| # taz.de -- Rechtsextreme Gesänge auf Sylt: Rassismus als Partykracher | |
| > Vor einem Promiclub auf Sylt werden ausländerfeindliche Parolen zu | |
| > Discomusik gesungen. Seit Monaten geht diese Version in rechtsextremen | |
| > Kreisen viral. | |
| Bild: Archivbild der Gaststätte Pony in Kampen, Sylt | |
| Berlin taz | Das Video einer ausgelassenen Partyhorde sorgt seit | |
| Donnerstagsabend für Aufregung auf diversen Social-Media-Kanälen. Es zeigt | |
| knapp 20 feiernde Menschen mit Getränken, die zu Discomusik den alten | |
| Nazislogan „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ singen. Gefilmt | |
| wurde es offenbar als Selfie von einer jungen Frau, die fröhlich in die | |
| Kamera singt. Sonnenbrillenträger singen Aperol Spritz schwenkend lauthals | |
| mit. | |
| Besonders auffällig ist ein Mann im Hintergrund, der mit lässig über die | |
| Schultern gelegtem Pullover den rechten Arm winkend nach oben streckt. Zwei | |
| Finger der linken Hand legt er sich zudem an die Oberlippe, eine Geste, die | |
| als Symbol für Hitlers Bärtchen gelesen werden kann. | |
| Als eine der ersten hatte die Podcasterin Nora Zabel das Video getwittert. | |
| „Eher Anzeigen sind raus“ hatte sie dazu auf X als Replik auf den | |
| ausländerfeindlichen Slogan im ursprünglichen Post geschrieben. [1][Zabel | |
| ist CDU-Mitglied und hat sich mit dem feministischen Podcast | |
| „Womensplaining“ einen Namen gemacht.] | |
| Sie sei von einer Freundin auf das Video aufmerksam gemacht worden, die es | |
| in einer Fußballbubble gesehen habe, sagte Zabel der taz. Geteilt habe sie | |
| es, damit die Menschen in dem Video „sehen, was sie für einen Mist gemacht | |
| haben.“ Wo die Menge gesungen hat, wusste sie da auch noch nicht. | |
| ## Partycrowd vor Sylter Promiclub | |
| Weil ihr Post auf X schnell gelöscht wurde, hatte Zabel das Video erneut | |
| gepostet. Auch dieser zweite Post ist mittlerweile gelöscht. Zuvor war es | |
| aber von prominenten Accounts [2][wie dem Jan Böhmermanns] retweetet | |
| worden. Der ZDF-Moderator stellte zudem die Frage: „Wer und wo sind diese | |
| Leute?“. So kam schnell heraus, dass die Szene offenbar vor dem Pony Club | |
| in Kampen auf Sylt gefilmt wurde. Der bezeichnet sich auf seiner Homepage | |
| als „ältester Nachtclubs Deutschlands“, in dem sich „Stammgäste und die | |
| neue Generation von heute in perfekter Harmonie“ zum gemeinsamen Feiern | |
| treffen würden. An Pfingsten feiert der Club auf der Nordseeinsel | |
| regelmäßig mit besonderen Events. | |
| Der Prominenten-Club reagierte umgehend. Auf seinem Instagam-Profil teilte | |
| er über Ausschnitten des Videos ein klares Statement, in dem sich die | |
| Betreiber „von jeder Art Rassismus und Diskriminierung“ distanzieren. „Bei | |
| uns ist jeder Gast unabhängig von der Ethnie herzlich willkommen“, heißt es | |
| weiter. Und im „PS“ wird hinzugefügt: „All diejenigen, die sich singend … | |
| dem Video wiedererkennen … Ihr habt Hausverbot bei uns!“ | |
| ## Club-Betreiber erstattet Anzeige | |
| Tim Becker, Mit-Inhaber des Pony Club im Kampen, erklärte der taz am | |
| Freitagmorgen, sein Geschäftspartner sei gerade bei der Polizei in | |
| Westerland und erstatte Anzeige. Es hätten sich einige Leute beim Club | |
| gemeldet, die die Gäste wiedererkannten, die die ausländerfeindlichen | |
| Parolen riefen. Sie bekämen im Club Hausverbot, er und sein | |
| Geschäftspartner seien in Kontakt mit einem Anwalt, der weitere Schritte | |
| prüfe. Die Aufnahme stamme von einer Party vom Pfingstwochenende. „Es war | |
| richtig viel los, 400 bis 500 Leute. Der Charakter war eher der von einem | |
| Festival.“ | |
| Öffentlich ist über die Teilnehmer:innen der rassistischen Sause bisher | |
| wenig bekannt. Gleich zu Beginn des Videos erscheint eine Frau in | |
| Großaufnahme, die fröhlich feiernd die Zeilen mitsingt. Sucht man nach | |
| dieser Frau im Netz, findet man schnell professionelle Modelfotos. Ein | |
| norddeutscher Fotograf hat die Frau in seiner Kartei, auch ein anderer | |
| Fotograf wirbt mit ihren Bildern. Die Fotos stammen von 2019 und 2021. Bei | |
| Linked-In gibt sie an, an der Hamburger Hochschule für Angewandte | |
| Wissenschaften studiert zu haben, ihr Linked-In Profil ist mittlerweile | |
| gelöscht. | |
| Zwei weitere Gäste stammen nach Recherche der taz mutmaßlich aus München. | |
| Im Video stehen sie hinter der Frau. Einer von ihnen trägt ein weißes Hemd, | |
| eine schwarze Weste und eine schwarze Sonnenbrille. Die Aufnahmen zeigen, | |
| wie er im Chor ebenfalls „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ singt. | |
| Er und vor allem der Mann neben ihm sind im Netz wohl keine Unbekannten. | |
| Fotos zeigen die beiden auf einem Instagram-Account, dessen Betreiber sich | |
| „Fashion / Lifestyle Influencer“ nennt und mehr als 59.000 Follower hat. Am | |
| Freitagmorgen wurde der Account auf „Privat“ umgestellt. | |
| Das Video, das in den sozialen Medien die Runde macht, ist selbst von einem | |
| anderen X-Account abgefilmt. Er hatte das Video mit dem Kommentar gepostet: | |
| „Hier ist kein Ton reingeschnitten, war wirklich so…“ Aktuell ist das | |
| Profil abgeschaltet. „Dieser Account existiert nicht“, heißt es bei Aufruf | |
| der Seite. Von dem Video kursieren aber weiterhin zahlreiche Kopien. | |
| Am Donnerstagabend teilte auch Anna Leisten, Landesvorsitzende der Jungen | |
| Alternative (JA) in Brandenburg, das Video, bezog sich allerdings positiv | |
| darauf. „Ich komme im Sommer nach Sylt“, schrieb Leisten und fragte: „Gibt | |
| es da schon eine JA?“. Am Ende fügte sie ein Sonnen-Emoji und eine | |
| Deutschlandfahne an. | |
| ## Altgediente Naziparole | |
| Die Parole „Deutschland den Deutschen“ wird mit und ohne die Ergänzung | |
| „Ausländer raus“ seit Jahrzehnten von Neonazis verwendet. So wurde sie | |
| beispielsweise [3][von dem rechtsextremen Mob 1992] während [4][der | |
| mehrtägigen rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen] | |
| gebrüllt. Ebenso bei einer [5][Hetzjagd auf Inder 2007 in Sachsen] oder bei | |
| einer [6][rechtsextremen Demonstration in Köthen 2018]. Von der NPD wurde | |
| er schon [7][in den 1980er auf Wahlplakate gedruckt]. | |
| Laut [8][Recherchen der „Welt“] reichen die Ursprünge der Parole „bis ins | |
| späte 19. Jahrhundert und sind mit einer offenen Judenfeindlichkeit | |
| verbunden.“ Später sei sie auch mehrfach von Adolf Hitler verwendet worden. | |
| ## Hit in der rechtsextremen Bubble | |
| Die rassistische Feierei haben die Reichen und Schnöden von Sylt keineswegs | |
| exklusiv. Schon seit Monaten wird sie auf TikTok und anderen Kanälen | |
| verbreitet. Die Melodie stammt von dem [9][Discohit „L'Amour Toujour“ von | |
| Gigi D'Agostino] aus dem Jahr 2001, der mit leichtem Beat und einfachem | |
| Text zum Tanzen animiert. Während es im Original ganz harmlos heißt „Oh, | |
| baby, every day and every night / Well, I said everything's gonna be | |
| alright / And I'll fly with you“, wird in rechten Kreisen offenbar schon | |
| seit Monaten der Nazi-Slogan zum eigentlich textlosen Refrain des Liedes | |
| gesungen. | |
| So wurde laut [10][einem Bericht des Bayrischen Rundfunks] auf Volksfesten | |
| in Landsberg am Lech oder in Weiden in der Oberpfalz die Nazi-Version | |
| gespielt. In Greding im Altmühltal [11][sollen laut BR] im Januar in einer | |
| Disco „AfD-Mitglieder, Landtagsabgeordnete der AfD und Mitglieder der | |
| Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD“ die rechtsextremen | |
| Parolen zu dem Song gesungen haben, den sie sich zuvor vom DJ gewünscht | |
| hätten. Zuvor hatte in Greding ein Landesparteitag der AfD stattgefunden. | |
| Laut einem [12][Bericht des Onlinemagazins Katapult-MV] war eine | |
| Nazi-Version des Discohits bereits im Oktober 2023 bei einem Erntefest im | |
| vorpommerschen Bergholz gefilmt worden. [13][Laut Recherchen des NDR von | |
| Januar] war ein Video dieses Erntefests Ausgangspunkt für die virale | |
| Verbreitung auf der Plattform TikTok, die vor allem bei jungen Menschen | |
| sehr beliebt ist. | |
| Spätestens seit Donnerstagabend ist bekannt, dass dieser rassistische | |
| TikTok-Trend nun auch bei den obersten Schichten des Landes angekommen ist. | |
| Die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli schrieb in der Nacht auf Freitag | |
| auf der Plattform X: „‚Deutschland den Deutschen. Ausländer raus. Ausländ… | |
| raus.‘ Ort: Sylt. Und sie fühlen sich so sicher.“ Und die Moderatorin Dunja | |
| Hayali twitterte: „Mit Hitlerbärtchen und Schampus, aber ohne ‚Ausländer�… | |
| #Sylt. 2024.“ | |
| ## „Nie wieder“ | |
| Das Lied von Gigi D’Agostino werde in ganz Europa und der ganzen Welt | |
| aufgelegt, sagt Pony-Mitinhaber Tim Becker. „Oft wird es nur kurz | |
| angespielt, um die Stimmung anzuheizen. Wir wussten nicht, dass das Lied | |
| von Rechten benutzt wird. Auch unsere internationalen DJs haben es nicht | |
| gewusst. Wir werden es nie wieder spielen“. | |
| Der Pony-Club hat nach eigenen Angaben erst kurz vor Pfingsten eine neue | |
| Kameraüberwachung installiert. Auf den Aufnahmen sei auch die Gruppe zu | |
| sehen, deren Video nun für Aufregung sorgt, sagte Becker der taz. „Man | |
| sieht, wie die Leute tanzen, teilweise auf den Tischen stehen, wie die | |
| Gruppe interagiert und zusammengehört“, so Becker. Die Kamera nehme auch | |
| Ton auf. „Die meisten singen im Original. Das kann man ganz klar hören und | |
| das hat uns erleichtert.“ Es seien nur die etwa fünf Gäste gewesen, die die | |
| ausländerfeindlichen Parolen gesungen hätten. „In der Situation ist es | |
| unmöglich für die Türsteher oder Barleute, das rauszuhören“, so Becker. | |
| „Keiner von uns hat Kontakt zu Rechten. Wir werden zukünftig unsere Gäste | |
| dafür sensibilisieren, in solchen Fälle einzuschreiten.“ | |
| ## Ermittlungen wegen Volksverhetzung | |
| Die Diskussion um das Video wird Folgen haben – rechtlich, wie politisch. | |
| Das Fachkommissariats für Staatsschutz hat wegen des Videos Ermittlungen | |
| wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen | |
| verfassungswidriger Kennzeichen aufgenommen. Das teilte die Polizei am | |
| Freitag mit. Zuvor hatte die Polizei bereits auf X reagiert. „Dieses Video | |
| ist uns bekannt und wird hinsichtlich strafrechtlich relevanter Inhalte | |
| geprüft“, [14][hieß es in einem Post.] „Wir bedanken uns für die | |
| zahlreichen Hinweise, die wir an die zuständige Stelle weitergeleitet | |
| haben.“ | |
| Die SPD-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein will das rassistische | |
| Gegröle junger Leute vor einem Lokal in Kampen auf Sylt in den Innen- und | |
| Rechtsausschuss bringen. | |
| Auch Mitglieder der schleswig-holsteinischen Landesregierung haben sich | |
| entsetzt über das Video geäußert. Schleswig-Holsteins | |
| Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne) sagte dem Redaktionsnetzwerk | |
| Deutschland (RND): „Das ist kein dummer Jungenstreich, sondern schlimmstes | |
| Nazi-Gegröle erwachsener Leute auf offener Bühne. Widerwärtig und ekelhaft. | |
| Schämen sollten sie sich! Jetzt müssen strafrechtliche Ermittlungen | |
| folgen.“ | |
| Bildungsministerin Karin Prien (CDU) sagte: „Die Bilder dieser Party, auf | |
| der ausländerfeindliche Parolen gegrölt wurden, widern mich an“. Die Bilder | |
| seien „ein Zeichen von Wohlstandsverwahrlosung“. In Schleswig-Holstein sei | |
| kein Platz für Ausländerfeindlichkeit. „Ich freue mich, dass die Bar, in | |
| der diese Videos gemacht wurden, die Polizei bei den Ermittlungen | |
| unterstützt und den Grölenden Hausverbot erteilen will.“ | |
| Anm. der Redaktion: Der Text wurde nach der ersten Veröffentlichung | |
| mehrfach ergänzt, u.a. um die Stellungnahmen der Pony-Betreiber und der | |
| Polizei. | |
| Mittlerweile wurde bekannt, dass zwei der rassistischen Sänger:innen von | |
| ihren Arbeitgebern wegen des Auftritts gekündigt wurde. Der taz-Bericht | |
| dazu [15][steht hier]. | |
| Anm. der Redaktion: In einer früheren Version hatten wir den Namen des | |
| X-Accounts genannt, von dem das ursprüngliche Video abgefilmt wurde. Wir | |
| haben den Namen aus rechtlichen Erwägungen gelöscht. | |
| 24 May 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!vn5930944/ | |
| [2] https://twitter.com/janboehm/status/1793743769881469114 | |
| [3] /Film-ueber-Rostock-Lichtenhagen-1992/!5023042 | |
| [4] /Die-taz-1992-ueber-Lichtenhagen/!5085785 | |
| [5] /Hetzjagd-in-Sachsen/!5196175 | |
| [6] /Nach-Chemnitz/!5534202 | |
| [7] https://www.archivportal-d.de/item/HQSZKM4HK3VKYKUY5RRZSIKOKJSVHJRC | |
| [8] https://www.welt.de/politik/deutschland/plus249704710/Kaum-Distanzierung-de… | |
| [9] https://youtu.be/w15oWDh02K4?si=0uoEU2bvTdnkgCh5 | |
| [10] https://www.br.de/nachrichten/kultur/der-popsong-l-amour-toujours-wie-er-z… | |
| [11] https://www.br.de/nachrichten/bayern/rechte-parolen-nach-afd-parteitag-sta… | |
| [12] https://katapult-mv.de/artikel/buergermeistersohn-offenbar-mittendrin | |
| [13] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Rassistischer-Ohrwurm-wird-zu… | |
| [14] https://twitter.com/SH_Polizei/status/1793884085401571587 | |
| [15] /Rechte-Reiche-im-rassistischen-Video/!6012658 | |
| ## AUTOREN | |
| Gereon Asmuth | |
| Jean-Philipp Baeck | |
| Anne Fromm | |
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