# taz.de -- Anti-AfD-Demos: Lieber groß und divers | |
> Manche wollen präzisere Zielsetzungen der Anti-AfD-Demonstrationen. Doch | |
> Abgrenzung gegenüber CDU und SPD ist ein Fehler. | |
Bild: Anti-AfD-Demo in Berlin mit dem Motto: „Unser Kiez ist bunt“, Februar… | |
Nichts gegen einen „linken Besserwisser“, wie sich taz-Redakteur Kersten | |
Augustin in seinem taz-Text zur Zukunft der FCK-AfD-Demos | |
sympathischerweise selbst nennt – aber es wäre ganz schön, wenn er es | |
wirklich besser wüsste. Augustin findet, der Straßenprotest gegen die neuen | |
Nazis müsste „[1][kleiner, aber feiner]“ werden, wobei fein bedeutet: | |
unmissverständlich links konturiert und klarer gegen die konfuse Politik | |
der Ampel gerichtet; gegen die Abschiebungsfreunde der CDU und den | |
rechtsoffenen Populismus der CSU sowieso. | |
Mit dem Wunsch nach inhaltlicher Schärfung und nach Abgrenzung gegenüber | |
den alten politischen Gegnern aus der Union bei den erfreulich breiten | |
Anti-AfD-Demos dürfte Augustin nicht alleine sein. Allerdings kann man | |
fragen, ob man das Spiel der Definition von Reinheitsgeboten nicht besser | |
dem Selbstgespräch von Dogmatikern, welcher Couleur auch immer, überlassen | |
sollte. | |
Sind zum Beispiel die Fahnen der Freaks der MLPD, also der | |
Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, auf der letzten Berliner | |
Anti-AfD-Demonstration mit dem Augustin’schen Demo-Reinheitsgebot | |
kompatibel? Auf einen inhaltlichen Grundkonsens mit den anderen [2][150.000 | |
bis 250.000 Demonstrierenden] können die übrig gebliebenen Leninisten der | |
K-Gruppen-Sekte vielleicht nicht unbedingt zählen. | |
Wo fängt die Abgrenzung an, wo soll sie aufhören? Ich zum Beispiel bin | |
Agnostiker und habe für bedauernswerte Seelen, die ihr Heil in den | |
Traditionsresten des Christentums suchen, eher Verwunderung übrig. Soll | |
ich deshalb die Demonstration verlassen, wenn auch irgendwelche | |
christlichen Gruppen mitmarschieren? | |
## AfD gegen Werte des Grundgesetzes | |
Vom Musikgeschmack mal ganz zu schweigen: Wenn es so weitergeht, muss man | |
irgendwann auch noch Konstantin Weckers Geknödel, Udo Lindenbergs Geröchel | |
und BAPs Kölschhymnen auf den Demos ertragen, was unter ästhetischen | |
Gesichtspunkten nicht unbedingt erfreulicher ist als eine Rede von Olaf | |
Scholz oder das Zombielächeln von Christian Lindner. Praktizierter | |
Antifaschismus braucht offenbar sehr ausgedehnte Toleranzzonen, eine | |
gewisse Schmerzfreiheit oder gute Kopfhörer. | |
Natürlich hat Augustin ein starkes Argument, wenn er an den Rechtsschwenk | |
der Ampelparteien zum Beispiel in der Migrationspolitik erinnert und | |
zumindest einzelnen Unions-Politikern ein wahlkampfopportunistisches | |
Anbiedern an AfD-nahe Positionen vorwirft. Natürlich kann man es bigott | |
finden, wenn Scholz und Baerbock auf einer Potsdamer | |
Anti-AfD-Demonstration in die Kameras lächeln, nachdem sich in ihrer | |
Regierungszeit die Umfragewerte für die AfD nahezu verdoppelt haben. | |
Aber diese Argumentation übersieht die entscheidende Grenzlinie, die die | |
AfD von den demokratischen Parteien trennt, auch von denen, die unter | |
taz-Redakteuren völlig zu Recht nicht auf gesteigerte Sympathie stoßen. Die | |
AfD will nicht einfach eine andere Regierung. Sie will eine andere | |
Gesellschaft, ethnisch und in den Wertorientierungen homogenisiert, mit | |
einem reaktionären Rollback im Geschlechterverhältnis, nationalistisch bis | |
zur schweren ökonomischen Selbstbeschädigung des Landes in der Abkehr von | |
der EU, autoritär regiert und ohne Freiräume für politischen, kulturellen, | |
religiösen Pluralismus und eine offene, sichtbare Diversität der | |
Lebensstile und sexueller Orientierungen. | |
Ihr Programm eines „autoritären Nationalradikalismus“, wie es [3][Wilhelm | |
Heitmeyer] nannte, richtet sich gegen die Werte des Grundgesetzes und die | |
offene, pluralistische Gesellschaft als solche. Genau diese Werte | |
verteidigen die Demonstrierenden, wenn sie Menschenketten um Rathäuser und | |
Parlamente bilden. Schönes Paradox: Was sie verbindet, ist ihre | |
Unterschiedlichkeit. Genau den von der AfD bekämpften Pluralismus feiern | |
die Demonstrationen, wenn in vielen Städten Vertreter der Linkspartei | |
zusammen mit CDUlern, junge Alerta-alerta-Antifas mit den tollen [4][Omas | |
gegen Rechts] und mit Christen demonstrieren. | |
## Kleinster gemeinsamer Nenner reicht schon | |
„Alle zusammen gegen den Faschismus“ meint genau das: Es genügt als | |
Minimalgemeinsamkeit solcher Demonstrationen völlig, die Nazis abzulehnen. | |
Alles andere ist alles andere. Und über alles andere, von Migration über | |
Steuergesetzgebung und Mindestlohn bis zur rücksichtslos fahrradfeindlichen | |
Verkehrspolitik der Berliner CDU, kann und muss man dann immer noch | |
streiten, aber bitte in anderen Kontexten und anderen Arenen der | |
demokratischen Auseinandersetzung. | |
Die Stärke der „Kein Kölsch für Nazis“- und „Huck Föcke“-Demonstrat… | |
liegt nicht nur in ihrer Größe, sondern gerade in der Diversität der | |
Demonstrierenden – auch als Abbild der pluralistischen Gesellschaft und | |
ihrer bis vor Kurzem schweigenden Mehrheit. War die Neue Rechte in den | |
letzten Jahren fatal erfolgreich darin, den Begriff von Normalität zu | |
verschieben und offenen, aggressiven Rassismus zu enttabuisieren, | |
markieren die Demonstrationen eine Stopplinie dieser | |
Normalitätsverschiebung. | |
Auch deshalb reagieren AfD-Vertreter so gereizt und in einer durchgedrehten | |
Rhetorik darauf. Wenn das zu prinzipiell ist, vielleicht noch ein | |
pragmatisches Argument für möglichst breite Allianzen ohne nervöse | |
Abgrenzungsbedürfnisse: Einen Antrag auf eine Überprüfung der | |
verfassungsfeindlichen Bestrebungen der AfD und die Eröffnung eines | |
Verbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht können drei Organe | |
stellen: Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. | |
Derzeit sammelt ein CDU-Bundestagsabgeordneter unter seinen | |
MdB-Kolleg:innen aller Fraktionen (außer der AfD natürlich) Unterschriften, | |
mit dem Ziel, eine Bundestagsmehrheit für solch einen Antrag vor dem | |
Verfassungsgericht zu organisieren. Politisch klug wäre solch ein | |
Verbotsverfahren nur, wenn es von allen demokratischen Parteien, gerade | |
auch von den konservativen, getragen und offensiv argumentativ begleitet | |
wird. Wenn er diesen Antrag unterstützt, gehe ich notfalls sogar mit | |
Friedrich Merz demonstrieren. | |
19 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Proteste-gegen-Rechtsextreme/!5987699 | |
[2] /Protest-gegen-die-AfD/!5985428 | |
[3] /Soziologe-ueber-Radikalismus-der-AfD/!5967640 | |
[4] https://omasgegenrechts-deutschland.org/ | |
## AUTOREN | |
Peter Laudenbach | |
Peter Laudenbach | |
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