# taz.de -- Protest gegen die AfD: Zum ersten Mal Mehrzahl | |
> Hunderttausende gehen gegen rechts auf die Straße. In Burg in | |
> Sachsen-Anhalt treffen eine Kundgebung der AfD und der Gegenprotest | |
> aufeinander. | |
Bild: Auch Bürgermeister und Parteileute sind diesmal zum Protest gegen die Af… | |
BURG BEI MAGDEBURG taz | Auf einer Hauswand am Eingang der Altstadt steht: | |
„Du hast den Wunsch, dich in eine Großstadt zu flüchten, wo kein Mensch | |
dich kennt.“ Ein Zitat von Brigitte Reimann, der berühmten | |
Schriftstellertochter der Stadt Burg in Sachsen-Anhalt. Weiter heißt es da | |
in blauen Buchstaben: „Jetzt packt mich manchmal ein Entsetzen vor diesem | |
gefährlichen Pflaster, dass ich am liebsten in meinem kleinen, sturen Burg | |
bleiben möchte.“ | |
Doch heute scheint die ostdeutsche Kleinstadt gefährlicher als die | |
Großstadt. | |
Es ist Montagabend und Christina Flögel – Mitte Fünfzig, drahtig – schaut | |
sich nervös um. Gegen rechts hat sie schon öfter demonstriert, einmal stand | |
sie sogar mit einem Besen hier auf dem Rolandplatz, um „den braunen | |
Schlamm“ wegzukehren. | |
[1][In den Großstädten haben in den vergangenen Tagen Hunderttausende gegen | |
Rechts protestiert.] Hier in Burg findet heute eine Kundgebung der AfD | |
statt. Flögel ist hier, um dagegen zu protestieren. Doch kommen wieder nur | |
die üblichen zehn oder fünfzehn Leute – oder doch ein paar mehr? | |
„Wir sind hier in der Defensive“, sagt Christina Flögel am Rand des | |
Platzes, über den bislang nur Polizisten laufen. Umfragen sehen die AfD | |
derzeit als stärkste Kraft in Sachsen-Anhalt. Der Verfassungsschutz hat den | |
Landesverband als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Der | |
Fraktionschef, Ulrich Siegmund, nahm am [2][Geheimtreffen in Potsdam] teil. | |
Christina Flögel fürchtet, auf der AfD-Seite Gesichter zu sehen, die sie | |
eigentlich mag. | |
## Treffpunkt Dönerladen | |
Um 18 Uhr ist es auf dem Rolandplatz schon recht dunkel. Christina Flögel | |
und ihr Mann können kaum erkennen, wer von den Ankommenden die | |
angekündigten AfD-Abgeordneten hören möchte und wer zum Gegenprotest kommt. | |
Ein Polizist deutet Richtung Volksbank. „Die AfD steht hinten rechts“, sagt | |
er und schmunzelt. | |
Noch klarer werden die Fronten, als jemand in einer größeren Gruppe einen | |
Schirm in Regenbogenfarben aufspannt. Die Gesichter der Flögels hellen sich | |
auf, sie treten auf den Platz, treffen Bekannte auf ihrer Seite. „Heute | |
geht’s nicht in die Muckibude, sondern zum Demonstrieren“, scherzen die | |
älteren Herrschaften. Lachen. Dann Glockenläuten, denn auch die | |
evangelische Gemeinde hat aufgerufen. | |
Durch die Gruppe von Rechten bahnt sich ein Rollstuhl den Weg. Es ist | |
Birgit Kiel, in der Hand ein „Omas-gegen-rechts“-Schild. Ihr Ehemann | |
schiebt den Rollstuhl, er versucht noch einen Bekannten zu bewegen, mit auf | |
die andere Seite zu kommen. Junge Freundinnen unterbrechen ihr Gespräch und | |
beziehen auf den verschiedenen Seiten Position. | |
„Jeder kennt hier jeden. Viele haben Angst, gegen die AfD auf die Straße zu | |
gehen“, sagt Birgit Kiel. Ihr Ziel: möglichst viele zum Protest zu | |
ermutigen. Mit Gesprächen in Berufsschulen, Vereinen und Geschäften. | |
Außer zu ihrer russischen Brieffreundin habe sie zu DDR-Zeiten kaum Kontakt | |
zu Menschen mit anderen Hintergründen gehabt, sagt Kiel. Das änderte sich, | |
als 2015 syrische Geflüchtete in Burg ankamen und Kiel helfen wollte beim | |
Deutschlernen. In der Geflüchtetenunterkunft lernte sie Ashwaq Al-Obaidi | |
kennen. Heute sind sie Freundinnen. Im Irak geboren, lebt Al-Obaidi seit | |
mehr als 25 Jahren in Burg, auch sie hilft Geflüchteten, hat zusammen mit | |
Birgit Kiel den Integrationspreis des Landes Sachsen-Anhalt bekommen. Auf | |
der zentralen Schartauer Straße betreibt die mehrfache Mutter einen | |
Dönerladen, es ist ein Anlaufpunkt in der Kleinstadt. In Burg leben heute | |
10.000 Menschen weniger als 1990, es sind die Neu-Burger:innen, die Schulen | |
und Innenstadt lebendig halten. Doch viele weigern sich, diese Chance zu | |
sehen. | |
Nur ein paar Meter entfernt versuchten im Jahr 2020 Unbekannte in einem | |
syrischen Lebensmittelgeschäft Feuer zu legen. An die Tür schmierten sie | |
ein Hakenkreuz. Schon früher kam es zu rassistisch motivierten Angriffen. | |
Die Justiz habe viele dieser Fälle verharmlost, kritisiert die Mobile | |
Opferberatung. Die Familie des Ladenbesitzers ist weggezogen, das Geschäft | |
steht wie viele in der Straße leer. | |
Ein Sieg für die Rechten. Aber kein endgültiger. Denn Leute wie Christina | |
Flögel und das Bündnis Burg gegen Rechts, dem Birgit Kiel und Ashwaq | |
Al-Obaidi angehören, halten dagegen. | |
## Sie stehen sich frontal gegenüber | |
Auch einen syrischen Lebensmittelladen gibt es heute wieder. Mit | |
Blumenkohl, Orangen, Okra-Schoten in der Auslage. Mohammad und Dania Mimeh | |
haben ihn vor drei Jahren eröffnet. „In den Laden kommen nur Leute, die | |
mich kennen und lieben“, sagt Dania Mimeh am Nachmittag vor der | |
Demonstration. Wenn sie in der Stadt mit ihrem Kopftuch unterwegs sei, gebe | |
es manchmal Probleme, „aber nicht so viel“. | |
Über die Kundgebung der AfD („Rechts vor Links statt Ampelschaltung“) | |
wusste Mimeh Bescheid. In der Whatsapp-Gruppe der syrischen Burger:innen | |
wurde zum Gegenprotest aufgerufen. Das Handy übersetzt aus dem Arabischen: | |
„18 Uhr Volksbankpark“. So nennen die Syrer:innen den Parkplatz mit fünf | |
Bäumen vor der Volksbank-Filiale, der nur offiziell Rolandplatz heißt. Doch | |
werden die Neu-Burger:innen mitprotestieren? Für sie ist das Pflaster | |
schließlich besonders riskant. | |
300 Menschen stehen um 18.30 Uhr einer AfD-Gruppe von 120 Leuten frontal | |
gegenüber. Zum ersten Mal überbietet in Burg der Gegenprotest die AfD. In | |
Zahlen und in Dezibel. Studierende der internationalen | |
Adventisten-Hochschule im Umland sind gekommen, Familien, Mitglieder von | |
Stadtrat und Kreistag. Mit Sprechchören, Trommeln, Pfeifen übertönen sie | |
den AfD-Stadtrat, dann den Landtagsabgeordneten und schließlich Martin | |
Reichardt, Bundestagsabgeordneter, AfD-Landesvorsitzender und Unterstützer | |
des Höcke-Flügels. | |
## Der Gegenprotest ist lauter | |
Vor den Rednern hat sich die Junge Alternative mit Bannern aufgebaut, an | |
den seitlichen Rändern des Platzes stehen eine Handvoll schwarz vermummte | |
Männer. Antifa-Aktivisten? | |
Daneben einige Paare. Nur eines will reden. Die beiden sagen, dass sie sich | |
beide Seiten anhören wollten. „‚Remigration‘ geht gar nicht“, sagt der | |
Mann. Es gebe genug andere Probleme als Migration. Von denen zu reden würde | |
der AfD hier mehr Zustimmung bringen. | |
Als ob er das gehört hätte, ruft MdB Reichardt ins Mikrofon: „Wir lassen | |
uns von unseren Freunden mit Migrationshintergrund nicht trennen.“ Der AfD | |
gehe es nur um die Abschiebung straffälliger Ausländer. Applaus. Die | |
Correctiv-Recherche? Für die AfD-Redner eine Kampagne der Ampel-Parteien. | |
Dann geht es gegen Klimalobby und Finanzelite. | |
Doch der Protest gegenüber ist größer, lauter, hält länger durch. Als die | |
Abgeordneten längst abgefahren sind, versuchen sechs Junge Alternative noch | |
die Stellung auf dem kalten Platz zu halten. Doch es fällt ihnen nichts | |
anderes ein, als die Rufe der Demokrat:innen zu wiederholen, selbst das | |
„Nazis raus!“. 300 Handytaschenlampen leuchten ihnen schließlich „den Weg | |
nach Hause“. | |
Pfarrer Peter Gümbel schaut sich zufrieden auf dem Platz um. „Die AfD hat | |
heute nicht gepunktet“, sagt der evangelische Geistliche, auch er gehört | |
zum Bündnis gegen Rechts. Gümbel sieht in den letzten Wochen „ein Aufwachen | |
in der Gesellschaft“. Eines, das sich auch in Burg zeige. „Ich glaube, dass | |
die AfD spürt, dass ihr Aufwind abflaut.“ Der Pfarrer erinnert an die | |
Fachkräfte, die in der Region gebraucht würden. „Im Grunde genommen schadet | |
die AfD nicht nur dem Frieden in Deutschland, sondern auch ökonomisch. Ich | |
glaube, dass sie Angst kriegen, dass ihnen das auf die Füße fällt.“ | |
## Kein Geld mehr für jüdische Musiker | |
Doch ist dieser Protestabend mehr als ein Strohfeuer? „Er stärkt | |
diejenigen, die immer schon ihre Bauchschmerzen hatten gegen die Positionen | |
der AfD, jetzt Farbe zu bekennen“, sagt Gümbel und hofft, dass es nun mehr | |
Vernetzung gibt. „Dass Parteien und Politiker eine Rolle spielen, um zu | |
zeigen, dass es nicht nur ein paar Verrückte aus der Bevölkerung sind, die | |
um die Demokratie kämpfen.“ Es sei wichtig gewesen, dass zum ersten Mal der | |
Bürgermeister gekommen sei, auch Vertreter:innen von Die Partei, SPD, | |
Linken, Grünen und FDP. Von der Union hat er niemanden gesehen. | |
Auch acht arabischstämmige Jugendliche sind gekommen, haben sich seitlich | |
zu den Demonstrierenden gestellt. Als ob sie den Parteileuten und der | |
Polizei nicht ganz vertrauten. | |
Als Pfarrersohn war Peter Gümbel zu DDR-Zeiten staatlich benachteiligt. | |
Anzuecken scheut er sich deshalb nicht, wie er sagt. Der Erhalt der | |
demokratischen Struktur sei ihm umso wichtiger. „Mit den Wahlen in | |
Thüringen und Brandenburg wird es spannend, was da für Konstellationen | |
kommen. Wir müssen lernen, dass es in der Regierung Kontroversen gibt, und | |
mitdiskutieren.“ Was er der Bundesregierung allerdings vorwerfe, sei, dass | |
sie die Mittel für Demokratie-Initiativen beschnitten habe. Die | |
Veranstaltung zum Holocaust-Gedenktag am Samstag kann das Bündnis deshalb | |
nur klein aufziehen. Ohne die jüdischen Musiker:innen, die sonst kamen. | |
Es wird nochmal laut auf dem Rolandplatz. Die schwarz Vermummten waren | |
keine Antifaschisten, sondern Rechte, die Gegendemonstrant:innen beim | |
Weggehen einzuschüchtern versuchen. Doch es gelingt nicht. Die Polizei ist | |
tatsächlich zur Stelle, und selbst jetzt noch sind die Demokrat:innen | |
schlicht in der Mehrzahl. | |
26 Jan 2024 | |
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Stefan Hunglinger | |
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