# taz.de -- Streit um Haushalt in der Ampelkoalition: Versperrte Weitsicht | |
> Mitten im Streit der Ampelkoalition um Haushaltskürzungen wollen zwei | |
> Volkswirte Milliarden investieren. Derweil stärkt Scholz Lindner den | |
> Rücken. | |
Bild: Im Zweifel stehen sie zusammen: Scholz und Lindner | |
BERLIN taz | Die beiden Wissenschaftler zeichnen ein ernüchterndes Bild: | |
600 Milliarden Euro sind über die kommenden zehn Jahre nach den | |
Berechnungen der Volkswirtschaftler Sebastian Dullien und Michael Hüther | |
nötig, um die Infrastruktur im Land zu modernisieren. Laut ihrer Studie, | |
die sie am Dienstag in Berlin vorstellten, kämpfen vor allem die Kommunen | |
in Deutschland damit, bei Sanierungen von Schulen und Straßen | |
hinterherzukommen. „Ich finde es bisschen tragisch, denn das ist nicht die | |
erste Studie, die Investitionsbedarfe sieht“, sagte Dullien in Berlin. Doch | |
während die beiden Wissenschaftler, die aus unterschiedlichen ökonomischen | |
Lagern stammen, unisono Investitionen von 600 Milliarden für die | |
öffentliche Infrastruktur anmahnen, geht die Bundesregierung mal wieder | |
auf Messers Schneide – wegen einer Finanzierungslücke von etwa 25 | |
Milliarden Euro. | |
So viel Geld muss für den Haushalt 2025 gespart werden, der dann nach den | |
Plänen von Finanzminister Christian Lindner ein Volumen von 452 Milliarden | |
Euro umfassen soll. Doch die Sparvorgaben des FDP-Manns stoßen bei einigen | |
seiner Kabinettskolleg*innen sauer auf. Neben dem grün geführten | |
Auswärtigen Amt, das 2 Milliarden Euro mehr haben will, stehen drei | |
SPD-Ministerien im Fokus: Verteidigung, Innen und Entwicklung. Für die SPD | |
gibt es dabei eine rote Linie: Die sogenannte Rente mit 63, [1][die von den | |
Liberalen zuletzt offensiv kritisiert wurde, bleibt.] Alles andere aber ist | |
Verhandlungssache. | |
## „Erst mal schwitzen“ | |
Dabei hat die Verhandlungstaktik zumindest für die SPD einen kleinen | |
Dämpfer von oben bekommen, [2][nachdem sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) | |
in einem Interview mit dem Stern erst mal hinterher seinen Finanzminister | |
stellte.] Scholz sagte dem Magazin, Lindners Sparvorgaben seien mit ihm | |
abgesprochen gewesen. Eine Ausnahme von der Schuldenbremse, auf der die | |
Liberalen beharren, sieht auch Scholz nicht: „Jetzt ist erst mal schwitzen | |
angesagt.“ | |
Immer wieder kommen auch die beiden Volkswirte auf die Schuldenbremse | |
zurück. Hüther ist Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen | |
Wirtschaft, Dullien leitet das Institut für Makroökonomie und | |
Konjunkturforschung in der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung. Bei | |
der Analyse der Konjunkturdaten in Deutschland und den notwendigen | |
Investitionen in die Infrastruktur sind sie sich jedoch einig. „Es ist | |
Zeit, die ideologischen Scheuklappen abzulegen“, so Dullien. | |
Für den Investitionsbedarf regen die Wissenschaftler etwa einen Fonds an, | |
der, wie die 100-Milliarden-Investition in die Bundeswehr, im Grundgesetz | |
verankert wird und so die Schuldenbremse umgeht. Doch dafür wäre eine | |
Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig, die mit der FDP nicht zu holen | |
wäre und geschweige denn mit der CDU, die sich vergangene Woche auf ihrem | |
Parteitag noch mal als einsamer Wärter der Schuldenbremse inszeniert hatte. | |
Die SPD versucht sich zumindest in der aktuellen Haushaltsdiskussion mit | |
Optimismus. SPD-Mann Finanzpolitiker Michael Schrodi sagte der taz, es sei | |
„normal, dass sich der Kanzler vor seinen Finanzminister stellt“. | |
Allerdings könnten die Verhandlungen „keine Einbahnstraße sein“. Auch | |
Lindner müsse erkennen, dass „Einschnitte bei der Sicherheit“ – äußere, | |
innere und soziale – nicht verantwortbar seien. | |
## Verteidigungsministerium will Sonderregelung | |
Zustimmung bekommt Scholz dagegen aus den Reihen der FDP. „Es sind vor | |
allem die Ministerinnen und Minister der SPD, die die Haushaltsvorgaben für | |
ihre Ressorts deutlich überschritten haben“, erklärte der sozialpolitische | |
Sprecher der FDP-Fraktion, Pascal Kober, der taz. „Vor diesem Hintergrund | |
begrüße ich es sehr, dass Scholz sie nun an die Einhaltung der | |
Schuldenbremse erinnert hat.“ Auch der Haushaltspolitische Sprecher der | |
Liberalen, Otto Fricke, lobte gegenüber der taz die „Verlässlichkeit“ von | |
Scholz. „Der Kanzler hält sich an das zwischen ihm, dem Vizekanzler und dem | |
Finanzminister abgesprochene Vorgehen, dass der einstimmig vom Kabinett | |
beschlossene Finanzplan die Grundlage der Haushaltsaufstellung ist.“ | |
Unterdessen hatten in der SPD manche gehofft, dass man den Spardruck noch | |
hätte mindern können. Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte | |
vorgeschlagen, Sicherheit von der Schuldenbremse auszunehmen. Auch | |
SPD-Vizefraktionschef Achim Post hatte angeregt, angesichts der | |
milliardenschweren Kosten für die Unterstützung der Ukraine die | |
Schuldenbremse noch ein Jahr auszusetzen. | |
Die Diskussion um die Renten wirkt in diesen Auseinandersetzungen wie | |
vorgeschoben. Lindner hatte die Vorstellung des zweiten Rentenpakets, bei | |
dem sich die Ampel unlängst auf einen Kompromiss geeinigt hatte, | |
verschoben. Die Grünen halten sich in dem Streit auffallend zurück; der | |
Vorschlag der FDP etwa, die Rente mit 63 abzuschaffen, wird in der Partei | |
als Wahlkampfgetöse bezeichnet. | |
## Die großen Investitionsfragen bleiben außen vor | |
Dabei wirkt diese Debatte in der Regierung wie ein Spiel mit vertauschten | |
Rollen: Lange Zeit trugen FDP und Grüne öffentliche Auseinandersetzungen | |
aus, während der Kanzler und seine Partei schweigend danebenstanden. Die | |
SPD wollte als reifste der drei Koalitionsparteien wirken. Jetzt versuchen | |
zur Abwechslung die Grünen, über den Dingen zu stehen. „Kurz gesagt | |
verstehen wir den Streit um das Rentenpaket nicht wirklich“, sagte | |
Vizekanzler Robert Habeck schon am Montag. „Denn es gibt ja eine Einigung.“ | |
Etwas aktiver mischen die Grünen im Streit um den Haushalt mit. Öffentlich | |
wirbt Außenminister Annalena Baerbock zwar nicht so offensiv für ein | |
höheres Budget wie ihre SPD-Kollegin Svenja Schulze im | |
Entwicklungsministerium. Aus ihrer Partei erhält sie aber Unterstützung | |
dafür, dass sie sich Lindners Sparvorgaben bisher nicht gebeugt hat. Und | |
anders als Scholz stärkte Vizekanzler Habeck – sonst oft um einvernehmliche | |
Lösungen bemüht – dem Finanzminister in der aktuellen Debatte nicht | |
öffentlich den Rücken. | |
Für Volkswirt Hüther gehören harte Auseinandersetzungen zur | |
Haushaltsplanung dazu. Frustriert wirkt er aber, weil die großen | |
Investitionsfragen darüber in den Hintergrund geraten. „Es wird gar nicht | |
über die Dinge gesprochen, die wir hier diskutieren“, sagte er. | |
14 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /5-Punkte-Plan-der-FDP/!6009863 | |
[2] https://www.stern.de/politik/olaf-scholz-im-klartext-gespraech---ich-neige-… | |
## AUTOREN | |
Cem-Odos Güler | |
Tobias Schulze | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Ampel-Koalition | |
Christian Lindner | |
Olaf Scholz | |
Das Milliardenloch | |
Schuldenbremse | |
GNS | |
Christian Lindner | |
Boris Pistorius | |
Wirtschaft | |
SED-Diktatur | |
Mindestlohn | |
Olaf Scholz | |
Haushaltsstreit | |
Haushaltsdebatte | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Christian Lindner zur Finanzpolitik: „Noch lange Freude an der FDP“ | |
Finanzminister Lindner spricht sich in der taz für die Einführung des | |
Klimagelds aus. Dass er nur aufs Sparen aus sei, sei ein Missverständnis. | |
Boris Pistorius und seine Emotionen: Männliche Hybris | |
Der Verteidigungsminister muss nicht machen, was er macht. Sagt er. Ist das | |
Selbstaufopferung für das Land oder blanke Überheblichkeit? | |
Streit unter Wirtschaftsweisen: Wasserstoff auf Mühlen der Kritik | |
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm steht wegen ihres Mandats bei Siemens | |
Energy in der Kritik. Es ist nicht die einzige Doppelfunktion. | |
Politisch Verfolgte in der DDR: Härtefallfonds und mehr Opferrente | |
Die Ampelkoalition hat finanzielle Verbesserungen für Opfer der | |
SED-Diktatur versprochen. Nun legt Justizminister Marco Buschmann einen | |
Entwurf vor. | |
15 Euro Mindestlohn: Kritik an Scholz' Forderung | |
Der Bundeskanzler fordert, den Mindestlohn zu erhöhen. Die FDP pocht | |
ausnahmsweise auf den Koalitionsvertrag, doch Kritik kommt auch aus der | |
SPD. | |
Scholz und Lindner im Haushaltsstreit: Der Kanzler macht Ansagen | |
Im Haushaltsstreit der Ampel stellt sich der Kanzler Olaf Scholz hinter | |
Finanzminister Lindner. Zugleich fordert er aber einen Mindestlohn von 15 | |
Euro. | |
Lindners Blockade des Rentenpakets: Regieren mit dysfunktionaler Partei | |
Die FDP agiert so, als befände sie sich auf einem Kreuzzug und nicht in | |
einer parlamentarischen Demokratie. | |
Christian Lindners Sparpläne: Der Gott des Gemetzels | |
Richtig rund läuft es gerade nicht für den Finanzminister und FDPler | |
Lindner. Günstig ist nur, dass auch die Koalitionspartner eine Lösung | |
brauchen. |