# taz.de -- Annalena Baerbock im Libanon: Mühsames Werben um Frieden | |
> Außenministerin Baerbock ist von Israel nach Libanon weitergereist. Dort | |
> trifft sie Ministerpräsident Mikati. Der hat allerdings nicht viel zu | |
> sagen. | |
Bild: Baerbock und Libanons Premier Minister Mikati in Beirut | |
BEIRUT taz | „Brandgefährlich“ nannte Außenministerin Annalena Baerbock d… | |
Situation an der Grenze zwischen Israel und Libanon am Dienstag. Sie reiste | |
nach Israel, ins Westjordanland und in den Libanon, um de-eskalierende | |
Gespräche zu führen. Zeitgleich zu ihrem Besuch sendete Israel erstmals | |
seit langem beruhigende Worte nach Beirut: Israel verstärke die Bemühungen | |
für eine diplomatische Lösung, sagte Zachi Hanegbi, der Sicherheitsberater | |
von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. | |
Das hatte am letzten Dienstag noch anders geklungen. Da hatten israelische | |
Kommandeure Pläne für eine Großoffensive im Libanon genehmigt. Mit Israels | |
Invasion im südlichen Gazastreifen hatte die Hisbollah-Miliz in Libanon | |
ihre Angriffe auf Nord-Israel erhöht. | |
Zuletzt hatte der US-Vermittler Amos Hochstein zu schlichten versucht. Er | |
hatte 2022 ein Abkommen über die Seegrenze zwischen Libanon und Israel | |
vermittelt. Bei seinem Besuch in Beirut letzte Woche gab er zu, dass eine | |
Waffenruhe in Gaza auch die israelisch-libanesische Grenze befrieden würde. | |
Er wirbt dafür, den gegenseitigen Beschuss auf fünf Kilometer von der | |
Grenze zu beschränken. | |
Doch Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah lehnt eine Pufferzone ab. Er möchte | |
erst nach einem Waffenstillstand in Gaza Kompromisse schließen. Hochstein | |
war gerade abgereist, da publizierte die Hisbollah provokant | |
Spionage-Aufnahmen von Logistik-Anlagen, Chemiewaffencontainern und | |
Militärschiffen im Hafen von Haifa. Danach [1][sagte Nasrallah] zumindest, | |
er strebe keinen großangelegten Krieg an und sei am Verhandlungstisch stark | |
vertreten. | |
Hochstein und Baerbock wenden sich an den libanesischen Kabinettschef | |
Nadschib Mikati. Doch er ist nicht das Problem: Er betont, der Libanon | |
wolle keine Eskalation. „Die Entscheidung über Krieg und Frieden liegt | |
nicht in den Händen des Kabinetts“, hatte Mikati im Oktober zugegeben. Das | |
amtiert seit Mai 2022 nur geschäftsführend. Die Parteien blockieren die | |
Regierungsbildung und seit anderthalb Jahren auch die Wahl eines neuen | |
Präsidenten. | |
Auch andere Parteien haben kein Mitspracherecht. „Der Libanon ist halb im | |
Krieg“, sagte Gebran Bassil, Schwiegersohn des Ex-Präsidenten und | |
Vorsitzender der christlichen Freien Patriotischen Bewegung dem russischen | |
Staatssender Russia Today. Seine Partei schloss 2006 mit der Hisbollah ein | |
Bündnis. Aber Meinungsverschiedenheiten über den Krieg in Gaza und die | |
Präsidentschaftswahlen belasten das Verhältnis. | |
Bassil verwies auf Gespräche zwischen Hochstein und Parlamentssprecher | |
Nabih Berri. Dieser ist der wichtigste Gesprächspartner im Namen der | |
Hisbollah. Dabei gehört er ihr gar nicht an, sondern ist Chef der mit ihr | |
verbündeten und ebenfalls schiitischen Amal-Partei. Öffentlich hält er sich | |
zurück. Ob er politisch direkt mit der Hisbollah verhandelt, ist unbekannt. | |
Militär gleicht einer Polizei | |
Die Stärke der Hisbollah liegt darin, dass sie Gewalt und Mord als | |
politisches Druckmittel einsetzt, politische Beschlüsse blockiert und so | |
Regierungen in Krisen stürzt. Einige Parteien profitieren finanziell oder | |
politisch davon, die Machenschaften der Hisbollah zu ignorieren. Korruption | |
zieht sich durch alle Behörden und [2][hat das Land 2019 in eine | |
Wirtschaftskrise gebracht]. Der Staat ist pleite, das Militär chronisch | |
unterfinanziert, die Gehälter der Soldat*innen sind drastisch gesunken. | |
Während das Land innenpolitisch durch Korruption und geopolitisch durch | |
verschiedene Allianzen zerrissen ist, agiert das Militär eher nach innen | |
wie eine Polizei, aber nicht nach außen zur Landesverteidigung. | |
Libanons politische Führung habe das Militär seit 1949 relativ klein | |
gehalten, [3][schreibt] Oren Barak, Politikwissenschaftler in Jerusalem. | |
Die sozioökonomische Elite habe kein mächtiges Militär haben wollen, das | |
sie unterdrücken könnte. Ein schwaches Militär sei als Garantie gesehen | |
worden, dass der Staat nicht in regionale Konflikte verwickelt würde. Zudem | |
hätten die Christen im Land befürchtet, dass eine mögliche Wehrpflicht das | |
konfessionelle Gleichgewicht unter den Soldaten stören würde. Viele Leute | |
halten an den politischen Machthabern fest, weil sie auf deren Hilfen beim | |
Zugang zu Arbeit oder medizinischer Versorgung angewiesen sind. | |
Es gibt keinen Sozialstaat, diese Lücke füllen Parteien. Ganze Regionen und | |
Stadtviertel sind quasi aufgeteilt nach konfessioneller Zugehörigkeit, die | |
entsprechenden Parteien kümmern sich um ihr Klientel. [4][Im Süden Beiruts | |
ist die Hisbollah die stärkste politische Kraft, andere Parteien haben sich | |
dort zurückgezogen]. | |
„Falls Israel Beirut angreift, werden sie die Dahie [südlichen Vororte] | |
angreifen“, sagt ein 31-Jähriger in Beirut. „Falls der Krieg beginnt, gehe | |
ich in mein Dorf in den Bergen. Dort bin ich sicher.“ Er sagt, er sei | |
„jederzeit auf der Seite der Hisbollah gegen Israel“. „Sie sagen, sie | |
verteidigen uns, das glaube ich. Aber wenn sie wollen, dass ich mit ihnen | |
in diesem Krieg mitfiebere? Nein.“ Der Libanese sagt, er träume „von einem | |
besseren Land, in dem alle Libanesen an einem Tisch sitzen und nicht einer | |
dem anderen sagt, ich sei stärker.“ | |
25 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nna-leb.gov.lb/en/%D8%B3%D9%8A%D8%A7%D8%B3%D8%A9/702619/sayyed-… | |
[2] /Wirtschaftskrise-im-Libanon/!5950423 | |
[3] https://oxfordre.com/politics/display/10.1093/acrefore/9780190228637.001.00… | |
[4] /Nahost-Konflikt-im-suedlichen-Libanon/!6014899 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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