# taz.de -- Nahost-Konflikt in Deutschland: Ungesehenes Leid | |
> Muslime in Deutschland erfahren seit dem 7. Oktober Ausgrenzung, sagte | |
> Sawsan Chebli in der taz. Dem antwortet der Psychologe Ahmad Mansour. | |
Bild: Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften der HU in Berlin. Sie f… | |
Sawsan Chebli hat in einem [1][Interview in der wochentaz vom 29. Juni] | |
erklärt, das Leid der Palästinenser in Gaza werde in Deutschland nicht | |
gesehen. Als Deutsche und als Muslimin palästinensischer Herkunft klagt | |
sie: „Von der deutschen Öffentlichkeit erfahren wir kaum Empathie und | |
Solidarität, sondern Ausgrenzung, Misstrauen und [2][immer öfter puren | |
Hass.]“ | |
Als Deutscher und als Muslim palästinensischer Herkunft frage ich mich, wie | |
die intelligente, junge SPD-Politikerin so sehr an den Fakten vorbeireden | |
kann. Umfragen und Kundgebungen in Deutschland zeigen, dass es genau | |
umgekehrt ist: Nicht Muslime, sondern [3][Juden erleben einen enormen | |
Zuwachs an Feindseligkeit.] Antisemitismus nimmt seit dem Überfall der | |
Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober 2023 dramatisch zu. | |
Demonstrationen an Unis und anderen Orten fordern Solidarität mit der | |
Bevölkerung von Gaza, bezichtigen Israel des „Genozids“ und der | |
„Apartheid“. | |
Die Boykottbewegung BDS gegen Israel und Israelis, auch gegen Musiker und | |
Künstler, hat enormen Zulauf. Symbole der Hamas sind als Graffiti beliebt. | |
Es gibt einen erschreckenden Anstieg an antijüdischen und israelfeindlichen | |
Aktivitäten bis hin zu strafbaren Handlungen. Die [4][Recherche- und | |
Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) hat allein für 2023 achtzig | |
Prozent mehr Vorfälle] registriert als im Vorjahr. | |
Es ist verblüffend, wie Sawsan Chebli diese Tatsachen ignoriert, es | |
entsteht der Eindruck, dass sie vor allem eine muslimische Opfererzählung | |
bedient. Ohne Zweifel sind die Bilder vom Gazakrieg tragisch und schwer | |
erträglich. Die verzweifelte Lage des Konflikts bewegt die Öffentlichkeit. | |
Jeden Abend sind die Bilder in den Nachrichten zu sehen, jeden Tag sind | |
Artikel darüber zu lesen. Es gab und gibt weitaus weniger Kundgebungen in | |
Solidarität mit Israel als mit Palästinensern in Gaza und dennoch meint | |
Sawsan Chebli: „Von der deutschen Öffentlichkeit erfahren wir kaum Empathie | |
und Solidarität.“ Auch der Löwenanteil an medialer Kritik gilt Israel, der | |
Regierung Netanjahu und der Kriegsführung in Gaza, wo Israel gerade seine | |
Existenz verteidigt. | |
## Aktivisten hierzulande spielen das Spiel der Hamas mit | |
Sawsan Chebli erwähnt mit keinem Wort, worum es seit dem 7. Oktober 2023 | |
geht. Sie erwähnt nicht die 1.200 von der Hamas massakrierten Israelis, sie | |
fordert nicht die Freilassung der Geiseln des Terrors. Es geht im Gazakrieg | |
um einen der schwersten Kämpfe gegen den Terror, die je geführt wurden. | |
Hamasführer machen keinen Hehl daraus, dass sie zivile Opfer wollen, um | |
Hass auf Israel anzufachen – und viele Aktivisten, auch hierzulande, | |
spielen dieses Spiel mit. All das scheint Sawsan Chebli nicht zu stören. | |
Sie klagt über Deutschland: „Es fehlt an aufrichtigem Interesse, an | |
Gesprächen auf Augenhöhe und auch an Achtung von religiöser Vielfalt | |
jenseits von Sonntagsreden.“ | |
Da würde ich sogar zustimmen. Allerdings in einem anderen Sinn. Es fehlt | |
der Politik an aufrichtigem Interesse an Muslimen, es fehlt an klarem | |
Hinsehen und Hinhören. Arabische Israelis wie ich, und Muslime nahezu | |
überall, werden mit Hass auf Israel und Juden groß. Das Ressentiment ist | |
Folklore, es liefert Sündenböcke, es lenkt ab von den Defiziten muslimisch | |
geprägter Gesellschaften. Dass zugewanderte Muslime habituelle | |
Judenfeindlichkeit im Gepäck haben, wurde in Deutschland, in Europa, lange | |
ausgeblendet. Es fehlte in der Tat an aufrichtigem Interesse: am Schutz der | |
jüdischen Bevölkerung, an der Aufklärung muslimischer Migranten. | |
Es war nicht klar, was nötig ist für die Integration von Menschen aus | |
autoritären Regimen und mit traditionell patriarchalen, oft antisemitischen | |
Vorstellungen. Die Emanzipation von Frauen und Mädchen schien zweitrangig, | |
über muslimischen Antisemitismus zu sprechen galt als rassistisch oder | |
islamophob. Probleme wurden im Namen von Toleranz ignoriert. Es war die | |
falsche Toleranz – und eben diese scheint Sawsan Chebli noch mehr | |
einzufordern. Das Feindbild „Israel und Juden“ ist die Währung der Hamas. | |
Im Nahen Osten ist das maßgeblich daran beteiligt, Fortschritt zu | |
verhindern. | |
## Kritik an der Regierung Netanjahu ist richtig | |
Das hatten die arabischen Staaten erkannt, die mit Israel die | |
Abraham-Abkommen verhandelt haben. Diese sind für Hamas und Hisbollah eine | |
Bedrohung ihrer Vision von der Auslöschung des Staates Israel. Das Massaker | |
vom 7. Oktober war auch ein Versuch, die Prozesse der arabisch-israelischen | |
Verständigung zu sabotieren. Ich würde mir wünschen, dass Menschen, die so | |
argumentieren wie Sawsan Chebli, oder Aktivisten, die „Yallah Intifada“ | |
rufen, sich diese Kontexte bewusstmachen. | |
Kritik an der Regierung Netanjahu ist nötig und richtig. Aber sogenannte | |
„Israelkritik“ wird zu oft instrumentalisiert, um Judenhass zu verbreiten. | |
Und jüdische Menschen werden derzeit eingeschüchtert und beschimpft wie nie | |
zuvor in der Bundesrepublik. Leider leben viele Muslime in einem | |
emotionalen Klima, das für Juden keine Empathie kennt. | |
Das war schon lange vor dem aktuellen Krieg so. Doch jetzt zeigt sich wie | |
nie zuvor, dass zu viele in den [5][migrantischen Communitys nie im | |
Wertekanon der demokratischen Gesellschaft angekommen] sind. Viele möchten | |
umgekehrt der Gesellschaft ihre verzerrte Sichtweise aufzwingen. Sie reden | |
[6][vom deutschen „Schuldkomplex“] gegenüber Juden, und es gibt muslimische | |
Eltern, die an der Schule Toleranz für antisemitische Äußerungen ihrer | |
Kinder verlangen. | |
## Die Bundesregierung steht weiter zu Israel | |
Offene Briefe von [7][Tausenden muslimischen und nichtmuslimischen | |
Akademikern haben zum Israel-Boykott aufgefordert], einer neuen Form von | |
„Kauft nicht bei Juden!“, wie es hier in der Nazizeit hieß. Die | |
Bundesregierung steht weiter zu Israel, und der Verfassungsschutz | |
beobachtet nun auch die Boykott-Kampagne gegen Israel. Das ist nicht | |
„muslimfeindlich“, sondern Haltung und Handeln im Sinn der Demokratie. | |
Ich wünsche mir, dass Sawsan Chebli und andere, die so denken wie sie, die | |
Tatsachen anerkennen, hier im Land und im Nahen Osten. Es wäre großartig, | |
wenn sie mit für die Aufklärung streiten würden. | |
4 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /!s=chebli/ | |
[2] /Sawsan-Chebli-ueber-Hass-im-Netz/!5931093 | |
[3] /Israel-nach-dem-7-Oktober/!6015268 | |
[4] /Statistik-der-RIAS-Meldestellen/!6018586 | |
[5] /Wissenschaftler-ueber-Islamisten-Demo/!6005190 | |
[6] /Historiker-ueber-die-Deutschen/!5979699 | |
[7] /Antisemitismus-Vorwurf-gegen-Studierende/!6014704 | |
## AUTOREN | |
Ahmad Mansour | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Benjamin Netanjahu | |
Gaza | |
Antisemitismus | |
Muslime | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Kolumne Grauzone | |
Gaza | |
Gaza-Krieg | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Twitter / X | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Recht auf Fortsetzung des Krieges | |
Netanjahu fordert kurz vor den Waffenruhe-Verhandlungen, die Kämpfe gegen | |
die Hamas fortsetzen zu können. Nachts gab es Angriffe zwischen Israel und | |
der Hisbollah-Miliz. | |
Judenhass an Universitäten: Offene Briefe, aggressive Boykotte | |
Antisemitismus an Hochschulen, mal subtiler, mal aggressiver, war nie weg. | |
Israel droht eine wissenschaftliche Isolation ohnegleichen. | |
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Hamas lässt Forderung fallen | |
Die Hamas sendet Zeichen einer möglichen Einigung im Konflikt. Das Abrücken | |
von der Forderung nach einer Zusicherung Israels könnte zum | |
Waffenstillstand führen. | |
Sawsan Chebli über den Gaza-Krieg: „Ich war eine stolze Deutsche“ | |
Die in Berlin aufgewachsene Autorin und SPD-Politikerin Sawsan Chebli ist | |
palästinensischer Herkunft. Der Gaza-Krieg hat etwas in ihr zerbrochen. | |
Rechtsextreme Gesänge auf Sylt: Rassismus als Partykracher | |
Vor einem Promiclub auf Sylt werden ausländerfeindliche Parolen zu | |
Discomusik gesungen. Seit Monaten geht diese Version in rechtsextremen | |
Kreisen viral. | |
Sawsan Chebli über Hass im Netz: „Kein Tag ohne Hetze gegen mich“ | |
Sawsan Chebli schreibt in „Laut“ über Gewalt im Internet. Ein Gespräch ü… | |
ihre Zweifel, warum sie laut geworden ist, und was ihr Mut macht. |