| # taz.de -- Nahost-Konflikt im südlichen Libanon: Es ist nicht ihr Kampf | |
| > Die Angriffe Israels und der libanesischen Hisbollah werden heftiger. | |
| > Dennoch harren die Menschen in der Grenzregion im Libanon aus. | |
| Bild: Attacke in Richtung Israel: Hisbollah-Stellung im Südlibanon | |
| Beirut taz Ich habe bisher zwei Kriege durchlebt: 2006 und diesen, doch | |
| dieser ist zerstörerischer“, erzählt Aiman Aissami. Der 34-Jährige Libanese | |
| wohnt im Dorf Maimes im Südlibanon, rund zehn Kilometer von der Grenze zu | |
| Israel entfernt. „Die Waffen werden stärker. 2006 fielen die Häuser | |
| zusammen, heute wird der Beton direkt zu Staub.“ | |
| Jeden Tag, berichtet er der taz am Telefon, höre er den Lärm der | |
| israelischen Bombardierung. „Die Luftangriffe durchbrechen die Schallmauer | |
| über den Dörfern hier. In meinem Haus sind seit Kriegsbeginn drei Fenster | |
| zerbrochen.“ Er erzählt von seiner Tochter, die Panikattacken hat wegen | |
| der täglichen Luftangriffe. Doch Aissami will trotz allem bleiben, er hat | |
| sich in Maimes eine Existenz aufgebaut: Auf zwei Hektar Land baut er Gemüse | |
| an und produziert Olivenöl; das Öl exportiert er nach Brasilien. | |
| Seit Beginn des Gazakriegs im Oktober schießt die vom Iran unterstützte | |
| Hisbollah aus der südlichen Grenzregion des Libanon mit Raketen, Artillerie | |
| und Panzerabwehrgranaten auf Israel. Israel wiederum bekämpft mit Luft- und | |
| Artillerieangriffen die Stellungen der Hisbollah. Mindestens 473 Menschen | |
| wurden im Libanon durch israelische Angriffe getötet. Die meisten von ihnen | |
| waren Kämpfer, aber auch 93 Zivilist*innen, das hat die Nachrichtenagentur | |
| AFP gezählt. Israel gibt an, dass 15 israelische Soldaten und 11 | |
| Zivilist*innen getötet wurden. In Orten an beiden Seiten der Grenze hat | |
| der gegenseitige Beschuss Felder und Häuser zerstört. Rund 150.000 Menschen | |
| mussten ihre Häuser verlassen, davon rund 90.000 im Libanon. Aissami sagt, | |
| ganze Dörfer seien hier inzwischen menschenleer. | |
| Die Hisbollah hat in der vergangenen Woche, nachdem einer ihrer | |
| hochrangigen Kommandeure bei einem israelischen Angriff getötet wurde, ihre | |
| Attacken noch mal verstärkt. Die Miliz greift nun tiefer im Landesinneren | |
| Israels an, setzt bewaffnete Drohnen und Raketen ein, von denen manche | |
| nicht vom israelischen Luftabwehrsystem abgeschossen werden können und bis | |
| in die nördlichen Vorote von Haifa kommen. Und Israel antwortet darauf | |
| ebenfalls mit Eskalation: Am Dienstag haben ranghohe israelische | |
| Kommandeure mitgeteilt, Pläne für eine größere Offensive im Libanon | |
| abgesegnet zu haben. | |
| „Wir sind mit etwas konfrontiert, was wir nicht abschätzen oder erwarten | |
| können“, sagt der Olivenbauer Aissami. „Wir wissen nicht, wo und wann sie | |
| bombardieren. Früher bin ich zweimal die Woche für die Arbeit nach Beirut | |
| gefahren. Jetzt ist der Weg nicht mehr sicher.“ Erst letztens sei jemand | |
| gestorben, weil das Auto mit einer Rakete beschossen wurde. „Darin waren | |
| Zivilisten, sie hatten nichts mit dem Widerstand [der Hisbollah; Anm. d. | |
| Red.] zu tun.“ | |
| Zwar sagt die israelische Regierung, dass es die Hisbollah bis 30 Kilometer | |
| hinter die Grenze, bis zum Fluss Litani, drängen möchte. So sieht es eine | |
| UN-Resolution aus dem Jahr 2006 vor. Doch israelische Luftangriffe reichen | |
| viel weiter, bis zu 100 Kilometer hinter die Grenze ins libanesische | |
| Landesinnere: Bis Baalbek an der Grenze zu Syrien und auch nach Beirut | |
| fliegen die Geschosse. Dort wurde Anfang Januar ein Hamas-Kommandant | |
| mithilfe einer Drohne gezielt getötet. | |
| „Die Sicherheitslage ist katastrophal und sehr angespannt“, erzählt Jasmin | |
| Lilian Diab. Sie kommt selbst aus dem Südlibanon und ist Expertin für | |
| Migration, Gender und Konfliktforschung an der Libanesisch-Amerikanischen | |
| Universität. „Die Leute haben große Angst, sich zu bewegen. Es gibt | |
| Menschen, die momentan im Süden sozusagen gefangen sind.“ Diab hat Anfang | |
| des Jahres für die Frauenrechtsorganisation der Vereinten Nationen, UN | |
| Women, analysiert, welchen Einfluss der Krieg an der Südgrenze auf Frauen | |
| und vulnerable Gruppen wie Migrant*innen hat. | |
| „Für die Libanes*innen ist es etwas einfacher“, sagt sie, denn diese | |
| Familien hätten oft Optionen, in die Hauptstadt Beirut zu ziehen, wo viele | |
| ein Haus besäßen, und generell habe diese Gruppe eher stabile | |
| Einkommensquellen. [1][Weniger gut sehe es für Einwander*innen aus]: | |
| Sie würden sich häufig „mit freiberuflichen Tätigkeiten, Tages- oder | |
| Gelegenheitsjobs über Wasser halten.“ Das gelte vor allem für Syrer*innen, | |
| migrantische Arbeiterinnen und Frauen allgemein. Viele der Geflüchteten, | |
| mit denen sie gesprochen habe, hätten zuvor festere Einkommensquellen | |
| gehabt: in kleineren Unternehmen oder Fabriken. „Doch diese Arbeitsplätze | |
| sind wegen des Kriegs geschlossen oder laufen auf geringer Kapazität.“ | |
| Viele Geflüchtete arbeiten als Tagelöhner in der Landwirtschaft. „Doch | |
| Aufenthalte auf offenem Feld sind gefährlich. Und ein großer Teil des | |
| Landes im Süden ist mit weißem Phosphor belastet.“ Die chemische Substanz | |
| wird in Artilleriegeschossen, Bomben und Raketen verteilt und entzündet | |
| sich bei Kontakt mit Sauerstoff. Die Brandwirkung kann Menschen töten, | |
| führt zu Verbrennungen oder Atemwegsschäden. | |
| ## Einsatz von weißem Phosphor | |
| Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat den [2][Einsatz von | |
| weißer Phosphormunition durch israelische Streitkräfte] zwischen Oktober | |
| und Juni in mindestens 17 Gemeinden im Südlibanon dokumentiert, darunter in | |
| 5 Gemeinden über Wohngebieten. Der Bürgermeister des Dorfs Boustane sagte | |
| der Menschenrechtsorganisation, dass zwei Menschen durch einen | |
| Phosphor-Angriff in ihren Häusern erstickt sind. Der Einsatz von weißem | |
| Phosphor gegen die Zivilbevölkerung ist nach humanitärem Völkerrecht | |
| verboten. | |
| Seine Felder hat es nicht getroffen, sagt Aissami, der auch Gerste, Gurken | |
| und Tomaten anbaut. „Ein Freund hatte 500 Jahre alte Olivenbäume. Sie | |
| wurden durch den Phosphor und das damit ausgelöste Feuer einfach | |
| niedergebrannt. Selbst wenn meine Olivenhaine nicht betroffen sind, die | |
| Leute kaufen unser Öl nicht mehr, aus Angst davor, dass es belastet sein | |
| könnte. Das ist eine große wirtschaftliche Einbuße.“ Außerdem habe er drei | |
| syrische Erntehelfer gehabt, die vor dem Krieg geflohen seien. | |
| Andere konnten nicht fliehen. Die wichtigste Stütze für diese Menschen | |
| seien gemeinschaftliche Unterstützungsnetze, sagt die Wissenschaftlerin | |
| Diab. „Initiativen, Humanitäre Organisationen und kleinere NGOs | |
| organisieren Behelfsunterkünfte oder spenden Essen. Denn die Kommunen im | |
| Süden haben derzeit nur sehr begrenzte Kapazitäten.“ | |
| Der Staat ist pleite, daher fließen kaum staatliche Mittel. Es gab kein | |
| staatliches Evakuierungsprogramm und es wird auch keine Gelder für den | |
| Wiederaufbau geben. Die Behörden hätten geschlossen, sagt Diab, genauso | |
| seien Kliniken dicht, die sonst medizinische Hilfe anbieten. Auch davon | |
| seien Frauen, Queers oder Migrant*innen stärker betroffen. Diab zählt | |
| auf: „Wenn eine Frau einen Gewalttäter angezeigt hat, liegt die Akte jetzt | |
| auf Eis. Schwangere müssen weit fahren, um ihr Kind zu bekommen, und in | |
| Notunterkünften wird nicht nach Geschlechtern getrennt.“ Ausländische | |
| Haushaltsangestellte hätten ihr erzählt, dass sie auf das Haus aufpassen | |
| sollten, während die Familie zu Verwandten nach Beirut geflüchtet sei. | |
| Viele Menschen fühlen sich in einen Krieg hineingezogen, der nicht der ihre | |
| ist. In dem mehrheitlich christlichen Grenzdorf Rmeisch hatte eine Gruppe | |
| von Hisbollah-Mitgliedern Ende März versucht, einen Raketenwerfer zu | |
| installieren. Laut lokalen Medien bemerkte ein Bewohner die Aktion und | |
| intervenierte. Mehrere Dorfbewohner schlossen sich an, es kam zu einer | |
| Schlägerei. Die Hisbollah-Mitglieder sollen daraufhin in die Luft | |
| geschossen haben. | |
| „Hier in unserer drusischen Gemeinde haben wir so etwas wie einen Deal mit | |
| der Hisbollah“, erklärt Aissami. „Die drusischen Anführer Walid Dschumblat | |
| und Talal Arslan haben eine Abmachung getroffen. Sie wollen nicht, dass die | |
| Hisbollah unser Land nutzt, um irgendwelche Widerstandsoperationen | |
| durchzuführen. Das gibt uns ein bisschen Frieden.“ | |
| Der Unternehmer ist Druse, im Libanon aufgewachsen, hat einige Zeit in | |
| Brasilien gelebt und deshalb auch den brasilianischen Pass. Mit der | |
| Intensivierung der Angriffe denkt er darüber nach, auszuwandern: „Ich | |
| wollte, dass meine Kinder ihre Kindheit an dem Ort verbringen, an dem ich | |
| aufgewachsen bin. Aber ich sorge mich auch um meine Kinder“, sagt er. „Ich | |
| möchte nicht, dass sie dieses Trauma erleben. Ich denke, eines Tages werden | |
| die Erlebnisse sie psychisch einholen. Sie verstehen nicht, dass die | |
| Bombardierung nur drei bis fünf Kilometer von uns entfernt ist. Das ist | |
| momentan schon eine weite Distanz für uns, aber in einem normalen Land | |
| sollte ‚weit weg‘ eher 3.000 Kilometer bedeuten.“ | |
| 20 Jun 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wirtschaftskrise-im-Libanon/!5938236 | |
| [2] /Krieg-im-Nahen-Osten/!5963392 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Neumann | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Libanon | |
| Israel | |
| Hisbollah | |
| GNS | |
| Hisbollah | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Verfassungswidrig | |
| Israel | |
| Mittelmeer | |
| Libanon | |
| Israel | |
| António Guterres | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Israel | |
| Israel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Raketenangriff auf den Golanhöhen: Die Drahtzieher sitzen in Teheran | |
| An fünf Fronten kämpft Iran selbst oder über Handlanger gegen Israel. Ohne | |
| Teherans Zutun hätten Israel und Libanon längst Frieden schließen können. | |
| Angriff auf Golanhöhen: Die Region hält die Luft an | |
| Nach dem Raketeneinschlag auf dem Golan droht Israel, seinen Krieg gegen | |
| die Hisbollah auszuweiten. Libanons Regierung ruft zur Zurückhaltung auf. | |
| Schließung der Blauen Moschee in Hamburg: Ist das Verbot des IZH richtig? | |
| Nancy Faeser hat die Blaue Moschee in Hamburg geschlossen. Laut der | |
| Innenministerin steht der Verein dahinter dem iranischen Regime nahe. | |
| Israelisch-libanesische Grenze: Leben unter den Augen der Hisbollah | |
| Viele Städte in Nordisrael sind wegen anhaltender Angriffe aus dem Libanon | |
| schon evakuiert. Hurfeish ist eine Ausnahme. | |
| EU-Gelder für den Libanon: Ab jetzt wird weggeschaut | |
| Libanon kassiert großzügige Hilfen der EU für geflüchtete Syrer – hat aber | |
| kein Interesse, diese zu versorgen. Die EU muss also nacharbeiten. | |
| Annalena Baerbock im Libanon: Mühsames Werben um Frieden | |
| Außenministerin Baerbock ist von Israel nach Libanon weitergereist. Dort | |
| trifft sie Ministerpräsident Mikati. Der hat allerdings nicht viel zu | |
| sagen. | |
| +++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Angriff auf Containerschiff | |
| Eine wahrscheinlich von der Huthi-Miliz gestartete Drohne beschädigt ein | |
| Containerschiff im Roten Meer. Zehntausende Israelis protestieren gegen | |
| ihre Regierung. | |
| +++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: 42 Tote bei Angriffen auf Gaza-Stadt | |
| Ungeklärt bleibt weiterhin, wer den Beschuss eines Zeltlagers nahe Rafah | |
| verursacht hat. Im Westjordanland wurde ein Israeli ermordet. | |
| +++Nachrichten im Nahost-Krieg+++: Armenien erkennt Palästina an | |
| Das Land folgt damit einigen EU-Staaten. Washington und Jerusalem geraten | |
| in Streit. Haftbedingungen für Palästinenser rücken in den Fokus. | |
| Miliz im Libanon: Hisbollah droht Zypern | |
| Die Hisbollah hat damit gedroht, im Falle eines offenen Kriegs „ohne | |
| Regeln“ gegen Israel zu kämpfen. Erstmals erwähnte sie auch das EU-Land | |
| Zypern. | |
| +++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Säbelrasseln an Israels Nordgrenze | |
| Die Hisbollah reagiert mit Drohungen auf Pläne Israels für die | |
| Libanon-Offensive. Israels Armeesprecher räumt Probleme im Kampf gegen die | |
| Hamas ein. | |
| Eskalation zwischen Israel und Hisbollah: Siedlungspläne vom rechten Rand | |
| Israels Militär droht damit, in den Süden Libanons einzumarschieren. Eine | |
| rechte Organisation würde dort am liebsten Siedlungen errichten. Doch das | |
| ist unrealistisch. |