# taz.de -- Grünen-Abgeordnete Emilia Fester: Politik der schnellen Schnitte | |
> Emilia Fester bringt Parlamentsalltag auf Instagram und Gefühle in den | |
> Plenarsaal. Nach Shitstorms fragt sie sich: Sollte ich vorsichtiger | |
> werden? | |
Bild: Spricht im Schloss Bellevue und auf der Abifeier: Emilia Fester | |
Berlin taz | Emilia Fester lässt sich auf einen Stuhl in der | |
Bundestagskantine sinken. „Geschafft!“ Vor ihr stehen ein Cappuccino und | |
eine Brezel, das Erste, was sie heute isst. Es ist kurz vor 12 Uhr an einem | |
Donnerstag Mitte März. Vor wenigen Minuten hat die Grünenpolitikerin nur | |
ein paar Meter weiter [1][ihre erste Rede] im Bundestag gehalten. Es war | |
ein emotionales Plädoyer für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. | |
Jetzt blinkt ihr Handy im Sekundentakt. Über 1.000 neue Follower:innen | |
[2][auf Twitter] hat sie in den wenigen Minuten, die seit ihrer Rede | |
vergangen sind, dazubekommen. Ständig kommen Leute zu ihr an den Tisch, um | |
ihr zu gratulieren. | |
Fester nimmt die Glückwünsche lächelnd entgegen. Noch weiß sie nicht, dass | |
sie in den nächsten Stunden und Tagen Tausende Hassnachrichten und sogar | |
Morddrohungen erhalten wird. | |
Emilia Fester ist „die mit dem Superlativ“, wie der Spiegel vor Kurzem | |
treffend schrieb. Sie ist die jüngste Abgeordnete im Deutschen Bundestag, | |
mittlerweile ist sie 24. Das bringt Aufmerksamkeit. Etwa 80 Interviews habe | |
sie in den ersten Wochen nach der Wahl gegeben. Sie durfte zum Festakt am | |
9. November, der an die Ausrufung der Weimarer Republik, die | |
Reichspogromnacht und den Mauerfall erinnern sollte, im Schloss | |
Bellevue eine Rede halten. Auch diesen Text gäbe es ohne diesen Superlativ | |
wahrscheinlich nicht. | |
## Lauter, präsenter, emotionaler | |
Dabei ist Festers Alter gar nicht so besonders. Es gab | |
Bundestagsdebütant:innen, die noch jünger waren. Anna Lührmann | |
beispielsweise, heute Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen | |
Amt, war 19, als sie 2002 erstmals ins Parlament gewählt wurde. Jens Spahn | |
war 22 bei seiner ersten Wahl. Das wirklich Spannende an Emilia Fester ist | |
ihr Selbstverständnis als Politikerin, das sie in den ersten neun Monaten | |
als Parlamentarierin entwickelt hat. | |
Fester ist – auch im Gegensatz zu anderen jungen Politiker:innen – | |
lauter, präsenter und vor allem emotionaler. Sie ist nahbar und | |
gleichzeitig gut darin, sich zu inszenieren, vor allem in den sozialen | |
Medien. Das bringt Fester Aufmerksamkeit für ihre politischen Themen. Es | |
lässt sie in den ersten neun Monaten als Bundestagsabgeordnete aber auch an | |
ihre eigenen Grenzen stoßen. | |
Anfang November 2021, eine Woche nach der konstituierenden Sitzung des | |
Deutschen Bundestags, sitzt Emilia Fester in einem Café in der Nähe des | |
Reichstags. In ihrem Büro kann man sich noch nicht treffen, weil sie noch | |
keines hat. Neue Abgeordnete kommen in den ersten Wochen nach der Wahl bei | |
dienstälteren unter – so lange, bis alle ausscheidenden Abgeordneten ihre | |
Büros geräumt haben. | |
Fester erzählt, was sie vorhat, was sie erreichen will im Parlament. Ihr | |
Fachgebiet ist die Kinder- und Jugendpolitik. Sie setzt sich für die | |
Kindergrundsicherung ein, für Kindergrundrechte im Grundgesetz, für das | |
Absenken des Wahlalters – am liebsten auf 0 Jahre, für die bessere | |
Ausstattung der Freiwilligendienste, für Partizipationsmöglichkeiten junger | |
Menschen. „Ich will die Perspektive von jungen Menschen in den Bundestag | |
einbringen, weil die bislang fehlte“, sagt sie und schließt damit explizit | |
ihre eigene Perspektive ein. | |
Fester sieht sich nicht nur als Abgeordnete im Wortsinn, als Anwältin für | |
Jugendliche und deren Interessen, sondern als junger Mensch im Bundestag, | |
der die gleichen Interessen hat und diese energisch vertritt. Am | |
deutlichsten wird dieses Verständnis an jenem Donnerstag, dem 17. März, bei | |
ihrer ersten Rede im Bundestag. | |
Fester hat sich intensiv auf diese Rede vorbereitet, mit ihren | |
Mitarbeiter:innen an der Wortwahl gefeilt, Ton und Tempo der Rede | |
geübt. Um 10.59 Uhr tritt Fester an das Rednerpult. Haltung, Gestik, Mimik | |
– alles wirkt aufeinander abgestimmt, fast choreografiert, auch wenn sich | |
ihre Stimme an der ein oder anderen Stelle überschlägt. | |
Inhaltlich argumentiert sie nicht mit Zahlen und Fakten zur Wirkung der | |
Impfung, sondern mit ihrer eigenen Erfahrung während der Pandemie. Und mit | |
ihrer Wut. Sie sagt: „Als die Pandemie begonnen hatte, war ich 21 Jahre | |
alt.“ Kurze Pause. „Wissen Sie noch, was Sie gemacht haben, als Sie 21 | |
waren?“ Es folgt eine Aufzählung, auf was sie alles aus Solidarität | |
verzichtet habe. Dann sagt sie, nein, schreit fast: „Aber ich fordere jetzt | |
den Payback. Wir haben nämlich was gefunden, das uns schützen kann. Deshalb | |
will ich meine Freiheit zurück. Ich will sie zurück!“ | |
Ihre Art zu reden, fällt auf im Plenarsaal. Vizekanzler Robert Habeck, der | |
einen Großteil der Debatte gebeugt über seine Akten verbringt, hört auf | |
einmal zu. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel guckt im „Kürschner“, dem | |
Handbuch über Bundestagsabgeordnete, nach, wer sie da von vorne anschreit. | |
Ein Ausschnitt der Rede schafft es in die „Tagesschau“. Fester ist | |
zufrieden. „Ich glaube, das hat Wirkung gezeigt“, sagt sie, als sie etwas | |
erschöpft in der Bundestagskantine vor ihrer Brezel sitzt, die | |
Körperspannung von vor wenigen Minuten ist verflogen. | |
Festers Politikstil hat einen großen Vorteil. Da sie Jugendpolitik macht, | |
hat sie gewissermaßen einen Wissensvorsprung. Fester ist selbst jung, sie | |
muss sich nicht ständig Gefühle und Interessen anderer aneignen, weil es | |
ihre eigenen sind. Sie muss dadurch auch nicht zwanghaft Authentizität nach | |
außen herstellen. Als sie im Bundestag einmal auf junge Auszubildende | |
trifft, die eine Tour durch den Bundestag machen und mehrere | |
Politiker:innen treffen, sagt Fester: „Und was fragt ihr die so?“ Die, | |
nicht uns. Die eigene Jugend ist für eine Jugendpolitikerin eine nicht zu | |
unterschätzende Legitimation. | |
Festers Politikstil hat aber auch einen großen Nachteil. Sie steht stets | |
mit ihrer ganzen Person im Mittelpunkt. Wer seine Persönlichkeit derart mit | |
seinen politischen Inhalten verknüpft, wie Fester es tut, macht sich | |
angreifbar. In einem gemeinsamen Interview mit Wolfgang Schäuble ermahnte | |
sie der ehemalige Bundestagspräsident kürzlich, dass sie nicht nur | |
Abgeordnete für junge Menschen sein könne. Fester wird auch mehr als andere | |
zur Zielscheibe für Hass und Hetze, denen junge Frauen in der Politik | |
ohnehin schon regelmäßig ausgesetzt sind. | |
Ihr erster Shitstorm folgt auf die Impfpflicht-Rede. Fester hatte in der | |
Rede behauptet, dass auch sie auf Auslandsreisen verzichtet hat, dabei | |
belegt ihr Instagram-Account, dass sie in Dänemark war. Für einige ein | |
willkommener Anlass, Fester mit Beleidigungen zu überschütten. Auch die Art | |
ihrer Rede – laut, fordernd, auf sich bezogen – triggert viele. Es folgen | |
Hasskommentare, sogar Morddrohungen. Auf Twitter trendet der misogyne | |
Hashtag #Göre. | |
„Das war wild“, beschreibt Emilia Fester einige Wochen später die Tage nach | |
ihrer Rede. Es habe sie und ihre Mitarbeiter:innen Stunden gekostet, | |
die Kommentare und E-Mails zu sichten. Rund 80 Beleidigungen und | |
Bedrohungen habe sie der Organisation Hate Aid, einer Beratungsstelle für | |
Betroffene von Hass und Hetze im Internet, geschickt, die einen Teil davon | |
anzeigt. Nur irgendwann müsse man sich auch selbst schützen, sagt Fester: | |
Nicht alles lesen, nicht alles angucken. Wenn es zu viel wird, löscht ihr | |
Pressesprecher schon mal die Twitter-App von ihrem Handy. „Es wäre gelogen, | |
zu behaupten, dass das nichts in einem auslöst“, sagt Fester. | |
Sie wohnt mit zwei anderen jungen Grünen-Politikerinnen, Saskia Weishaupt | |
und Marlene Schönberger, in einer WG. Die hätten ihr in dieser schwierigen | |
Zeit Halt gegeben. „Wir haben darüber geredet, aber sie haben mich auch | |
abgelenkt“, sagt Fester. Dass sie mit anderen Politikerinnen | |
zusammengezogen ist, sei eine bewusste Entscheidung gewesen. Sie könne sich | |
nicht vorstellen, das Politikerin-Dasein an der Haustür abzugeben. | |
Trotz des Shitstorms sagt Fester: „Das Vorhaben, auf das Thema Jugend in | |
der Pandemie aufmerksam zu machen, ist mir geglückt.“ Zu dem Zeitpunkt geht | |
sie davon aus, dass zumindest eine Impfpflicht ab 50 Jahren eingeführt | |
wird. Am Ende wird auch diese Impfpflicht im Bundestag kläglich scheitern. | |
Gleichzeitig beklagt Fester, dass sie in den zahlreichen Interviews, die | |
sie nach ihrer ersten Rede gegeben hat, vor allem über Hate Speech geredet | |
hat, anstatt über die Impfpflicht. Auch das ist ein Nachteil ihres | |
emotionalen Politikstils: Es kann passieren, dass sie die Kontrolle über | |
die Themensetzung verliert. Ändern will Fester daran vorerst dennoch | |
nichts. „Ich will keine Politik machen ohne Ecken und Kanten“, sagt sie. | |
[3][Auf Instagram] veröffentlicht sie einige Wochen später ein Reel, | |
mehrere schnell hintereinander geschnittene Fotos, auf denen sie | |
abwechselnd böse, traurig, kämpferisch, fröhlich, erschrocken und | |
nachdenklich guckt. „Emotionen und Politik schließen sich nicht aus!“, | |
schreibt sie dazu. „Das ist total normal und sollte auch nicht versteckt | |
werden.“ | |
Bei Fester hat man den Eindruck: Emotionen und Politik bedingen sich sogar. | |
Wenn man sie nach ihren ersten politischen Erfahrungen fragt, erzählt sie | |
nicht von ihrem Parteieintritt oder einem Wahlkampf, sondern von einer | |
Schulfreundin, die ADHS hatte und es deshalb schwer bei den Lehrer:innen | |
gehabt hätte. „Das hat mich aufgeregt“, sagt Fester. Später wird sie | |
Schulsprecherin. Auch dass sie nicht wählen konnte, obwohl sie sich schon | |
für Politik interessierte und mitentscheiden wollte, habe sie sauer | |
gemacht. Ein Grund, warum sie heute für die Senkung des Wahlalters | |
eintritt. | |
Nach dem Abitur geht Fester nach Hamburg, um als Regieassistentin zu | |
arbeiten. „Das war naheliegend“, sagt Fester. Sie kommt aus einer | |
Theater-Familie, ihre Eltern sind in der freien Theaterszene aktiv, haben | |
sie früh zu Auftritten mitgenommen. In Hamburg bewirbt sie sich auch auf | |
ein Studium an der Hochschule für Musik und Theater. Für die Bewerbung | |
schreibt sie den Entwurf eines Stücks, in dem Jugendliche vieler Rechte | |
beraubt sind, keine Stimme mehr haben. Es ist eine Dystopie, eine Anklage. | |
Angenommen wird Fester nicht, aber die Hochschule habe sich bei ihr | |
gemeldet, um über die Kritik, die auch an die Theaterszene gerichtet war, | |
zu sprechen. | |
Heute erinnern Fester die Abläufe im Bundestag zum Teil an ihre Zeit am | |
Theater, sagt sie. Der Gong am Anfang einer Plenarsitzung, die Reden, bei | |
denen man aufgrund der Parteizugehörigkeit im Prinzip schon wisse, was | |
gesagt werde, das rituelle Beklatschen der eigenen Leute. „Das hat sicher | |
zum Teil seine Berechtigung, aber junge Menschen fühlen sich davon kaum | |
angesprochen“, sagt Fester. In den institutionalisierten Bundestagsdebatten | |
und -beratungen kann Fester ihre politischen Emotionen kaum ausleben. Und | |
wenn sie es tut, wie bei ihrer ersten Rede, fällt es sofort auf. | |
In diese Rede habe sie auch ein, zwei Sätze für Social Media | |
reingeschrieben. Vor allem die Plattform Instagram ist wichtig für Festers | |
politische Kommunikation. Rund 20.000 Menschen folgen ihr dort. So viele | |
wie den FDP-Bundesministern Volker Wissing oder Marco Buschmann zusammen. | |
Fester nutzt die Plattform einerseits, um ihre Politik zu vermitteln. In | |
einer langen Story laufen zum Song von „Mama Said“ von Lukas Graham mehrere | |
Bilder und Videos über den Bildschirm: Fester wie sie einen Preis des | |
Netzwerks Kinderrechte bekommt, ein Zitat von Annalena Baerbock, die | |
Kinderrechte im Grundgesetz fordert, aber vor allem die Info, dass 20 | |
Prozent der Kinder in Deutschland in Armut leben, woraus Fester ihre | |
Forderung nach einer Kindergrundsicherung ableitet. Ähnliche Posts gibt es | |
zu Themen wie Freiwilligendienste, Gewerkschaften oder Feminismus. Fester | |
versucht auch, die etwas staubigen Strukturen im Bundestag zu erklären und | |
beantwortet Fragen wie: Was sind Obleute? Wie arbeitet ein Ausschuss? Was | |
ist ein Hammelsprung? | |
Andererseits ist Instagram vor allem jene Emotionsmaschine, die für Festers | |
Politik so wichtig ist. Und Fester weiß sie zu bedienen. | |
## Zähneputzen und Redenüben als Video | |
Nach der Ernennung des Kabinetts postet sie bei Instagram ein | |
Freudentanzvideo im Bundestag. Sie zeigt ihren Alltag innerhalb und | |
außerhalb des Parlaments: Vom Weckerklingeln übers Zähneputzen, | |
Frühstücken, Longboardfahren bis hin zu Teamsitzungen, Redenüben, | |
Wahlkampf- und Medienauftritten. Die Videos sind schnell geschnitten und | |
mit Popmusik hinterlegt. „Ich will zeigen, dass da Menschen im Bundestag | |
sitzen, die sich auch mal freuen oder denen es auch mal schlecht geht.“ | |
Wenn das Parlament die Theaterbühne ist, nimmt einen Fester auch in den | |
Backstagebereich mit. | |
Auch das ist eine Form der Inszenierung. Die Nähe, die Fester herstellen | |
will, mag echt sein, aber sie erfüllt immer auch einen Zweck. Sie ist Teil | |
ihrer politischen Kommunikation. „Wir gestalten den Instagram-Feed | |
natürlich so, dass er auch gut aussieht.“ Abwechslung, die richtig | |
Mischung. Fester achtet peinlichst darauf, dass bestimmte private Dinge, | |
teils auch banale, nicht auf Instagram und nicht in der Zeitung landen. | |
[4][Ein Porträt im Spiegel] über Fester ist Ausgangspunkt des zweiten | |
Shitstorms, der über sie fegte. Im Text wird Fester mit folgendem Satz | |
zitiert: „Letztendlich opfere ich auch meine eigene Jugend für diesen Job | |
auf.“ Im Grunde eine Nullaussage. Denn natürlich erlebt eine 24-Jährige, | |
die zum Teil 60 Stunden und mehr in der Woche arbeitet und ständig in der | |
Öffentlichkeit steht, keine Durchschnittsjugend – auch wenn Fester dafür | |
viel Geld bekommt. | |
Im Text selbst geht der Satz fast unter, aber die Onlineredaktion des | |
Magazins setzt das Zitat in die Überschrift. Fester wird Arroganz und | |
Dekadenz vorgeworfen. Wieder erhält sie Hassbotschaften und Morddrohungen. | |
„Ich hatte mich gerade so ein bisschen aus der Situation freigeschwommen, | |
dass, egal wo ich auftrete, egal was ich sage, erst einmal etwas Negatives | |
kommt“, sagt Fester. Ein andere Aussage im Spiegel-Text wird dagegen kaum | |
beachtet. Fester sagt, dass sie kein Fan des 100-Milliarden-Sondervermögens | |
für die Bundeswehr sei, und ist damit auf Linie der Grünen Jugend, deren | |
Mitglied sie ist. | |
Dennoch stimmt Fester, wie auch alle anderen Mitglieder der Grünen Jugend | |
im Bundestag, am Ende dafür. Für die Begründung muss sich Fester etwas | |
verrenken. Als Parlamentarierin sei es ihre Aufgabe, eine Parlamentsarmee | |
auch ordentlich auszustatten, schreibt sie in einer Erklärung. Ein noch | |
wichtigerer Grund dürfte allerdings gewesen sein: die grüne Außenministerin | |
Annalena Baerbock, die die Verhandlungen zum Sondervermögen geführt hat, | |
nicht zu beschädigen. | |
An einem Donnerstag, anderthalb Wochen vor der parlamentarischen | |
Sommerpause, sitzt Fester zusammen mit ihrem Pressesprecher in einem | |
Linienbus Richtung Hamburger Süden. Sie besucht auf Einladung einen | |
Kindergarten, der einen „Tag der kleinen Forscher*innen“ veranstaltet. | |
Fester sieht müde und abgekämpft aus. | |
Auf ihrem Handy liest sie einen [5][Artikel des Nachrichtenportals watson], | |
der an dem Tag erschienen ist. Der Politikberater Bendix Hügelmann | |
analysiert Festers Kommunikation und gibt gleichzeitig zu bedenken, dass | |
bei Abgeordneten die vollen Arbeitstage, das ständige | |
In-der-Öffentlichkeit-Stehen zu Überlastungen bis hin zum Burnout führen | |
kann. Jüngst musste sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, | |
Michael Roth, SPD, eine Auszeit nehmen, weil er mental erschöpft gewesen | |
sei. | |
Frage an Fester: Wie überarbeitet ist sie? Sie winkt ab. Geht schon. Erst | |
später erzählt ihr Pressesprecher, dass vor wenigen Tagen eine Hamburger | |
Grünen-Politikerin bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Fester kannte | |
sie gut, sei immer noch schockiert und traurig über den Verlust. | |
Im Kindergarten lässt sich Emilia Fester die Einrichtung zeigen, fragt | |
nach Konzepten und Nachhaltigkeit, verbuddelt mit den Kindern Saatbomben im | |
Garten und malt Regenwürmer. Sie scheint zu entspannen im Umgang mit den | |
Kindern, die Trägheit der Busfahrt ist weg. Einige Kinder sind schüchtern, | |
aber Fester gleicht das aus. Es wird gesungen und getanzt. | |
Auf der Rückfahrt in die Hamburger Innenstadt planen sie und ihr | |
Pressesprecher die Termine für die kommenden Tage. Am Samstag wird Fester | |
eine Rede auf der Abifeier ihres alten Gymnasiums in Hildesheim halten. Am | |
Sonntag ist sie auf einer Debattenveranstaltung einer Zeitung. | |
Sind sie und ihr Team vorsichtiger geworden mit dem, was sie preisgeben? | |
Muss man sich vielleicht sogar eine Art Panzer aus gesunder Eitelkeit | |
zulegen, wie es viele Politiker:innen tun, um dem medialen Druck | |
standzuhalten? Emilia Fester antwortet mit einer Anekdote. „Das Verrückte | |
ist, dass die Arroganz zum Teil von außen an einen herangetragen wird.“ | |
## Sätze werden als arrogant ausgelegt | |
Als sie letztens bei einem Empfang der Hamburger Bürgerschaft bei jungen | |
Politiker:innen gestanden habe, die über Parkraumbewirtschaftung | |
sprachen, habe sie gesagt: „Oh, ich hatte vergessen, wie toll | |
Kommunalpolitik ist.“ Das sei ihr als Arroganz ausgelegt worden – obwohl | |
sie einfach nur habe ausdrücken wollen, wie nah Kommunalpolitik am Menschen | |
sei. | |
Hallen die Shitstorms also doch nach? „Mit Sicherheit passiert da was | |
unterbewusst, aber ich will mich nicht aktiv dafür entscheiden“, sagt | |
Fester. „Dass ist ja das, was die Hater wollen. Die wollen, dass ich | |
vorsichtiger werde.“ | |
Sie sagt, sie müsse lernen, sich von Hass abzugrenzen. Wenn man mehrere | |
Morddrohungen bekomme, wolle man sich irgendwann nicht mehr mit den | |
Kommentaren der anderen beschäftigen. „Nur dadurch kommt vielleicht auch | |
ernstzunehmende Kritik zu wenig bei mir an.“ | |
Wie viel Vorsicht ist richtig? Wie viel Wagnis nötig? Fester balanciert. | |
Auf der Rückfahrt von der Kita unterhalten sie und ihr Pressesprecher sich | |
auch über geplante Interviewtermine. Fester will zusammen mit ihren zwei | |
Mitbewohnerinnen auf dem WG-Balkon mit einer Journalistin sprechen. | |
Ihr Pressesprecher wäre gern dabei, sagt er. Die letzten Texte hätten ja so | |
hohe Wellen geschlagen. Aber Fester will es lieber ohne ihn wagen. | |
1 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gruene-bundestag.de/parlament/bundestagsreden/impfpflicht-3 | |
[2] https://twitter.com/emiliafester | |
[3] https://www.instagram.com/emiliafester/reels | |
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/emilia-fester-die-gruenen-letzte… | |
[5] https://politik.watson.de/deutschland/analyse/641684105-instagram-und-emili… | |
## AUTOREN | |
Daniel Böldt | |
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