# taz.de -- Generaldebatte im Bundestag: Alle gegen alle oder gegen eine? | |
> Die Demos gegen rechts und die Radikalisierung der AfD sprengen die | |
> Dramaturgie der Generaldebatte. Friedrich Merz versucht eine | |
> Gratwanderung. | |
Bild: Oppositionsführer Friedirich Merz von der CDU bei der Generaldebatte am … | |
BERLIN taz | Wo sitzt der politische Gegner – links oder rechts von der | |
Union? Unionsfraktionschef Friedrich Merz hatte am Mittwoch im Bundestag | |
wahrlich keine einfache Aufgabe. Traditionell dient die Generaldebatte, | |
offziell aufgehängt am Haushalt des Kanzleramts, dem politischen | |
Schlagabtausch zwischen Oppositionschef und Kanzler. | |
Doch Merz steckte noch die berührende Gedenkstunde zum Holocaustgedenktag | |
in den Knochen, zudem gehen gerade überall in Deutschland beinahe täglich | |
Menschen [1][gegen Rechtsextremismus auf die Straße]. Demonstrationen, die | |
Merz ausdrücklich lobte. Die eingespielte Dramaturgie der Generaldebatte | |
aus Rede und Gegenrede schien überholt. | |
Also wagte Merz den Spagat – ein Gutteil seiner Redezeit widmete er der | |
[2][AfD] und bescheinigte den mehrheitlich männlichen Abgeordneten, die | |
sich rechts von der Unionsfraktion in die Sessel fläzten: „Sie sind nicht | |
die Alternative, sondern der Abstieg für Deutschland. Wirtschaftlich und | |
moralisch.“ | |
Zuvor teilte Merz hingegen wie gewohnt aus: gegen die Abgeordneten der | |
Ampel, links von ihm, und den Bundeskanzler, schräg hinter ihm sitzend. Er | |
machte die Ampel für die große Popularität der AfD in den Umfragen | |
verantwortlich. „Die Wähler der AfD sind nicht alle rechtsradikal, aber | |
alle frustriert.“ | |
## Um die Union wird es einsam | |
An der Politik der Bundesregierung ließ er kein gutes Haar. Man sei in | |
allen wesentlichen Fragen, ob Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschafts- | |
und Finanzpolitik, ob Arbeitsmarktpolitik oder Innen- und Rechtspolitik und | |
nicht zuletzt der Asyl- und Einwanderungspolitik völlig anderer Meinung. | |
Eine weitere Zusammenarbeit mit der Koalition aus SPD, Grünen und FDP | |
schloss Merz aus. „Ersparen Sie sich und uns Ihre Aufrufe zur | |
Zusammenarbeit.“ Auch für eine Reform der Schuldenbremse stehe seine | |
Fraktion nicht zur Verfügung. | |
Um die Union könnte es demnach ziemlich einsam im Bundestag werden. | |
Bundeskanzler Olaf Scholz, der nach Merz ans Rednerpult trat, wollte das so | |
nicht stehenlassen. „Demokraten müssen zusammenstehen“, reichte er Merz die | |
Hand. Zumal sich der Kanzler, der erneut für eine breitere internationale | |
Unterstützung für die Ukraine warb, in diesem Punkt mit Merz ziemlich einig | |
sein dürfte. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann redete Merz | |
gut zu: „Machen Sie sich doch nicht so klein.“ Man habe doch gemeinsam viel | |
erreicht, etwa beim Stiftungsgesetz. | |
Doch auch Scholz steht unter Druck. Für den Kanzler und die SPD geht es | |
zunehmend ums Ganze, nämlich ob Scholz den Hebel umlegen kann, um sich und | |
seine Partei aus dem Umfrageloch zu hieven und wieder Zutrauen zu schaffen. | |
Die SPD will ihn wieder kämpfen sehen. Und so streifte sich Scholz über die | |
gerade noch ausgestreckte Hand eben auch die Boxhandschuhe. | |
Im politischen Boxkampf habe Merz ein ganz schönes Glaskinn, zielte Scholz | |
auf Merz: „Sie teilen jeden Tag gegen die Bundesregierung aus, aber wenn | |
Sie mal kritisiert werden, sind Sie eine Mimose.“ Merz musste sich erst mal | |
am Kopf kratzen. | |
## Chancen für Zusammenarbeit sinken weiter | |
Überhaupt, so redete sich der Kanzler mit immer noch leicht belegter Stimme | |
in Fahrt, behindere die Union Reformen und ziehe alle Wachstumsbremsen der | |
Vergangenheit. „Ökonomischer Sachverstand: null. Keine ökonomische | |
Perspektive für Deutschland“, attestierte er Merz und Co. | |
In der Tat erinnert das politische Programm, das Merz als Gegenentwurf zur | |
Ampel skizzierte, stark an das letzte Jahrtausend: Die Union will | |
Sozialausgaben beschränken, Lohnzusatzkosten deckeln, Unternehmen | |
entlasten, Bürokratie abbauen und weg von der „einseitigen Orientierung auf | |
erneuerbare Energien“. Das Bürgergeld bezeichnete Merz als „subventionierte | |
Arbeitslosigkeit“, welches Leistungsbereitschaft verhindere. Dass | |
Deutschland die höchste Beschäftigung seit Jahrzehnten hat? Geschenkt. | |
Es bleibt also ein Rätsel, wie unter diesen Vorzeichen eine Zusammenarbeit | |
gelingen soll, zumal die Rahmenbedingungen schwierig sind und bleiben. Die | |
Kriege in der Ukraine und nun auch in Gaza haben den Koalitionsvertrag | |
teilweise ad absurdum geführt und seit dem Urteil des | |
Bundesverfassungsgerichts fehlen der Ampel Milliarden, insbesondere für den | |
klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. | |
Die Verhandlungen für den Haushalt, der am Freitag mit über zweimonatiger | |
Verspätung verabschiedet werden soll, waren nach Aussage der Haushälter von | |
SPD, Grünen und FDP die kompliziertesten, die sie je erlebt hätten. Der | |
Union, die nicht einen einzigen Änderungsantrag einbrachte, warfen sie gar | |
Arbeitsverweigerung vor. Herausgekommen ist ein Haushalt, der knapp 477 | |
Milliarden Euro umfasst und dennoch enorm auf Kante genäht ist. | |
## Gleich der nächste Ampel-Streit? | |
Die FDP lobt sich zwar, dass die grundgesetzliche Schuldenbremse, die neue | |
Kredite stark einschränkt, eingehalten werde. Aber der nächste Haushalt | |
dürfte auch deshalb noch kniffliger werden. Die Ausgaben sollen laut | |
Finanzplanung um 25 Milliarden Euro sinken. Das bedeutet neue Sparrunden | |
und neue Verteilungskämpfe, auch innerhalb der Ampel. | |
Die Sprecherin der Grünen Jugend Svenja Appuhn bezeichnete es gegenüber der | |
taz als „unverständlich“, dass die Schuldenbremse wieder eingehalten werde. | |
„Gerade jetzt bräuchte es ein massives Investitionsprogramm für | |
Daseinsvorsorge, gute Arbeit und sozialen Klimaschutz“, so Apphuhn. Denn | |
die Teuerungen machten vielen Menschen zu schaffen, Beschäftigte erlebten | |
Reallohnverluste. „Das schürt Verunsicherung und Abstiegsängste und schadet | |
der Demokratie.“ | |
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wagte im Bundestag ein wenig Selbstkritik: | |
„Durch unser Verhalten in der Fraktion haben wir manchmal Verdruss und | |
Besorgnis gefördert.“ Debatten seien notwendig, „Eigennutz, Unhöflichkeit | |
und Besserwisserei müssen dagegen aufhören.“ | |
Allerdings brach Mützenich gleich mal selbst mit diesem Vorsatz, indem er | |
eine Lieblingsforderung der SPD auch in der Generaldebatte ins Schaufenster | |
stellte: Sollte tatsächlich der Kinderfreibetrag erhöht werden – wie es | |
FDP-Finanzminister Christian Lindner will – dann müsse auch das Kindergeld | |
steigen. | |
Was unter Gerechtigkeitsaspekten nachvollziehbar ist, würde den ohnehin | |
überstrapazierten Etat der Bundesregierung sprengen. Und birgt neuen | |
Sprengstoff für die Ampel. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai kündigte | |
schon mal eine neue Debatte über die Zukunft des Sozialstaats an, der auch | |
gerecht sein müsse gegenüber denjenigen, die ihn finanzierten. | |
Wie wichtig es aber wäre, dass sich die Demokrat:innen auch im | |
Bundestag zusammenraufen, machte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel deutlich. | |
Da die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht zwar diese Woche wohl | |
[3][offiziell Gruppenstatus erhalten werden], in der Generaldebatte aber | |
kaum zu Wort kamen und auch keine Fraktion mehr sind, ist die AfD jenseits | |
der Union nun die einzige relevante Oppositionsfraktion. | |
Weidel sprach von einer „beispiellosen Verleumdungskampagne“ gegen ihre | |
Partei, bezeichnete in ihrer Rede das Recherchenetzwerk Correctiv als mit | |
Steuergeldern finanzierte „Hilfsstasi“ und deren Recherche über die | |
Deportationspläne, die AfD-Politiker und Rechtsextreme schmiedeten, als | |
„unglaubliche Lügen“. Um dann der Ampel vorzuwerfen, das Land mit illegalen | |
Migranten zu „fluten“ und „den Deutschen ihre Heimat zu nehmen“. „Die… | |
Regierung hasst Deutschland“, schrillte Weidel. | |
Keine weiteren Fragen. | |
31 Jan 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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