# taz.de -- Demos gegen rechts: Wenn die Demokratie Zähne zeigt | |
> Die taz hat den zivilgesellschaftlichen Aufbruch in den letzten Wochen | |
> genau dokumentiert. Entstanden ist eine Topografie der Bewegung. | |
Bild: Berlin, 3. Februar 2024: Protest gegen die AfD und Rechtsextremismus vor … | |
In den vergangenen Wochen hat die Bundesrepublik die größte Protestbewegung | |
gegen Rechtsextremismus in ihrer gesamten Geschichte erlebt. Ausgelöst | |
durch die Correctiv-Recherche zu einem rechtsextremen Geheimtreffen in | |
Potsdam, demonstrierten seit dem 11. Januar teils Hunderttausende für eine | |
vielfältige Gesellschaft. | |
Sie versammelten sich vor dem Berliner Reichstag, aber auch auf dem | |
Hauptmarkt in Bautzen. Sie zogen durch die Straßen von Freiburg im | |
Breisgau, und protestierten in Simmern im Hunsrück. Bis Ende Februar haben | |
mehr als 3,7 Millionen Menschen in Deutschland gegen rechts demonstriert. | |
Die taz hat diese Bewegung von Anfang an genau dokumentiert und eine | |
Deutschlandkarte erstellt, die alle uns bekannten Demos verzeichnet. Sie | |
ist eine unserer größten und aufwendigsten Datenrecherchen jemals. Dafür | |
haben wir verschiedene Quellen ausgewertet: Artikel in Regionalzeitungen, | |
Polizeimeldungen, Versammlungsanmeldungen und, ganz wichtig, | |
Leser*innenhinweise. An die Adresse: [email protected] schrieben uns rund | |
700 Leser*innen aus ganz Deutschland und schickten Infos zu den Demos in | |
ihren Städten. | |
Die ersten Mails trudelten am 24. Januar ein, doch schon bald erreichten | |
uns im 10-Minuten-Takt neue Informationen. Die Resonanz war überwältigend. | |
Neben Aufrufen zu anstehenden Demos und einigen Dankeschöns, erhielten wir | |
auch Verbesserungsvorschläge oder Fragen zu unseren Daten und Analysen. | |
Wir arbeiteten das erste Wochenende durch und auch das darauf folgende. Wir | |
trugen Teilnehmendenzahlen nach. Wir glichen die Einträge der taz mit den | |
Dokumentationen anderer Plattformen wie [1][Campact], [2][Volksverpetzer], | |
[3][demokraTeam] und den Sammlungen von politischen Parteien ab. Wir | |
verifizierten Hinweise von Leser*innen oft mit Hilfe von Berichten aus | |
der lokalen Presse. | |
Wenn es aus einem Ort keinen Bericht gab, oder die Paywall der Lokalzeitung | |
uns aussperrte, fragten wir bei der örtlichen Polizei nach. Die | |
Beamt*innen, die in den Polizeidienststellen den Hörer abnahmen, waren oft | |
zuvorkommend und gaben Auskunft. | |
Manchmal jedoch wollte man nicht mit uns zusammenarbeiten: In Halberstadt, | |
Sachsen-Anhalt, weigerte sich ein Beamter. Wir sollten doch die | |
Kriminalpolizei anrufen, sagte er, von ihm bekämen wir bestimmt keine | |
Informationen, selbst wenn er welche hätte. In Ahrensburg, | |
Schleswig-Holstein, erklärte ein Mann, dass Informationen zu | |
Teilnehmendenzahlen nur an bestimmte Telefonnummern von bestimmten | |
Pressevertretern herausgegeben würden. | |
Trotz dieser Herausforderungen wuchs unser Datensatz. Kurz nach dem | |
Wochenende vom 3. Februar hatte die taz so viele Daten erhoben, dass der | |
Arbeitsaufwand nachließ. Das liegt auch daran, dass die Protestbewegung auf | |
hohem Niveau schrumpfte. | |
Die fertige Karte zeigt, wo und wie viele Menschen vom 11. Januar bis zum | |
25. Februar in Deutschland demonstriert haben. Bis zum 5. März sind etwa | |
100.000 weitere Menschen auf die Straße gegangen, die auf der Karte noch | |
nicht erfasst sind. Insgesamt hat die taz über 1.400 Demos gelistet. | |
## Der Auftakt | |
Begonnen hat die Bewegung am 11. Januar in Darmstadt. Mehrere | |
antifaschistische Gruppen hatten in der hessischen Stadt zur Demo gegen die | |
AfD aufgerufen, woraufhin sich zwischen 500 und 600 Menschen auf dem | |
Marktplatz versammelten. Eine Teilnehmerin hielt ein Schild hoch, auf dem | |
stand: „Faschismus ist keine Meinung“. | |
Sebastian Koos ist Soziologieprofessor und forscht an der Universität | |
Konstanz zu sozialen Bewegungen. Ihn hat die Kontinuität der Demos | |
überrascht: „Ich hätte erwartet, dass diese Proteste schneller in sich | |
zusammenfallen. Das ist nicht passiert.“ | |
[4][Der erste große Protest am 19. Januar in Hamburg] ist mit 180.000 | |
Menschen für Koos ein Momentum gewesen. Diese Menschenmassen hätten enorm | |
viele Bürger*innen in anderen Teilen des Landes auf die Straßen | |
gebracht, angespornt durch den Gedanken: „Wenn die das in Hamburg schaffen, | |
dann schaffen wir das auch.“ | |
Daraus sei ein positiver Wettbewerb entstanden; ein Wunsch dabei zu sein, | |
der auf die ganze Republik ausgestrahlt und sich gegenseitig verstärkt | |
habe. Es habe sich eine Eigendynamik entwickelt. Immer wieder wandten sich | |
die Demos konkret gegen die AfD. Neujahrsempfänge und Bürgerdialoge wie | |
auch der politische Aschermittwoch waren von Bretten in Baden-Württemberg | |
über Nordhausen in Thüringen bis nach Schortens in Schleswig-Holstein | |
Anlass für Proteste. | |
Doch kann eine solche Reihe von Demos etwas bewirken? Koos sagt, dass wohl | |
nur einige Protestwähler ins Grübeln kämen und dass sich der harte Kern der | |
AfD-Wählerschaft sogar verfestigen könnte. Trotzdem sei das Demonstrieren | |
gelebte Demokratie und damit eine wichtige Aufgabe, sagt Koos. „Man muss | |
dem extrem rechten Gedankengut, wie es sich in Teilen der AfD findet, | |
entgegentreten. Demokratie lebt von Menschen, die sich für sie einsetzen.“ | |
## Der Mut im Kleinen | |
Was diese Demonstrationswelle besonders auszeichnet, ist die Vielzahl an | |
kleineren Kundgebungen im ländlichen Raum. Nur fünf Demonstrationen – | |
nämlich in Hamburg, Düsseldorf, zweimal in Berlin und München – hatten laut | |
der konservativen Zählung der Polizei mehr als 100.000 Teilnehmende. Bei 58 | |
weiteren gingen zwischen 10.000 und 100.000 Menschen auf die Straße. | |
Demgegenüber stehen 1.180 Veranstaltungen mit drei- oder vierstelliger | |
Teilnehmendenzahl. In 26 Orten gingen weniger als 100 Menschen auf die | |
Straße. Bei der kleinsten der taz bekannten Kundgebung versammelten sich am | |
2. Februar 30 Menschen im oberschwäbischen Aulendorf. | |
In manchen Orten braucht es viel Mut, öffentlich Haltung zu zeigen. Am 5. | |
Februar griffen mehrere Neonazis die Demonstration für Demokratie in | |
Pasewalk, Mecklenburg-Vorpommern, mehrfach an. Laut Polizei wurden | |
volksverhetzende Parolen gerufen, ein Demoteilnehmer wurde zu Boden | |
gestoßen, nachdem ein Neonazi ihm eine Fahne entrissen hatte. | |
Im sächsischen Bautzen versammelten sich am 27. Januar etwa 1.500 Menschen, | |
um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Obwohl etwa 50 Neonazis | |
teilweise gewalttätig den Protest störten, gingen die Demonstrant*innen | |
knapp einen Monat später erneut für die Demokratie auf die Straße. | |
Protestforscher Sebastian Koos hat es überrascht, dass die Menschen auch in | |
kleinen Dörfern und Städten so zahlreich auf die Plätze strömten. Proteste | |
seien zumeist städtisch geprägt, sagt er. | |
Die Demos werden jetzt weniger und kleiner, es finden nicht mehr hunderte | |
Proteste gleichzeitig statt. Vom 25. Februar bis Anfang März trug die taz | |
aus Lokalpresse und Polizeiberichten aber immer noch Demos mit fast 100.000 | |
Teilnehmenden zusammen. Die geringere Teilnehmendenzahl bei einzelnen | |
Veranstaltungen sei auch kein grundsätzliches Problem, sagt Koos, weil sich | |
die Leute nun schneller mobilisieren ließen. Die Protestschwelle, ab der | |
man gegen rechts auf die Straße gehe, sei gesunken. Und: Koos glaubt auch, | |
dass die Demos dazu führen könnten, dass sich mehr Menschen ehrenamtlich | |
engagieren oder in demokratische Parteien eintreten. | |
9 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.campact.de/presse/mitteilung/20240128-pm-319_orte_gegen_rechtse… | |
[2] https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/demo-auf-strasse-uebersicht-132/ | |
[3] https://www.demokrateam.org/?cmplz-force-reload=1709891596039 | |
[4] /Ueber-80000-Menschen-gegen-Rechts/!5986734 | |
## AUTOREN | |
Lalon Sander | |
Sean-Elias Ansa | |
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