| # taz.de -- Putins Überfall auf die Ukraine: Startschuss zum Weltkrieg | |
| > Putins Krieg ist weit mehr als ein Versuch der Wiederherstellung des | |
| > russischen Imperiums. Deutschland aber verweigert seine Verantwortung. | |
| Bild: Die Zeit, den Westen zu verteidigen, wird knapp | |
| Es [1][begann auf dem Maidan]. Tausende demonstrierten für eine Ukraine in | |
| der EU – darauf intervenierte Putin militärisch. Der Kampf auf dem Maidan | |
| war bereits vor einem Jahrzehnt auch ein Kampf um die europäische Ordnung. | |
| In der Ukraine wurde und wird um die Zukunft der europäischen Ordnung | |
| gerungen. Die fundamentalen Fragen lauten seitdem: Sind wir bereit ein | |
| Europa souveräner Nationalstaaten zu verteidigen? Oder bricht imperiale | |
| Macht wieder internationales Recht? | |
| Trotz dieser Herausforderung durch den Kreml hat die deutsche Politik in | |
| den vergangenen zehn Jahren die russische Aggression immer wieder | |
| heruntergespielt oder ignoriert. Obwohl die Ukraine angegriffen wurde, | |
| sahen Berliner Regierungen in zwei Phasen – nach 2014 und nach 2022 – keine | |
| Dringlichkeit zu handeln. Zwar stellten sich sowohl Angela Merkel als auch | |
| Olaf Scholz rhetorisch gern an die Seite der Ukraine und betonten, dass in | |
| Europa das Völkerrecht verteidigt werden müsse. | |
| Doch in der praktischen Politik zögerte Berlin und setzte statt auf | |
| Abschreckung gegenüber Russland und Unterstützung der Ukraine auf eine | |
| Einigung mit dem Regime Putins. Das galt insbesondere bei Merkels Minsker | |
| Abkommen von 2014/15, die den Kreml zu weiteren Aggressionen ermutigten. | |
| Doch trotz des Scheiterns dieser Russlandpolitik ist dieses Denken immer | |
| noch salonfähig. | |
| Nur wenige Tage vor der Münchner Sicherheitskonferenz brachte ihr Chef, | |
| Christoph Heusgen, zum Entsetzen der Ukraine und unserer | |
| ostmitteleuropäischen Nachbarn ein „Minsk III“ ins Spiel. Der | |
| Bundesfinanzminister erklärte derweil, Sicherheitspolitik würde auch | |
| weiterhin nach Haushaltslage entschieden. Dabei zeigen sich gerade jetzt | |
| die Konsequenzen deutscher Zögerlichkeit erneut auf dramatische Weise. | |
| ## Solidaritätsbekundungen zählen nichts im Krieg | |
| Die unmittelbaren Folgen der Berliner Russlandpolitik trug stets die | |
| Ukraine. Das galt 2014 mit dem Verlust der Krim und dem acht Jahre | |
| andauernden Krieg im Donbass. In den Minsker Abkommen wurde Russland nicht | |
| als Aggressor benannt und so für seinen Angriffskrieg belohnt. Das gilt | |
| jedoch auch in der Gegenwart, in der sich die militärische Lage seit | |
| Monaten verschlechtert, weil der Westen – auch Deutschland – nur halbherzig | |
| Waffen und Munition liefern. Die Schwäche der ukrainischen Armee und | |
| [2][der Fall von Awdijiwka Mitte Februar] sind die Konsequenz einer | |
| Zeitenwende, die mehr im Bundestag und in den Talkshows stattfand als in | |
| der Sicherheitspolitik. | |
| Im Krieg, so bitter das ist, zählen nicht die Solidaritätsbekundungen und | |
| vorgezogenen Wiederaufbaukonferenzen. Was zählt sind die Ausrüstung und die | |
| Munition und an denen mangelt es der Ukraine. Russland schafft es hingegen, | |
| seine Defizite mit der Hilfe von Iran, Nordkorea und Chinas auszugleichen. | |
| Die Solidarität der Diktaturen schlägt die Solidarität der Demokratien. | |
| Wir, die westlichen Demokratien, müssen verstehen: Wem die Unterstützung | |
| Kyjiws jetzt zu teuer ist, der wird nach einem Sieg Moskaus einen noch viel | |
| höheren Preis zahlen. | |
| Nach dem Scheitern des russischen Angriffs auf Kyjiw im Frühjahr 2022 hat | |
| sich der Kreml auf einen langen Krieg eingestellt. Dies bedeutete die | |
| Mobilisierung der Reservisten und der Wirtschaft sowie die Verschärfung der | |
| Repressionen, die immer mehr an die sowjetische Epoche erinnern. Russland | |
| ist jetzt Putins persönliche Diktatur. Es hat kein Interesse, zum Status | |
| quo ante zurückzukehren oder einen Kompromiss zu suchen. Im Gegenteil: Der | |
| Krieg ist nun russische Staatsräson. Wirtschaftliche Rationalität tritt in | |
| den Hintergrund, die Wohlstandsverluste spielen keine Rolle. | |
| ## Ein Sieg Russlands in der Ukraine hätte dramatische Folgen | |
| Russland 2024 ist eine revisionistische Macht, die auf die Eroberung | |
| fremden Territoriums fixiert ist. Putin weiß, dass er keine Schwäche zeigen | |
| darf. Solange er an der Macht bleibt, wird es deshalb in Europa keinen | |
| Frieden geben. Nur ein Sieg der Ukraine würde Chancen auf Veränderung in | |
| Russland eröffnen. Historisch gerieten die Dinge in Russland stets ins | |
| Rutschen, wenn das Land militärisch in die Schranken gewiesen wurde. Das | |
| galt im 19. Jahrhundert nach dem Krimkrieg, nach der Niederlage gegen Japan | |
| 1905 und auch 1989, als sich die UdSSR aus Afghanistan zurückzog. Siege | |
| hingegen wie 1945 oder auch 2008 gegen Georgien und 2014 auf der Krim | |
| bestärken stets die imperialen Ambitionen Moskaus. | |
| Ein Sieg Russland Sieg in der Ukraine hätte dramatische Folgen für | |
| Deutschland und Europa. Millionen von Ukrainern würden ihr Zuhause | |
| verlieren, und unsere Sicherheitslage würde sich ein weiteres Mal | |
| dramatisch verschlechtern. Der kommende Sommer wird zeigen, wie hoch der | |
| Preis ist, den die Ukraine und letztlich Europa für die verschleppte | |
| Zeitenwende zu zahlen hat. | |
| Selbst wenn es der Ukraine gelingt, sich erfolgreich zu behaupten, bliebe | |
| auf lange Sicht die globale Dimension des Konflikts bestehen. Längst hat | |
| sich der Kreml mit Beijing, Teheran und Pjöngjang verbunden. Der 7. Oktober | |
| hat gezeigt, dass [3][die Stellvertreter Irans im Nahen Osten jederzeit | |
| zuschlagen können]. Weiter östlich beobachten Xi und Kim die Reaktionen des | |
| Westens auf den russischen Angriffskrieg. | |
| ## Xi und Kim sind unbeeindruckt vom Westen | |
| Was sie im vergangenen Jahr gesehen haben, dürfte sie nicht unbedingt | |
| beeindrucken. Der Westen zauderte. Es gilt zu verstehen, dass dieser Krieg | |
| längst mehr ist als ein Versuch der Wiederherstellung des russischen | |
| Imperiums. Putin gab 2022 den Startschuss zu einem Weltkrieg gegen den | |
| Westen und seine regelbasierte Ordnung, und viele Mächte, nah und fern, | |
| verfolgen, wer hier die Oberhand gewinnt. Wenn der Westen nachgibt, werden | |
| Diktatur und Krieg sich weiterverbreiten. | |
| Was können wir in Deutschland tun, um das Blatt wieder zu wenden? Die | |
| Bundesregierung sollte endlich dasselbe Rückgrat zeigen wie große Teile der | |
| Zivilgesellschaft, die weiterhin die Ukraine beeindruckend unterstützt. Es | |
| verdichtet sich der Eindruck, dass die Gesellschaft der Politik oft weit | |
| voraus ist. Insbesondere der Bundeskanzler muss endlich aus dem Schatten | |
| seiner Vorgängerin heraustreten. Es ist noch zu viel Merkel in Scholz. Den | |
| Krieg gegen die Ukraine darf er nicht seinem Verteidigungsminister | |
| überlassen. Weniger Zögern, mehr Härte ist das Gebot der Stunde. | |
| Im Jahr 2024 sollte sich die Bundesregierung nicht weiter am | |
| Koalitionsvertrag und der Schuldenbremse abarbeiten. Zu viel steht auf dem | |
| Spiel. Die Priorität muss unsere Sicherheit sein. Es geht um die Frage, ob | |
| auch die junge Generation noch in einem freien Europa leben wird. Dazu | |
| müssen wir in Verteidigung und Zivilverteidigung investieren und auch zu | |
| unorthodoxen Maßnahmen greifen. So haben die Europäer und die USA zu | |
| Kriegsbeginn bis zu 300 Milliarden Euro an russischen Werten beschlagnahmt. | |
| Es wird höchste Zeit, dass diese Gelder genutzt werden, um die Ukraine zu | |
| unterstützen. Aufgrund der Kriegsverbrechen in der Ukraine ist es | |
| unstrittig, dass Kyjiw Recht auf Reparationen hat. Jetzt ist der Zeitpunkt | |
| mit der Auszahlung zu beginnen. Das wäre historisch gerecht, politisch klug | |
| und würde auch noch unsere Haushalte entlasten. | |
| Deutschland rühmt sich gern für die Aufarbeitung seiner brutalen | |
| Vergangenheit. Ob zu Recht, kann hier nicht entschieden werden. Doch die | |
| Aufarbeitung von Fehlern und Verbrechen darf sich nicht auf die deutschen | |
| Diktaturen beschränken. | |
| Es ist schon jetzt deutlich, dass die Bundesrepublik nach 1989 ihre | |
| Verantwortung für Frieden und Freiheit in Europa verdrängt hat. Seit 2003 | |
| hat die deutsche Außenpolitik immer wieder die Nähe zu autoritären Regimen | |
| gesucht – von Russland über die Türkei zu China. Sie glaubte, [4][enge | |
| Partnerschaften, ja sogar Freundschaften mit diesen Ländern aufbauen zu | |
| können]. Mit den NordStream-Pipelines wurde Deutschland ein Teil von Putins | |
| negativer Ukrainepolitik. Mit unseren Gasrechnungen finanzierten wir | |
| dauerhaft seine Aufrüstung und sein Regime. | |
| Als [5][Putins Russland] den Krieg gegen die Ukraine begann, überdeckten | |
| Phrasen („Frieden ist nur mit Russland möglich“) und Floskeln („alle Sei… | |
| müssen deeskalieren“) die Leere unseres strategischen Denkens. Eine ganze | |
| Generation von Politikern und Diplomaten hatte vergessen, dass gegenüber | |
| Diktatoren Eindämmung und Abschreckung angezeigt sind. Eine Außenpolitik, | |
| die auf Illusionen gebaut ist, musste scheitern. Sie aufzuarbeiten ist eine | |
| Frage der Glaubwürdigkeit und würde in Osteuropa Vertrauen wiederaufbauen. | |
| ## Rückzug der Demokratie | |
| Deutschlands Politik muss beginnen, die Herausforderungen des 21. | |
| Jahrhunderts anzunehmen. Bisher ist unser Zeitalter vom Rückzug der | |
| Demokratie und vom Siegeszug autoritärer Regime und Diktatoren geprägt. | |
| Diesen historischen Trend gilt es zu stoppen. | |
| Dazu werden in der neuen Legislaturperiode an vielen Stellen auch | |
| Personalwechsel nötig sein. Diese Aufgabe liegt nun vor allen | |
| demokratischen Parteien. Mit den Gewissheiten von gestern lassen sich | |
| Deutschland und Europa nicht durch die Gefahren der Gegenwart steuern. | |
| Ich bin allerdings zuversichtlich, dass gerade in der jüngeren Generation | |
| diejenigen zu finden sind, die einerseits die Zeitenwende vorantreiben und | |
| andererseits die Aufarbeitung des deutschen Russlandkomplexes im 21. | |
| Jahrhundert angehen werden. Auf beiden Feldern ist noch viel zu tun. Hoffen | |
| wir nun, dass der Wechsel nicht zu spät kommen wird. | |
| 25 Feb 2024 | |
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| [4] /Aussenpolitische-Ziele-im-Ukraine-Krieg/!5989378 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Claas Behrends | |
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