# taz.de -- Christian Lindner zur Finanzpolitik: „Noch lange Freude an der FD… | |
> Finanzminister Lindner spricht sich in der taz für die Einführung des | |
> Klimagelds aus. Dass er nur aufs Sparen aus sei, sei ein Missverständnis. | |
Bild: Christian Lindner in seinem Büro während des taz-Gesprächs | |
wochentaz: Herr Lindner, würden Sie sich selbst als Leistungsträger | |
bezeichnen? | |
Christian Lindner: Ja. | |
Was zeichnet einen Leistungsträger aus? | |
Mehr zu tun als seine Pflicht. | |
In einem FDP-Beschluss werden Leistungsträger als Menschen bezeichnet, die | |
„unser Land mit Mut, Risikobereitschaft und neuen Ideen voranbringen“. Was | |
sind denn Ihre neuen Ideen? | |
In Deutschland wird erstmals in der gesetzlichen Rente die Kapitaldeckung | |
eingeführt. Wir lassen also zukünftig die internationalen Kapitalmärkte | |
dafür arbeiten, die Beitragszahler zu entlasten. Wir schaffen erstmals ein | |
Bundesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität, damit nicht nur die | |
kleinen Fische bei der Geldwäsche ins Netz gehen. Ansonsten gibt es viele | |
Einsichten, die nicht neu sind, die aber immer wieder erneuert werden | |
müssen. Zum Beispiel jene, dass der Staat nicht auf Dauer mehr Geld | |
ausgeben kann, als er einnimmt. | |
In Deutschland gibt es einen enormen Investitionsbedarf. [1][Selbst das | |
arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft sagt, dass in den | |
kommenden zehn Jahren 600 Milliarden Euro öffentliche Ausgaben notwendig | |
sind.] Warum verordnen Sie einen Sparkurs? | |
Das ist ein Missverständnis. Ich verordne eine qualitative Konsolidierung. | |
Das viele Geld, das die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dem Staat zur | |
Verfügung stellen, muss besser eingesetzt werden. Deshalb können wir auch | |
auf Rekordniveau in die Digitalisierung, die Energiewende, die Bundeswehr | |
und in unsere Verkehrsinfrastruktur investieren. | |
Aber nur 12 Prozent des Haushalts fließen in diese langfristigen | |
Investitionen. | |
Im Vergleich zum Vorkrisenniveau von 2019 ist dennoch die Investitionsquote | |
wesentlich höher. Dazu kommen noch viele Milliarden Euro aus dem | |
Sonderprogramm für die Bundeswehr und die Mittel aus dem Klima- und | |
Transformationsfonds zur Förderung klimafreundlicher Technologien. Noch | |
höhere Investitionsmittel würden übrigens nicht zwingend einen Effekt | |
haben, da ja die volkswirtschaftlichen Kapazitäten begrenzt sind. Stichwort | |
Fachkräftemangel. Dann heizt man eher die Inflation an. | |
[2][Fast alle Wirtschaftsinstitute] und auch der [3][Internationale | |
Währungsfonds fordern], die Schuldenbremse zu reformieren. Erzählen die | |
alle Quatsch? | |
Ich selber habe doch auf dieser Linie Veränderungen vorgeschlagen | |
Das müssen Sie uns noch mal in Erinnerung rufen. | |
Die Wirtschaftsforschungsinstitute oder die Bundesbank beziehen sich mit | |
ihren Vorschlägen auf eine Situation, in der wir wieder eine Schuldenquote | |
von unter 60 Prozent erreichen, so wie es die EU vorgibt. Gegenwärtig sind | |
wir bei 64 Prozent. Wenn wir wieder bei unter 60 sind, können wir den | |
Tilgungszeitraum der Pandemie-Notlagenkredite und des Sonderprogramms für | |
die Bundeswehr neu organisieren. Das ergäbe gut 10 Milliarden Euro | |
zusätzlich, die wir jährlich investieren können. | |
Das ist doch keine Reform der Schuldenbremse, Sie wollen einfach sparen. | |
Selbst wenn wir jetzt mehr Geld aufnehmen, würden wir mit dem | |
prognostizierten Wirtschaftswachstum bald bei einer Schuldenquote von unter | |
60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts landen. | |
Leider nicht. Aufgrund der ausgeprägten Wachstumsschwäche gehen wir aktuell | |
für 2028 von 62 Prozent Schuldenquote aus. Ein weiterer Beleg, dass wir | |
dringend eine Wirtschaftswende benötigen, mit Bürokratieabbau, | |
marktwirtschaftlichem Klimaschutz, mehr Mobilisierung am Arbeitsmarkt und | |
steuerlichen Impulsen. Dann sinkt die Schuldenquote schneller, und wir | |
erreichen früher zusätzlichen fiskalischen Spielraum. Denn ich investiere | |
lieber in Infrastruktur und Bildung, ohne dass ich Zinsen an die | |
Kapitalmärkte überweisen muss. | |
[4][41 Milliarden Euro fließen dieses Jahr in die Bundeswehr,] | |
Verteidigungsminister Pistorius will für das kommende Jahr noch mal 6,5 | |
Milliarden mehr. Haben Sie ihm gesagt, das sei zu viel Geld? | |
Zur genauen Ausstattung des Etats kann ich nicht öffentlich sprechen. Eines | |
ist klar: Es gibt das klare Commitment der Bundesregierung, das | |
2-Prozent-Ziel der Nato dauerhaft zu erfüllen. | |
Können so hohe Verteidigungsausgaben nicht auch für Unmut sorgen, wenn | |
Menschen nicht wissen, wie sie ihre Mieten bezahlen sollen? | |
Ohne Frieden und Freiheit ist alles andere nichts. Zudem sind die | |
Sozialausgaben dieses Staats auf einem absoluten Höhepunkt. Gegenüber 2019 | |
werden 42 Milliarden mehr umverteilt. Wir müssen die Effektivität unseres | |
Sozialstaats dringend verbessern. Für mich heißt das: Wir müssen Menschen, | |
die nicht arbeiten, aber arbeiten können, in den Arbeitsmarkt integrieren. | |
Es lehnen nicht viele Menschen Arbeit ab, es sind nicht einmal 1 Prozent | |
der arbeitsfähigen Bürgergeldempfänger. Warum führen wir diese | |
Scheindebatte? | |
Ich habe noch gar nicht von Sanktionen gesprochen. Denn Probleme der | |
Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und mangelhafte Kinderbetreuung | |
sind ja auch Vermittlungshemmnisse. Aber wenn Sie die Debatte wollen, führe | |
ich sie. Dass es nur 1 Prozent sind, könnte ja damit zusammenhängen, dass | |
Sanktionen in der Praxis zu schwer zu verhängen sind. | |
Sie wärmen also das Klischee des faulen Arbeitslosen auf? | |
Nein, Sie verlassen die Rolle der Interviewerin und mischen die | |
Leitartiklerin rein. Das ist Ihr gutes Recht, aber ich weise es zurück. Wir | |
müssen schauen, warum Menschen nicht in der Lage sind, einen Job | |
anzunehmen: aufgrund einer Erkrankung, wegen fehlender Kinderbetreuung oder | |
wenn ein ausländischer Berufsabschluss nicht anerkannt wird. Daneben gibt | |
es auch diejenigen, die fleißig arbeiten – aber in einem Arrangement aus | |
Bürgergeld und Schwarzarbeit. Wir sollten den Mut haben, solche Probleme | |
offen auszusprechen. Dieses Problem werde ich nicht aus politischer | |
Korrektheit verschweigen. | |
Worüber Sie nicht sprechen: Viele Menschen beziehen Sozialleistungen, | |
obwohl sie arbeiten. Das sind Leute, die schlechte Löhne erhalten oder | |
Angehörige pflegen. | |
Tatsächlich haben wir viele Menschen, überwiegend Frauen, die ungewollt | |
weniger arbeiten, weil es keine Kinderbetreuung gibt. Das müssen wir | |
verbessern. Ich bin auch ein großer Freund von Weiterqualifikation, damit | |
Menschen, die keinen gut bezahlten Job haben, nicht auf Dauer dort | |
verbleiben. | |
Wir haben in Deutschland einen sehr großen Niedriglohnsektor. Bräuchten wir | |
nicht Löhne, von denen Menschen auch leben können? Da würde auch der Staat | |
sparen beim Bürgergeld, weil nicht so viele Menschen aufstocken müssten. | |
Der Unterstützungsanspruch einer vierköpfigen Familie geht bis zu knapp | |
2.000 Euro pro Monat plus die Kosten der Unterkunft. Insgesamt kann das | |
schnell in Richtung von 35.000 Euro pro Jahr gehen. Bei geringer | |
Qualifikation und mangelnden Sprachkenntnissen wird das ein Alleinverdiener | |
nicht als Nettoeinkommen erwirtschaften können. Es wird in einer | |
Marktwirtschaft einen Lohnunterschied geben müssen. Wer dauerhaft bei | |
Löhnen politisch intervenieren will, wird am Ende nur den Verlust von | |
Arbeitsplätzen und wirtschaftlicher Substanz beklagen können. | |
Der Kanzler sieht das anders und hat einen Mindestlohn von 15 Euro | |
vorgeschlagen. Hat Sie das geärgert? | |
Nein, da hat der SPD-Wahlkämpfer gesprochen. | |
[5][Nach einem kleinen Hin und Her haben Sie sich im Kabinett auf das | |
Rentenpaket II geeinigt.] Damit soll das Rentenniveau bis 2039 bei 48 | |
Prozent gehalten und das Generationenkapital, die sogenannte Aktienrente, | |
eingeführt werden. Wird die FDP im Bundestag der Reform so zustimmen? | |
Das Rentenpaket II ist eine gute Balance. Das Generationenkapital ist eine | |
echte Zäsur. Hoffentlich können wir damit die in Deutschland verbreitete | |
Skepsis gegenüber den Kapitalmärkten überwinden. Für die jüngeren | |
Beitragszahlerinnen und Beitragszahler müssen wir weitere Maßnahmen auf den | |
Weg bringen. Darüber wird jetzt beraten. | |
Die Frage war, ob die FDP zustimmen wird. | |
Es gilt wie immer das Struck’sche Gesetz, dass kein Gesetz den Bundestag | |
verlässt, wie es reingekommen ist. Und in diesem Sinne gehe ich von einem | |
Beschluss aus. | |
[6][Kommt das im Koalitionsvertrag vereinbarte Klimageld noch,] um die | |
sozialen Unwuchten der Klimapolitik auszugleichen? | |
Der Direktauszahlungsmechanismus wird planmäßig bis zum Jahr 2025 fertig | |
sein. | |
Heißt das, ab Anfang 2025 wird das Klimageld auch ausgezahlt? | |
Gerne, aber dafür müssen wir uns von mancher Subvention trennen. Das | |
gesamte Geld aus den CO2-Einnahmen wird gegenwärtig anders verwendet, und | |
das ist ärgerlich. Solar und Wind, das war mal eine Nische, heute ist das | |
ein Massenmarkt, ich habe auch eine Solaranlage auf dem Dach. Dennoch | |
subventionieren wir diejenigen weiter, die erneuerbare Energien produzieren | |
– in diesem Jahr mit 19 Milliarden Euro. | |
Wollen Sie denn auch umweltschädliche Subventionen streichen? | |
Sie selbst haben gerade von sozialen Unwuchten der Klimapolitik gesprochen. | |
Deshalb muss man sich ansehen, welche sozialen Folgen die Abschaffung | |
bestimmter Steuervorteile oder Subventionen hätte. Das habe ich getan. Es | |
gibt Zielkonflikte zwischen sozialen Wirkungen und ökologischen Anreizen. | |
Ich empfehle für die Akzeptanz des Klimaschutzes, die Wirkungen so | |
abzuwägen, dass man nicht zu viele Menschen vor den Kopf stößt, indem man | |
das Leben der arbeitenden Bevölkerung verteuert. Ich glaube, das sollte die | |
Lehre aus dem Heizungsgesetz sein. | |
Die Idee des Klimagelds war doch, genau das abzufedern. Dann hätte man das | |
doch priorisieren müssen. | |
Ich gebe es gerne weiter. Dann muss es in der Koalition auch die | |
Bereitschaft geben, im Zusammenhang mit dem Klimaschutz Subventionen zu | |
streichen. | |
Angesichts des Rechtsrucks, [7][brauchen wir jetzt nicht das | |
Demokratiefördergesetz,] um Initiativen, die sich den Rechten | |
entgegenstellen, zu unterstützen? | |
Gegenwärtig ist es in der Beratung des Parlaments. | |
Und was sagt die FDP dazu? | |
Das ist die Sache der Fraktion. | |
Sind Sie gegen ein schlagkräftiges Demokratiefördergesetz? | |
Ich bin für die Förderung der Demokratie. Aber wir müssen doch an die | |
Gründe ran, warum rechtspopulistische Parteien so einen Zulauf haben. | |
Illegale Migration oder wirtschaftliche Verlustängste beschäftigen die | |
Menschen im Alltag. Diese Probleme müssen angesprochen und gelöst werden, | |
sonst überlässt man das jenen, die die Liberalität des Landes zerstören | |
wollen. | |
Waren Sie mal im Pony Club auf Sylt? | |
Nein. | |
Nehmen Sie sich selbst manchmal als regierungsinterne Opposition war? | |
Nein. Aber ich kenne die Frage, weil manche von der FDP erwarten, dass sie | |
ihren Wählerauftrag missachtet und einfach rot-grüne Politik macht. Das | |
wäre nicht gut für die Demokratie. | |
Bei der FDP ist unklar, ob sie in den nächsten Bundestag kommt. Gilt es | |
auch für Parteien, dass der Markt das regelt? | |
Eine Partei ist kein Selbstzweck, sondern muss sich im Wettbewerb bewähren. | |
Aber ich darf Sie beruhigen. Wir werden noch lange Freude an der FDP haben. | |
Sie ist die beste Adresse in Deutschland für diejenigen, die | |
Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft mit Weltoffenheit und Toleranz | |
verbinden. Mein Ziel ist, wieder zweistellig zu werden. Übrigens wollen wir | |
auch weiterregieren. | |
31 May 2024 | |
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