| # taz.de -- Christian Dürr über Bruch der Ampel: „Es war richtig, Nein zu s… | |
| > Die liberale Demokratie funktioniert nicht ohne die FDP – findet ihr | |
| > Vorsitzender Christian Dürr. Das Ende der Ampel bereut er trotzdem nicht. | |
| Bild: Christian Dürr hat immer noch regelmäßig Kontakt zu seinem Vorgänger … | |
| taz: [1][Vor einem Jahr erklärte Olaf Scholz die Ampel für beendet.] Die | |
| FDP hatte aktiv darauf hingearbeitet. Hat es sich gelohnt, Herr Dürr? | |
| Christian Dürr: Rückblickend war es richtig, damals nicht auf die | |
| Erpressung des Bundeskanzlers einzugehen. Zu sagen: Wir machen keine | |
| Reformen und versuchen, mit lauter neuen Schulden die Koalition zu retten, | |
| wäre für die FDP kein Weg gewesen. Insofern war es richtig, damals Nein zu | |
| sagen. | |
| taz: Sie und Ihre Partei sind jetzt [2][seit acht Monaten nicht mehr im | |
| Bundestag vertreten.] Was macht das mit Ihnen? | |
| Dürr: Man muss nüchtern feststellen, dass sich diese neue Koalition im | |
| Prinzip genauso verhält wie die Ampel in ihrer Endphase. Wir selbst haben | |
| unsere Fehler analysiert und uns hinterfragt. | |
| taz: [3][War es also unklug, gezielt auf den D-Day hinzuarbeiten?] | |
| Dürr: Das Papier, auf das Sie sich beziehen, hat keine Rolle gespielt. Wenn | |
| eine Koalition scheitert, ist keiner frei von Schuld. | |
| taz: Was bleibt denn von der Ampel außer dem Deutschlandticket? | |
| Dürr: Also … Zumindest ist es uns gelungen, steuerliche Entlastungen | |
| hinzubekommen, gerade für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und das | |
| Sondervermögen für die Bundeswehr bleibt, da hat die Regierung nach dem | |
| Beginn des russischen Angriffskriegs richtig reagiert. | |
| taz: Wir hätten gedacht, Sie nennen auch die doppelte Staatsbürgerschaft | |
| oder das Selbstbestimmungsrecht. Sind das Dinge, zu denen Sie nicht mehr | |
| stehen? | |
| Dürr: Aber das reicht doch nicht aus, um das Land nach vorn zu bringen. | |
| Sonst wäre die Regierung nicht abgewählt worden. | |
| taz: Sie hatten am Anfang der Ampel Olaf Scholz gelobt, er habe „Drive“ und | |
| würde was voranbringen. Wann hat sich diese Bewunderung ins Gegenteil | |
| verkehrt? | |
| Dürr: Das war keine Bewunderung. Aber die SPD hat zu schnell der Mut zu | |
| Reformen verlassen. Leider muss man feststellen, dass das jetzt auch bei | |
| der CDU der Fall ist. | |
| taz: Wann hatten Sie denn das letzte Mal Kontakt zu Scholz? | |
| Dürr: [4][Als ich ihn nach der Bundestagswahl im Bundestag gesehen habe.] | |
| taz: Sie haben keinen Kontakt mehr? | |
| Dürr: Mein Hauptfokus ist die Neuaufstellung der FDP. Es ist nicht die Zeit | |
| für nostalgische Kränzchen. | |
| taz: Auch nicht mit [5][Christian Lindner?] | |
| Dürr: Wir sprechen immer mal wieder miteinander und haben ein gutes | |
| Verhältnis. Aber ich habe das große Glück, dass ich anders als andere | |
| Parteivorsitzende keine Vorgänger habe, die mir öffentlich gute Ratschläge | |
| geben. | |
| taz: Sind Sie froh, jetzt nicht mit der Union regieren müssen, die | |
| haufenweise neue Schulden macht? | |
| Dürr: Ich bin immer bereit, Verantwortung zu übernehmen. Aber mit uns hätte | |
| es diese Schulden nicht gegeben. Eine Politik, die immer nur darauf setzt, | |
| dass der Staat seine Ausgaben steigert, bringt uns nicht voran. Deutschland | |
| ist nicht führend bei der Digitalisierung, bei neuen Technologien oder beim | |
| Klimaschutz. Diese Art der linken Wirtschaftspolitik ist in Deutschland | |
| krachend gescheitert. Und die Union beweist gerade, dass sie in Wahrheit | |
| wirtschaftspolitisch komplett links von uns steht. | |
| taz: Der Großteil der 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaschutz | |
| wird erst noch verplant und verbaut. Sind Sie nicht etwas voreilig in Ihrer | |
| Kritik, das ganze Geld brächte nichts? | |
| Dürr: Es wird nur ein Teil Investitionen in der Infrastruktur ankommen. | |
| Denn jetzt werden auch Investitionsausgaben im Bundeshaushalt | |
| zurückgeschraubt, etwa für die Bahn. Da wird einfach nur Geld verschoben, | |
| damit man zusätzliches Geld für neue Subventionen hat. | |
| taz: Zum Beispiel für subventionierten Agrardiesel. Die Koalition hat die | |
| Rückerstattung für Landwirte wieder eingeführt. Schlimm? | |
| Dürr: Es ist auf jeden Fall falsch, Landwirten einfach immer nur was | |
| wegzunehmen. | |
| taz: Aha. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass wieder mehr Wähler:innen an | |
| die FDP glauben? | |
| Dürr: Ich glaube, wir müssen mehr Risiko wagen. Wir müssen bereit sein, | |
| mehr Dinge zuzulassen. Wenn man so eine Art Vollkaskostaatsmentalität an | |
| den Tag legt, habe ich die große Sorge, dass unser Land Zukunft verpasst. | |
| Ich bin davon überzeugt, dass viele Menschen sehr wohl für Veränderungen | |
| bereit sind. Wir erarbeiten gerade ein neues Grundsatzprogramm, das im | |
| nächsten Jahr beschlossen werden soll. | |
| taz: Sie wollen sich an die radikale Mitte wenden. Wer oder was soll das | |
| sein? | |
| Dürr: Wir sind eine Partei der Mitte, aber ich will nicht Teil der | |
| Konsenssoße und des Status quo sein. Die FDP muss sich davon abheben. Wir | |
| haben die Extremisten links und rechts. Es muss ein drittes Angebot aus der | |
| Mitte geben, mit mutigen Reformvorschlägen für die sozialen | |
| Sicherungssysteme und in der Bildungspolitik. Aber auch beim Thema | |
| Migration. | |
| taz: Was schwebt Ihnen da vor? | |
| Dürr: Es dürfen keine Menschen mehr durch Schlepperkriminalität ins Land | |
| kommen, wo sie teilweise auf den Routen sogar ihr Leben lassen. | |
| Andererseits warten Menschen nicht selten zwei Jahre auf ein Arbeitsvisum. | |
| Arbeitgeber verzweifeln, weil sie die Arbeitskräfte nicht ins Land bekommen | |
| und an der Grenze dauert es zwei Sekunden, um als Asylbewerber oder | |
| Flüchtling anzukommen. Wir müssen unser Einwanderungssystem komplett auf | |
| den Arbeitsmarkt statt auf das Asylsystem ausrichten. | |
| taz: Wollen Sie das Grundrecht auf Asyl abschaffen? | |
| Dürr: Nein, denn echte Asylfälle machen nur 0,7 Prozent der Schutzgesuche | |
| aus. | |
| taz: Also wollen Sie die europäischen Vereinbarungen zum subsidiären Schutz | |
| abschaffen? | |
| Dürr: Wir müssen hinterfragen, ob der subsidiäre Schutz noch funktioniert. | |
| Wir sollten über Flüchtlingskontingente sprechen für Menschen, die | |
| tatsächlich in akuter Gefahr sind. Es wäre doch viel sinnvoller, Menschen, | |
| die wirklich schutzbedürftig sind, aus einem Konfliktgebiet über | |
| Kontingente direkt ins Land zu bringen, als dass man sie kriminellen | |
| Schleppern überlässt und sie unterwegs Lebensgefahr aussetzt. | |
| taz: Migration sehen Sie also als großes Thema. Was noch? | |
| Dürr: Mein Ansatz ist, aus der Sicht der Menschen zu denken. Die meisten | |
| sagen, sie haben Probleme mit den Lebenshaltungskosten und können sich | |
| immer weniger von ihrem Lohn leisten. Linke Politik würde nur sagen, lasst | |
| uns die Preise regulieren. Ich glaube, das führt in die Irre. | |
| taz: Und Sie sehen die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die Immobilien- | |
| und Grundstückspreise nicht als Problem, sondern sagen: Der Markt regelt | |
| das? | |
| Dürr: Das Problem ist doch, dass der Staat jungen Menschen teilweise fast | |
| die Hälfte von ihrem Lohn wegnimmt. Ich bin dagegen, dass der Staat die | |
| Preise festlegt. Das wäre auch das Gegenteil der DNA der FDP. Aber nehmen | |
| wir es hin, dass gerade junge Menschen in den kommenden Jahren immer höhere | |
| Sozialversicherungsbeiträge zahlen und sich immer weniger leisten können? | |
| Da sind wir doch bei den Lebenshaltungskosten. | |
| taz: Was schlagen Sie vor, um diese zu senken? | |
| Dürr: Wir sind eine alternde Gesellschaft, deshalb brauchen wir die | |
| Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Das zweite ist: Menschen müssen wieder | |
| die Möglichkeit haben, sich ein Vermögen aufzubauen. Dieses Versprechen ist | |
| in Deutschland gebrochen. Dazu gehört Kapitaldeckung in den sozialen | |
| Sicherungssystemen. Für die Rente hatten wir das vorgeschlagen mit der | |
| Aktienrente. Ich würde das gerne ausweiten auf die Kranken- und | |
| Pflegeversicherung. | |
| taz: Das heißt, die Leute zahlen Gesundheit und Pflege künftig mehr privat | |
| aus eigener Tasche. | |
| Dürr: Linke Politik befindet es als gut, wenn Menschen in ein soziales | |
| Sicherungssystem einzahlen, aus dem sie am Ende wenig rausbekommen. Ich bin | |
| der Überzeugung, dass es gut ist, wenn Millionen von Menschen, insbesondere | |
| Menschen mit geringem Einkommen, das gleiche Geld am Kapitalmarkt anlegen | |
| und dort sparen. | |
| taz: Wären Sie dafür, dass Erb*innen großer Vermögen etwas mehr abgeben | |
| zum Wohle der Hälfte der Bevölkerung, die keines hat? Bei | |
| Unternehmensvermögen gibt es Ausnahmen, die dafür sorgen, dass | |
| Millionenbeträge leistungslos weitergegeben werden können. | |
| Dürr: Eine Erbschaftssteuer, die mit einem Satz von beispielsweise 30 | |
| Prozent das Unternehmen belasten würde, würde bedeuten, dass 30 Prozent | |
| eines Unternehmens veräußert oder weggeschnitten werden müssten. Das kann | |
| niemand wollen. | |
| taz: Sie sind also dagegen, Privilegien abzuschaffen, die erlauben, dass | |
| Vermögen steuerfrei verschenkt oder in Stiftungen versteckt werden kann? | |
| Dürr: Ihre Frage unterstellt, dass das möglich sei. Ich behaupte, dass eine | |
| hohe Erbschaftssteuer für Unternehmen nicht möglich ist, ohne dass | |
| Arbeitsplätze verloren gehen. | |
| taz: Also keine Reform der Erbschaftssteuer mit der FDP. | |
| Dürr: Ich würde sogar noch weiter gehen: Ich bin gegen eine Erhebung von | |
| Erbschaftssteuer, wenn sie Vermögen betrifft, an denen Arbeitsplätze | |
| hängen. Familienunternehmen, die von der einen an die nächste Generation | |
| weitergegeben werden, sind unser letzter Wettbewerbsvorteil in Deutschland. | |
| taz: Verengen Sie den Liberalismus in der FDP nicht zu sehr auf | |
| Marktradikalität? Gibt es nicht darüber hinaus eine größere Erzählung von | |
| Freiheit? | |
| Dürr: Sie machen einen Widerspruch aus, den ich nicht sehe. Die Freiheit | |
| des Einzelnen und wirtschaftliche Freiheit gehören unmittelbar zusammen. | |
| Das ist ein Grund, warum die FDP glasklar gegen Chatkontrolle ist. Das | |
| unterscheidet uns von der Union. Für uns steht der Einzelne im Vordergrund. | |
| Das gilt auch bei der Überwachung. | |
| taz: Die Frage zielte darauf ab, warum es die FDP nicht schafft, eine | |
| liberale Gegenerzählung zum um sich greifenden Autoritarismus zu liefern. | |
| Dürr: Ich will die FDP genau in diese Richtung erneuern. Der Grund, warum | |
| die Extremisten Zustimmung finden, ist nicht, weil die Leute deren Thesen | |
| teilen, sondern weil sie bitter enttäuscht sind von den anderen Parteien. | |
| taz: Auch von Ihrer. | |
| Dürr: Der Unterschied ist, dass die FDP keine moralischen Fensterreden | |
| hält, sondern sehr konkrete Änderungsvorschläge macht. | |
| taz: Würden Sie für uns noch diesen Satz ergänzen: Ein Bundestag ohne die | |
| FDP ist wie … | |
| Dürr: … eine liberale Demokratie ohne Liberale. Und das funktioniert nicht. | |
| taz: Funktioniert doch aktuell. | |
| Dürr: Da widerspreche ich. | |
| 9 Nov 2025 | |
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