tritt-aus/!6039134
[4] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!6040607
[5] /Hurrikan-Helene-in-den-USA/!6037071
[6] /Oeffentliche-Auftraege/!6034317
[7] /Buergerschaftliches-Engagement/!6034042
[8] https://cup.columbia.edu/book/why-civil-resistance-works/9780231156820
[9] /Ziviler-Ungehorsam-der-Klimabewegung/!5858374
## AUTOREN
Ruth Lang Fuentes
## TAGS
Ziviler Ungehorsam
Demonstrationen
Aktivismus
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Social-Auswahl
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt AfD
Jugendliche
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