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# taz.de -- Wirtschaftskrise im Libanon: Die eigene Bank überfallen
> Der libanesische Staat ist bankrott. Die Bürger kommen nicht mehr an die
> Ersparnisse auf ihren Konten. Manche greifen zu Pistole und
> Benzinkanister.
Bild: Der Zorn dieses Demonstranten trifft die Fassade eines Beiruter Bankgebä…
Beirut taz | Edgar Aouad klettert auf den Tresen einer libanesischen Bank,
in der Hand eine Plastikflasche mit Benzin. Er ruft: „Ich zünde diese Bank
an!“ Was sich wie ein Krimi anhört, ist ein realer Überfall, aufgenommen
als Handyvideo, das Mitte Juli in den sozialen Medien geteilt wurde. Der
Überfall auf die AM Bank in Antelias, einem Vorort von Beirut, ist kein
klassischer Bankraub: Aouad fordert sein eigenes Erspartes. Zehn Minuten
später ist er mit 15.000 US-Dollar wieder draußen. Die Bank hat ihm sein
Geld ausgezahlt.
Der Libanon steckt seit 2019 [1][in einer tiefen Wirtschaftskrise.] Deshalb
häufen sich die Fälle, in denen Menschen mit Pistolen oder Benzinkanistern
in Banken stürmen, um ihr Geld an sich zu nehmen. Vergangenen Dienstag
holte der Libanese Hafez Serhal auf diese Art in der Filiale der Bank
Credit Libanais im Bergdorf Schiim 9.000 US-Dollar von seinem eigenen
Konto, auf dem insgesamt angeblich 35.000 US-Dollar lagen. Im Südlibanon
bekam Youssef Roda bei einem Überfall 7.000 US-Dollar ausgezahlt, auf
seinem Konto lagen 10.000.
Alle Ersparnisse, ob für die Altersvorsorge, den Hauskauf oder für die
Kinder, sind einfach weg: Was wie eine Horrorvorstellung klingt, ist
bittere Realität im Libanon. Der Staat ist pleite. Die Leidtragenden sind
die Sparer*innen, die ihr Geld auf Konten bei libanesischen Banken
eingezahlt haben. Diese geben das Geld nur noch zu einem sehr schlechten
Umrechnungskurs aus. Außerdem gibt es ein monatliches Abhebelimit, das bei
300 US-Dollar liegt.
Hunderttausende auf der Bank, die auf einmal futsch sind. So ging es
Ibrahim Abdallah. Der heute 43-Jährige Libanese hat 16 Jahre lang in den
Emiraten gelebt. „Als ich 24 war, habe ich den Libanon verlassen, weil es
dort keine Arbeitsmöglichkeiten gab.“ Er war im Immobiliengeschäft tätig,
als Leiter des internationalen Vertriebs für einen großen Bauträger im
Nahen Osten. „Ich habe wirklich hart gearbeitet, musste manchmal drei
Länder pro Woche bereisen, habe Tag und Nacht durchgeackert. Ich verteilte
meine Gelder – aber die wichtigsten Ersparnisse lagen auf der Bank im
Libanon.“
## „Sie haben uns betrogen“
Seinen eigenen Angaben nach verdiente Abdallah manchmal um die 100.000
US-Dollar monatlich. Er sagt, er habe mehr als 1 Million US-Dollar auf
seinem Konto im Libanon deponiert. Darauf habe es ordentlich Zinsen
gegeben: zunächst 4 Prozent, vor der Krise sogar 8 Prozent. „Der
Bankensektor im Libanon hat damit geworben, dass er sicher und
fortschrittlich sei, und hat sogar Preise aus dem Ausland bekommen. Tja,
sie haben uns betrogen“, sagt Abdallah.
Allen großen Versprechungen zum Trotz kollabierte das libanesische
Bankensystem. Im sogenannten Ponzi-Schema hatten Banken mit hohen, bis zu
zweistelligen Zinsen um Anleger*innen geworben. Doch mit dem Krieg in
Syrien und der Misswirtschaft der politischen Klasse verloren die Menschen
das Vertrauen in die Banken. So rückte kein Geld mehr nach, um Zinsen
auszahlen zu können.
Gleichzeitig verdammte die Regierung die Privatbanken dazu, der Zentralbank
viel Geld zu leihen. Dieses Geld [2][versackte durch Korruption]. Der Staat
ging pleite, die Privatbanken bekommen ihr Geld nicht mehr zurück – und
zahlen daher die Anleger*innen nicht aus. Im Finanzjargon gesprochen:
Die Banken machen einen sogenannten Haircut bei den Sparer*innen –
Letztere zahlen für die Krise, für die sie nichts können.
„Weil ich viel Geld auf dem Konto hatte, gaben sie mir 4.000 US-Dollar pro
Monat, andere konnten nur maximal 500 oder 200 monatlich abheben“, erzählt
Abdallah. Er hat sich deshalb der Depositors’ Outcry Association
angeschlossen. Das ist eine Initiative von Bürger*innen, die 2019 gegründet
wurde, um Einleger*innen dabei zu unterstützen, ihre Ersparnisse von
libanesischen Banken abzuheben, auch nachdem ihre Konten als Reaktion auf
die Finanzkrise eingefroren worden sind.
Seit 2019 verliert die libanesische Lira stetig an Wert. Tausende verloren
ihre Jobs, die gut ausgebildete Jugend wandert aus, viele Unternehmen
nutzen die Krise, um ihre Leute zu schlechten Umrechnungskursen oder nur
mit geringen US-Dollar-Beträgen zu bezahlen. Besonders hart hat es den
öffentlichen Sektor getroffen, Lehrkräfte, Angestellte in den Ministerien,
Polizist*innen und Soldat*innen: Sie alle hatten vor der libanesischen
Finanzkrise sehr gut verdient, doch seit dem 1. Mai hat die Regierung ihre
Gehälter auf maximal 500 US-Dollar im Monat gekappt.
## Soldaten, die Taxi fahren
Weil die Lehrkräfte oft streiken, sind öffentliche Schulen zeitweise
geschlossen. Die Ministerien arbeiten kaum, weil Mitarbeitende mehr Geld
fürs Pendeln bezahlen müssen, als sie an Geld verdienen, und deshalb
fernbleiben. Deshalb gibt es im Libanon inflationär viele
Taxifahrer*innen – ein leicht zugänglicher Zweitjob, um überhaupt von
irgendetwas leben zu können. Der Soldat, der nachts noch Taxi fährt; die
Lehrerin, die nebenher privat Kinder betreut; der Polizist, der in der
Küche eines Restaurants jobbt: Derlei Geschichten gibt es viele im Libanon.
„Mein Vater ist in Rente, er war früher in der Armee. Seine Rente ist 17
US-Dollar wert. Meine Eltern brauchen Medizin, und ich bin verheiratet und
habe zwei Kinder. Sie alle unterstütze ich finanziell“, erklärt Abdallah.
„Ich bin noch jung, kann noch immer Geld verdienen. Aber was ist mit den
75- oder 80-Jährigen, die ihr ganzes Leben geschuftet haben? Sollen die
jetzt auf der Straße betteln?“
Ahmed Saklul (Name geändert) ist 65 Jahre alt und Leiter der Abteilung
Systementwicklung bei einer libanesischen Bank. Damit er nicht gekündigt
wird, möchte er anonym bleiben. In dem Alter wollte er eigentlich in Rente
gehen, sagt Sakul, er habe gut gespart. Sein Gehalt betrug vor der Krise
8.000 US-Dollar monatlich, wie er sagt, hinzu kamen Boni. Sein Erspartes,
das bei der Bank liegt, für die er selbst arbeitet, belaufe sich auf
500.000 US-Dollar. Davon kann er monatlich zwar 1.600 US-Dollar abheben –
aber zum offiziellen Umrechnungskurs. Und der ist so schlecht, dass er de
facto nur rund 260 US-Dollar bekommt. Sein Gehalt zahlt die Bank nun in
US-Dollar: 200 pro Monat. Dazu bekommt er eine Fahrpauschale und ab und an
Hilfsgelder. Außerdem erhält er Hilfe von Verwandten im Ausland, etwa von
seinem Sohn, der ihm etwas Geld in den Libanon schickt.
In seinem Job könnte er die Systeme so steuern, dass sie ihm sein Erspartes
auszahlen. „Ja, technisch gäbe es da Möglichkeiten. Aber so ein Mensch bin
ich nicht. Ich werde nichts Illegales machen und kein Teil von solchen
Aktivitäten sein“, sagt der 65-Jährige.
Abdallah von der Vereinigung der Anleger*innen sieht das anders. Die
Banküberfälle sind für ihn keine Diebstähle. „Wir befreien die Einlagen v…
der Bank“, sagt er. Seine Bürgervereinigung unterstützt die „Befreiung der
Anlagen“ durch Rechtsberatung und Pressearbeit. Sie stellen auch die Videos
der „Befreiungs“-Aktionen online. „Wir helfen besonders denen, die das Ge…
für medizinische Zwecke, Medikamente oder Operationen ihrer Angehörigen
benötigen.“ Das sei keine Selbstjustiz, sondern Gerechtigkeit, findet
Abdallah: „[3][Im Libanon gibt es keine Gerechtigkeit und keine gerechte
Justiz]. Die Banken sind eng mit der Politik verknüpft und haben großen
Einfluss.“
## Streiken gegen Bankraub
Er erzählt von dem Fall des Anlegers Iyad Ibrahim: „Sein Bruder leidet an
Krebs und brauchte Geld für die Behandlung. Ibrahim ging friedlich zur
Bank, aber die gab ihm kein Geld, nur einen Scheck. Wir reichten eine Klage
ein und gewannen den Fall. Doch statt die Gerichtsentscheidung umzusetzen,
beschlossen die Banken plötzlich, den Betrieb ganz einzustellen, alle
Bankenverbände schlossen ihre Filialen.“
Das war Anfang dieses Jahres. Die Banken streikten nach dem Vorfall und
forderten das Parlament auf, ein Kapitalkontrollgesetz zu verabschieden,
aus Protest gegen die Gerichtsentscheidung. Als Sprecher des Bündnisses der
Anleger*innen sagt Abdallah: „Wir ermutigen niemanden, Gewalt
anzuwenden, aber wir wollen, dass die Banken Lösungen finden. Wir verlangen
nicht, dass alle unsere Einlagen auf den Tisch gelegt werden. Aber sie
müssen einen Weg finden, wie sie uns wenigstens einen Teil unseres Geldes
geben und uns nicht demütigen.“
Als Antwort auf die Überfälle in jüngster Zeit drohte die Vereinigung der
Banken im Libanon bereits, erneut zu streiken oder einzelne Filialen zu
schließen. „Das ist nicht die Art und Weise, wie man mit Krisen umgeht, die
in erster Linie vom Staat verursacht wurden, und das ist auch nicht die Art
und Weise, wie die Einleger das Geld zurückerhalten können, das durch die
schädliche Politik im Laufe der Jahre vergeudet wurde“, heißt es in der
entsprechenden Presserklärung – und weiter: „Der einzige Weg zu einer
Lösung besteht darin, die notwendigen Gesetze zu verabschieden, um die
Rechte der Einleger zu schützen.“
Bis es dazu kommt, versuchen die Menschen, ihre eigenen Lösungen zu finden.
„Diejenigen, die noch arbeiten, können noch etwas Geld verdienen. Andere
nutzen andere Arten von Ersparnissen. Einige besaßen Gold, andere ein Stück
Land“, erzählt Abdallah. „Ich habe mit jemandem gesprochen, der gerade sein
Haus verkauft hat, nur um es dann zu mieten. Die Menschen versuchen, Wege
zu finden, um zu überleben.“
19 Aug 2023
## LINKS
[1] /Wirtschaftskrise-im-Libanon/!5938236
[2] /Hafenexplosion-im-Libanon/!5911760
[3] /Behinderte-Ermittlungen-in-Beirut/!5949081
## AUTOREN
Julia Neumann
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