# taz.de -- Wahlkreisreform beschlossen: Sturm im Wasserglas | |
> Gemeinsam mit der AfD wettert die Union gegen eine kleine Wahlkreisreform | |
> der Ampelkoalition. Dabei verbreitet sie auch Fehlbehauptungen. | |
Bild: CDU-Politiker Philipp Amthor am 1. Februar im Bundestag | |
BERLIN taz | Philipp Amthor redete sich in Rage. Einen „großen Schaden für | |
die Demokratie“ würde die Ampelkoalition anrichten, wetterte der | |
CDU-Abgeordnete am Donnerstag im Bundestag. Sie würde „tricksen“ und | |
„Wahlkreise manipulieren“. Es sei die „staatspolitische Verantwortung der | |
Opposition, die Regierung daran zu hindern, die Verfassung zu brechen, und | |
genau das tun wir bei diesem Wahlrecht“. Deswegen lehne die Union den | |
Gesetzentwurf der Ampel ab. | |
Ein erstaunlicher Auftritt angesichts eines eigentlich unspektakulären | |
Vorgangs. Denn die von der Ampelkoalition [1][auf den Weg gebrachte | |
Wahlkreisreform] ist realiter nur ein ganz kleines Reförmchen. Die | |
gewichtigste Änderung ist die Umverteilung eines Wahlkreises von | |
Sachsen-Anhalt nach Bayern. Die hat ihren Grund darin, dass die bisherige | |
Verteilung der Wahlkreise auf die Länder nicht mehr deren | |
Bevölkerungsanteil entspricht. | |
Aufgrund der rückläufigen Bevölkerungsentwicklung in Sachsen-Anhalt | |
reduziert sich dort die Zahl der Wahlkreise von neun auf acht, der | |
bisherige Wahlkreis Anhalt wird aufgelöst. Im Gegenzug bekommt Bayern den | |
neuen Wahlkreis „Memmingen – Unterallgäu“, der aus Teilen der bisherigen | |
Wahlkreise Augsburg-Land, Neu-Ulm und Ostallgäu besteht. | |
Ansonsten werden in Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Sachsen, | |
Schleswig-Holstein, Thüringen die Beschreibungen von Wahlkreisen geändert, | |
ohne dass das Auswirkungen auf die Wahlkreisabgrenzung hat. Mit diesen | |
Änderungen wird kommunalen Gebiets- und Namensänderungen Rechnung getragen, | |
ein bloß formaler Akt ohne weitergehende Relevanz. | |
## Wettern ohne Grund | |
Der Ampelgesetzentwurf basiert auf den Vorschlägen der Wahlkreiskommission, | |
eines unabhängigen Sachverständigengremiums. Die sieben Fachleute werden | |
vom Bundespräsidenten eingesetzt, Vorsitzende ist Bundeswahlleiterin Ruth | |
Brand, die Präsidentin des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden. | |
So wirklich Grund zur Aufregung besteht also nicht. Trotzdem wetterten | |
Union und AfD am Donnerstag im Bundestag in trauter Gemeinsamkeit gegen die | |
Wahlkreisreform. „Es geht um politischen Machterhalt“, ereiferte sich der | |
AfD-Abgeordnete Christian Wirth. Das neue Gesetz sei bewusst so gemacht, | |
„dass es der AfD schadet“. Die Rechtsaußenpartei hat das Direktmandat in | |
dem Wahlkreis gewonnen, der in Sachsen-Anhalt wegfallen soll. | |
Wie Wirth behauptete auch CSU-Mann Alexander Hoffmann, von dem neuen | |
Wahlkreiszuschnitt in Bayern würden die Grünen bevorteilt. Am Montag hatte | |
CDU-Chef Friedrich Merz bereits behauptet, mit der Änderung solle erreicht | |
werden, dass der bayerische Wahlkreis Augsburg-Stadt „nicht zu viele | |
CSU-Wähler hat“ und Claudia Roth „bei der nächsten Bundestagswahl in | |
Augsburg-Stadt ihren Wahlkreis behalten kann“. | |
## Das einigermaßen absurde Tohuwabohu | |
Das allerdings war eine Falschbehauptung. Denn Roth hat noch nie ihren | |
Wahlkreis gewonnen, sondern zog stets über die grüne Landesliste ins | |
Parlament ein. Von einer von Merz behaupteten „Wahlrechtsmanipulation“ à la | |
USA kann ohnehin nicht die Rede sein. Denn selbst wenn Roth beim nächsten | |
Mal den Wahlkreis gewinnen könnte, wäre das für die Kräfteverhältnisse im | |
Bundestag ohne Belang. | |
Merz spielte auf das „Gerrymandering“ in den USA an, also das vornehmlich | |
von den Republikanern betriebene Spielchen, Wahlkreise so zuzuschneiden, | |
dass sich dadurch die eigenen Erfolgsaussichten bei einer Wahl erhöhen. | |
Anders als in den USA setzt sich der Bundestag jedoch nicht nach dem | |
Mehrheits-, sondern nach dem Verhältniswahlrecht zusammen. Wer ein | |
Direktmandat gewinnt, ist daher unwichtig dafür, über wie viele Sitze eine | |
Partei im Parlament verfügt. Darüber entscheiden seit einer im März | |
vergangenen Jahres beschlossenen Wahlrechtsreform ausschließlich die | |
Zweitstimmen. | |
Als „einigermaßen absurd“ bezeichnete die Linksabgeordnete Petra Sitte denn | |
auch das Tohuwabohu der Union. Der SPD-Abgeordnete Sebastian Hartmann | |
forderte CDU und CSU auf: „Zügeln Sie Ihre Sprache.“ | |
2 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://dserver.bundestag.de/btd/20/101/2010178.pdf | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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