| # taz.de -- Sawsan Chebli über den Gaza-Krieg: „Ich war eine stolze Deutsche… | |
| > Die in Berlin aufgewachsene Autorin und SPD-Politikerin Sawsan Chebli ist | |
| > palästinensischer Herkunft. Der Gaza-Krieg hat etwas in ihr zerbrochen. | |
| Bild: Sawsan Chebli in Berlin | |
| Wir treffen uns in einem Café in der Nähe des Kurfürstendamms im Westen | |
| Berlins. Sawsan Chebli ist schon früh da und hat einen Kaffee bestellt. Sie | |
| hat eine Tasche dabei, deren schwarz-weißes Muster an eine Kufiya erinnert, | |
| das Palästinensertuch. Bei ihren öffentlichen Auftritten wird Chebli seit | |
| ihrer Zeit als Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei von | |
| Sicherheitskräften des Berliner Landeskriminalamts begleitet. Die | |
| Deutsch-Palästinenserin wird viel von Rechten angefeindet. | |
| wochentaz: Frau Chebli, wie geht es Ihnen angesichts [1][des Kriegs in | |
| Gaza]? | |
| Sawsan Chebli: Es fühlt sich wie ein Albtraum an, da geht es mir wie | |
| Zehntausenden Palästinensern, Arabern und Muslimen. Wir wachen mit Bildern | |
| von toten und verstümmelten Kindern auf und gehen mit Bildern von toten und | |
| verstümmelten Kindern ins Bett. Und von der deutschen Öffentlichkeit | |
| erfahren wir kaum Empathie und Solidarität, sondern Ausgrenzung, Misstrauen | |
| und immer öfter puren Hass. Es tut auch weh zu sehen, dass so viele | |
| Menschen, die sonst laut sind, wenn es um Menschenrechte geht und darum, | |
| Grundrechte zu verteidigen, zu Gaza schweigen. | |
| Wie verfolgen Sie die Entwicklungen in Gaza? Über soziale Medien? | |
| Vor allem über US-amerikanische und britische Medien. Ich schaue auch, was | |
| die arabische Presse berichtet. Die deutschen Medien verfolge ich | |
| hauptsächlich, um die Debatte hier mitzubekommen. | |
| Wie empfinden Sie die deutsche Debatte? | |
| Ich denke mir oft: In welcher Parallelwelt leben wir in Deutschland | |
| eigentlich? Viele Nachrichten kommen hier schlicht nicht vor, vieles ist | |
| einseitig und verzerrt. Und natürlich verfolge ich auch soziale Medien. | |
| Viele Palästinenser aus Gaza, aber auch internationale Akteure mit großer | |
| Reichweite nutzen soziale Medien, um über die Lage in Gaza und in der | |
| Westbank zu berichten. | |
| Haben Sie durch den Krieg Freunde verloren? | |
| Es gibt Menschen, bei denen ich dachte, dass wir uns in der Achtung von | |
| universellen Menschenrechten einig sind und darüber, dass kein Leben mehr | |
| wert ist als das andere. Ich fürchte, ich habe mich getäuscht. Für jüdische | |
| Freunde, die nicht in der Lage waren, Empathie für das Leid der Menschen in | |
| Gaza zu empfinden, hatte ich zu Beginn Verständnis. Trotz meines eigenen | |
| Schmerzes konnte ich immer auch ihren Schmerz sehen. Bei einigen Leuten | |
| offenbart sich aber ein antipalästinensischer Rassismus, der mich wirklich | |
| erschüttert. | |
| Liegen die unterschiedlichen Sichtweisen auf diesen Krieg auch daran, dass | |
| man in unterschiedlichen medialen Welten lebt? | |
| Man muss schon sehr bewusst die Augen vor der Realität verschließen, um | |
| nicht zu sehen, dass das, was in [2][Gaza und in der Westbank] passiert, | |
| Verbrechen sind. Wer sehen will, der sieht das. Wer nicht sehen will, sieht | |
| nichts. | |
| Auch die Hamas hat schlimme Verbrechen verübt. | |
| Die habe ich sofort klar verurteilt und deutlich gemacht, dass sie durch | |
| nichts zu rechtfertigen sind. Wer aber heute, nach über 35.000 Toten, die | |
| meisten davon Kinder und Frauen, und all dem, was wir über die | |
| Kriegsführung und die Politiker in der israelischen Regierung wissen, immer | |
| noch blind Israel verteidigt und lediglich „aber Hamas“ sagt, mit dem teile | |
| ich keine gemeinsamen Werte. | |
| Ihre Eltern kamen als Flüchtlinge aus dem Libanon. Welchen Bezug haben Sie | |
| zur Heimat Ihrer Eltern? | |
| Ich habe mich schon immer stark mit der Heimat meiner Eltern verbunden | |
| gefühlt, meine palästinensische Identität ist sehr ausgeprägt. Ich habe | |
| einst Politikwissenschaften studiert, weil ich hoffte, für eine | |
| internationale Organisation in einem unabhängigen Staat Palästina zu | |
| arbeiten. Auf der anderen Seite habe ich mich immer sehr deutsch gefühlt | |
| und war stolze Deutsche. Ich habe das nie als einen Widerspruch empfunden. | |
| Woher stammen Ihre Eltern? | |
| Meine Eltern stammen aus Orten, die in Israel liegen und die es heute nicht | |
| mehr gibt. Sie sind als Kinder mit ihren Eltern geflüchtet, sie gehören der | |
| klassischen [3][Nakba-Generation] an. Wie sehr viele Palästinenser, die | |
| 1948 aus ihrem Land geflohen sind oder vertrieben wurden, sind sie nie | |
| wieder an den Orten gewesen, in denen sie geboren wurden. | |
| Wo war das? | |
| Meine Mutter ist in der Nähe von Haifa geboren, mein Vater stammt aus einem | |
| Dorf in der Nähe von Safed. Den Eltern meiner Mutter ging es relativ gut. | |
| Nach 1948 haben sie alles verloren. Sie hatten immer die Hoffnung, | |
| zurückzukehren. Doch dann wurden aus Tagen Wochen, aus Wochen Monate, aus | |
| Monaten zwanzig Jahre. Zwanzig Jahre haben sie in Flüchtlingslagern im | |
| Libanon gelebt – bis mein Vater beschloss, den Libanon zu verlassen, weil | |
| es politisch zu gefährlich wurde und er uns Kindern ein Leben mit Zukunft | |
| ermöglichen wollte. | |
| Waren Sie schon mal in Israel? | |
| Ja, oft. Ich war auch an den Geburtsorten meiner Eltern. Das war intensiv, | |
| es fühlte sich wie Heimat an. Ich hatte immer den Wunsch, meinen Vater | |
| einmal dorthin mitzunehmen, aber er ist leider vorher gestorben. Auch meine | |
| Mutter würde gern an ihre Geburtsstätte zurückkehren, aber sie ist leider | |
| körperlich zu angeschlagen. | |
| Wie alt waren Ihre Eltern, als sie fliehen mussten? | |
| Das genaue Alter ist unbekannt, sie waren Kinder, aber alt genug, um sich | |
| an die Flucht beziehungsweise Vertreibung zu erinnern. Mein Vater redete | |
| nie darüber. Auch meine Mutter tut sich bis heute schwer, über ihre Flucht | |
| und ihre Kindheit zu sprechen. | |
| Sie sind als Kind von Flüchtlingen in Berlin aufgewachsen. Wie hat Sie das | |
| geprägt? | |
| Es hat mein ganzes Leben bestimmt. Meinen Gang in die Politik, mein | |
| Interesse für internationale Beziehungen, mein Engagement für Menschen, | |
| deren Stimme weniger hörbar ist, mein Lautsein, wenn ich Unrecht sehe. Ich | |
| bin als zwölftes von dreizehn Kindern aufgewachsen. Unsere Familie war | |
| fünfzehn Jahre staatenlos, wir wurden nicht als Flüchtlinge anerkannt. Mein | |
| Vater wurde zweimal abgeschoben. Ohne all das wäre ich nicht die Sawsan | |
| Chebli, die ich heute bin. | |
| Sie mussten sich durchbeißen. | |
| Es hat sich wie ein Dauerkampf angefühlt – ums Überleben, ums Dableiben, um | |
| Zugehörigkeit, um Anerkennung. Ohne ein gutes Elternhaus und vernünftige | |
| Freunde hätte ich es nicht geschafft. Ich hatte auch das Glück, gute Lehrer | |
| zu haben, die an mich glaubten, denn als ich in die erste Klasse gekommen | |
| bin, habe ich kaum Deutsch gesprochen. Aber ich weiß, wie wenig | |
| selbstverständlich Biografien wie meine in Deutschland sind. Zu viele | |
| Kinder haben überhaupt keine Chance, in diesem Land aufzusteigen, wenn ihre | |
| Eltern arm sind und über zu wenig akademische Bildung verfügen. | |
| Hat Ihr Ehrgeiz den Ausschlag gegeben? | |
| Hätte ich Lehrer gehabt, die der Meinung gewesen wären, dass Leute wie ich | |
| nichts auf dem Gymnasium zu suchen haben, oder Eltern, die mit Bildung | |
| nichts anfangen können, hätte ich weder Abitur gemacht noch studiert. | |
| Obwohl meine beiden Eltern der deutschen Sprache nicht mächtig waren und | |
| weder schreiben noch lesen konnten, hatten sie das Bewusstsein dafür, wie | |
| wichtig es ist, sich zu bilden, um etwas zu erreichen. | |
| Die Schule allein war es nicht. | |
| Nein. Das politische System ist nicht dafür geschaffen, Menschen mit meiner | |
| Biografie den Aufstieg zu erleichtern. Deswegen sage ich immer, ich habe es | |
| trotz des Systems geschafft. Ich hatte eine liebevolle und bildungsbewusste | |
| Familie, tolle Lehrer, ein gutes soziales Umfeld und Ehrgeiz. Aber davon | |
| darf die Zukunft unserer Kinder in Deutschland nicht abhängen. | |
| Deswegen sind Sie Sozialdemokratin geworden? | |
| Ja. Es war das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen, das mich | |
| SPD-Mitglied werden ließ. | |
| Wie geht es Ihnen jetzt mit der Partei? | |
| Keine Wahl ist mir bisher so schwergefallen wie die letzte Europawahl, vor | |
| allem wegen der Haltung der SPD zu Gaza. Ich kenne so viele Menschen, die | |
| sonst immer die SPD gewählt haben, ihr dieses Mal aber die Stimme | |
| verweigert haben. Die SPD täte aus moralischen und realpolitischen Gründen | |
| gut daran, dies nicht einfach zu ignorieren. | |
| Sie kommentieren relativ viel auf Social Media. Hat [4][der Hass im Netz] | |
| seit dem 7. Oktober zugenommen? | |
| Mit Sexismus und antimuslimischem Rassismus war ich vorher schon jeden Tag | |
| konfrontiert. Seit dem 7. Oktober hat der Hass auf Palästinenser aber eine | |
| völlig neue Dimension angenommen. In den Hassmails wird explizit meine | |
| palästinensische Identität adressiert. Mir wird Gewalt angedroht – dass man | |
| mit mir das Gleiche machen wolle, was das israelische Militär mit den | |
| Menschen in Gaza macht, und vieles mehr. Das gab es in dieser Brutalität | |
| vorher nicht. | |
| Wie halten Sie diesen Hass aus? | |
| Ich habe gelernt, den Hass nicht allzu sehr an mich heranzulassen. Diese | |
| Leute haben ein ganz bestimmtes Ziel: Sie wollen mich zum Schweigen | |
| bringen. Heißt das, dass Hass und Drohmails immer an mir abprallen? Nein, | |
| es gibt Tage, da trifft es mich mehr als an anderen. Am meisten treffen | |
| mich der Hass und die Hetze gegen mich als Palästinenserin. | |
| Warum? | |
| Weil es das Gefühl verstärkt, dass palästinensisches Leben in diesem Land | |
| weniger wert zu sein scheint. Dieser Rassismus wird ja auch viel mehr | |
| hingenommen und ist akzeptierter. | |
| Sie selbst teilen in den sozialen Medien auch aus: Dieter Nuhr haben Sie | |
| mal „dumm und uninformiert“ genannt … | |
| Ich habe gesagt, dass das, was er sagt, dumm und uninformiert ist – das ist | |
| ein Unterschied. Und unabhängig davon, ob ich zugespitzt formuliere oder, | |
| wie Sie sagen, „austeile“: Für Hass und Hetze gibt es keine Rechtfertigung. | |
| Haben Sie Ihr Verhalten im Netz verändert? | |
| Ich twittere weniger, sondern nutze die sozialen Medien heute eher zur | |
| Informationsvermittlung und als Informationsquelle. Ich diskutiere nicht | |
| mehr so, wie ich das am Anfang gemacht habe. | |
| Viele greifen Sie aufgrund Ihrer Religion an. | |
| Ich werde als Frau, als Migrantin, als Flüchtlingskind, als Palästinenserin | |
| und als Muslimin angegriffen. Muslimfeindlichkeit und antimuslimischer | |
| Rassismus sind in Deutschland weit verbreitet – nicht nur bei Rechten. Jede | |
| zweite Person in Deutschland stimmt antimuslimischen Aussagen zu. | |
| Antimuslimische Straftaten haben stark zugenommen, Muslime gehören mehreren | |
| Studien zufolge zu den am stärksten benachteiligten Gruppen in Deutschland. | |
| In diesem Klima überrascht es nicht, dass ich als sichtbare Muslimin | |
| angefeindet und bedroht werde. Leider bleibt der Aufschrei meist aus, wenn | |
| Muslime angegriffen werden. Medien berichten kaum darüber, und die Politik | |
| bleibt oft sprach- und tatenlos. | |
| Sie haben sich als Staatssekretärin des Berliner Senats [5][gegen | |
| Antisemitismus] eingesetzt. Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle | |
| 2019 haben Sie zu einer Mahnwache aufgerufen, zu der auch Angela Merkel | |
| erschien. Trotzdem wird Ihnen Misstrauen entgegengebracht. | |
| Dieses Misstrauen gab es auch schon vorher. Das ändert nichts daran, dass | |
| ich mich immer gegen Antisemitismus einsetzen werde, genauso wie gegen | |
| Rassismus. Das ist für mich eine Frage der Haltung. Aber ich finde es sehr | |
| problematisch, wenn einem das Eintreten gegen Antisemitismus nur dann | |
| abgenommen wird, wenn man sich von seiner palästinensischen Identität | |
| distanziert und sich mit Kritik am Vorgehen der israelischen Armee in Gaza | |
| zurückhält. | |
| Ist das so? | |
| Wir erleben, dass der Antisemitismusbegriff zunehmend entgrenzt und | |
| instrumentalisiert wird, um legitime Kritik zu unterbinden. Das schadet dem | |
| Kampf gegen Antisemitismus. Wir müssen dringend zu einer sachlichen | |
| Verwendung des Begriffs zurück. Im Moment wird selbst Wissenschaftlern, die | |
| zu Antisemitismus forschen und für eine differenzierte Sichtweise | |
| plädieren, unterstellt, sie würden Antisemitismus nicht ernst nehmen – nur | |
| weil sie darauf dringen, Kritik an staatlichem Handeln nicht mit der Hetze | |
| gegen eine verletzliche Minderheit gleichzusetzen. | |
| Als Jugendliche haben Sie selbst Juden mit Israelis gleichgesetzt, Wut auf | |
| sie empfunden und sie für das Leid Ihrer Familie verantwortlich gemacht. So | |
| haben Sie es vor einem Jahr in einem Interview erzählt. | |
| Ich bin dankbar dafür, dass ich jüdische Menschen kennenlernen durfte, die | |
| mir einen anderen Blick auf das Thema gegeben haben. Abertausende Juden | |
| gehen gerade weltweit mit Palästinensern, Arabern und Muslimen auf die | |
| Straße, um gegen den Krieg und die Besatzung zu demonstrieren. Auch in | |
| Israel gehen Juden und Palästinenser gemeinsam auf die Straße. Wir müssen | |
| alles tun, um diese Allianzen zu schützen und stärken. | |
| Wären Sie noch stellvertretende Pressesprecherin des Auswärtigen Amts oder | |
| Staatssekretärin in Berlin, dann müssten Sie sich mit öffentlichen | |
| Äußerungen zu Gaza sicher stärker zurückhalten. | |
| Vor allem als Sprecherin wäre ich heute in einer sehr schwierigen Lage. | |
| War es nicht gut im Auswärtigen Amt? | |
| Die Zeit im Auswärtigen Amt war mit die intensivste Zeit meines Lebens. Ich | |
| habe viel gelernt und weltweite Krisen wie die Annexion der Krim, den | |
| Brexit, den Wahlsieg von Trump, die Flüchtlingskrise als stellvertretende | |
| Sprecherin hautnah miterlebt. Politik so nah zu erleben und mitprägen zu | |
| können, und das mit meinem Hintergrund – das war etwas Besonderes. | |
| Sie sind jetzt hauptsächlich als Autorin und Speakerin unterwegs. Wollen | |
| Sie in die Politik zurückkehren? | |
| Ich bin mit 21 Jahren in die SPD eingetreten, heute bin ich 45 Jahre. | |
| Politik ist Teil meines Lebens, das kann man nicht einfach so wegwischen. | |
| Wohin mich das die nächsten Jahre führen wird, kann ich jetzt noch nicht | |
| sagen. Politik ist meine Leidenschaft, und das wird immer so sein. Aber es | |
| gibt auch andere Möglichkeiten, Politik zu machen, als in einer politischen | |
| Partei aktiv zu sein. | |
| Wollen Sie in Deutschland bleiben? | |
| Es gibt in der Tat viele Menschen, die sich diese Frage stellen und mit dem | |
| Gedanken spielen, das Land zu verlassen. Auch ich stelle mir diese Frage. | |
| Zumindest habe ich noch nie so stark an meinem Deutschsein, an meiner | |
| Heimat und an der Frage, ob mich dieses Land will, gezweifelt wie jetzt. | |
| Mein Deutschsein hat schon durch Sarrazin, die NSU-Affäre, die | |
| Islam-Debatten und den Anschlag von Hanau immer wieder Schrammen bekommen. | |
| Inzwischen ist aus einer Schürfwunde eine tiefere Verletzung geworden. | |
| Was hat die deutsche Politik falsch gemacht? | |
| Es fehlt an aufrichtigem Interesse, an Gesprächen auf Augenhöhe und auch an | |
| Achtung von religiöser Vielfalt jenseits von Sonntagsreden. Da ist das | |
| kollektive Wegsehen bei antimuslimischem Rassismus und die | |
| entmenschlichende Art, wie die Politik über Migration spricht. In der | |
| muslimischen und arabischen Community ist viel Vertrauen verloren gegangen. | |
| Ich habe mit jungen Leuten geredet, die politisch engagiert waren und die | |
| jetzt sagen: Ich will mit dieser Politik nichts mehr zu tun haben. Da | |
| wächst eine Generation heran, die sich abwendet, sich nicht gesehen fühlt | |
| und verletzt ist. Der Umgang der Politik mit Gaza, die Doppelmoral der | |
| deutschen Nahostpolitik und die fehlende Empathie mit dem Leid der | |
| Palästinenser haben das Gefühl des Nichtdazugehörens noch einmal um ein | |
| Vielfaches verstärkt. Viele sind zudem zutiefst verunsichert und haben | |
| Angst. | |
| Auf der Straße sieht man zugleich so viele Palästinensertücher wie nie. | |
| Da, wo Menschen das Gefühl haben, etwas unterdrücken zu müssen, entsteht | |
| das Gegenteil – da entsteht Widerstand gegen empfundenes Unrecht. Es hat | |
| eine starke Renationalisierung stattgefunden. Ein Vater hat mir gesagt, | |
| dass seine Kinder, deren Mutter Deutsche ist, vorher nichts mit Palästina | |
| am Hut hatten. Jetzt tragen die Kinder das palästinensische Tuch, hören | |
| palästinensische Musik, befassen sich mit palästinensischer Dichtung und | |
| wollen mehr über ihre palästinensischen Wurzeln und das Land ihrer Eltern | |
| und Großeltern wissen. | |
| Ist das bei Ihnen auch so? | |
| Nein, weil ich diese Verbindung schon immer hatte. Was leider aber auch | |
| stimmt, ist, dass ich mich noch nie so einsam, so verdächtigt und | |
| unerwünscht gefühlt habe. Es ist mir noch nie so schwergefallen, mich als | |
| Deutsche zu fühlen. | |
| 29 Jun 2024 | |
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