| # taz.de -- Zwei Jahre russischer Angriffskrieg: Was, wenn Putin gewinnt? | |
| > Wenn Russland seine Kriegsziele erreicht, wäre die Ukraine Geschichte und | |
| > Freiheit nur noch ein Wort. Das zu verhindern ist im Interesse des | |
| > Westens. | |
| Bild: Existenzielle Bedrohung durch den vielleicht gefährlichsten Diktator der… | |
| Haben Sie sich jemals gefragt, wie unser Leben aussehen würde, wenn Putin | |
| den Krieg gegen die Ukraine gewinnt? Nicht das Leben der Ukrainer*innen, | |
| sondern das aller anderen? Im Fall der Ukrainer*innen wäre alles klar: | |
| Sie werden einfach aufhören zu existieren und diejenigen, die überleben, | |
| wird das russische Regime – ganz gleich, ob Putin selbst oder jemand | |
| anderes regiert – zu neuen richtigen Russen*innen machen. | |
| Zuvor aber würde Blut in Strömen über die ukrainische Schwarzerde fließen | |
| und in Parks und Wäldern würden Massengräber entstehen, in denen viele | |
| Ukrainer*innen verscharrt wären, die bis zum letzten Atemzug Widerstand | |
| gegen die Besatzer geleistet haben. Wie aber würde die Realität derer | |
| aussehen, die dies zugelassen haben, weil sie naiv glaubten, dass sie die | |
| Folgen dieser Katastrophe nicht treffen würden? | |
| Auch ihr Leben würde sich stark verändern – nicht zum Besseren. Es würde | |
| wahrscheinlich kein Massengrab im Berliner Tiergarten geben, doch [1][Morde | |
| wie der an Selimchan Changoschwili] wären wohl Routine. Wenn das heutige | |
| Russland seine Vorherrschaft in Europa durchsetzte, würden die | |
| Freiheitsrechte, die für die Europäer*innen seit Langem | |
| selbstverständlich sind, nur noch eine nostalgische Erinnerung sein. | |
| Denn [2][ein vorgestriges Patriarchat, traditionelle Familienwerte], Zensur | |
| von Sprache und Gedanken sowie Polizeigewalt würden die neue Realität | |
| darstellen. Doch eine derartige Entwicklung erscheint den meisten Menschen | |
| immer noch aberwitzig. | |
| ## Die Realität zu spät erkannt | |
| Viele Jahre lang haben auch die meisten Ukrainer*innen naiv geglaubt, | |
| dass ein Land wie Russland sie niemals angreifen würde, weil sie so viele | |
| Gemeinsamkeiten hätten. Doch die barbarischen Verbrechen der Russen – | |
| [3][Butscha ist nur eines der Beispiele] – zeigen, dass das Unmögliche | |
| möglich ist. | |
| Jahrzehntelang haben sich die Ukrainer*innen immer stärker in eine | |
| wirtschaftliche Abhängigkeit zu Russland begeben. Sie haben zugelassen, | |
| dass antiukrainische Gruppen im Land immer lauter wurden, ihr | |
| Informationsraum unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit manipuliert | |
| wurde und korrupte Politiker die eigene Armee ruinierten. | |
| ## Die Ukraine als Blaupause | |
| All das hat dazu geführt, dass Russland glaubte, die Ukraine sei geschwächt | |
| genug, um sie in drei Tagen zu erobern. Aber ist es nicht genau das, was | |
| das russische Regime heute in westlichen Ländern tut? Populist*innen, linke | |
| und rechte Extremist*innen unterstützen, Gesellschaften von innen | |
| heraus polarisieren, Propaganda und Desinformation verbreiten und | |
| wirtschaftliche Abhängigkeit von billigen Energielieferungen schaffen? | |
| „Das ist nicht unser Krieg“, ist an Hauswänden in Berlin zu lesen. Genau | |
| das ist das Ziel des autoritären russischen Regimes: Chaos und Misstrauen | |
| säen und die Illusion erzeugen, dass die westlichen Gesellschaften sich | |
| nicht einmischen und die Ukraine nicht finanziell unterstützen sollen. Denn | |
| das schade nur ihrem Wohlstand, und sie selbst hätten nichts davon. | |
| Die Realität ist jedoch, dass jede Investition in die Ukraine jetzt vor | |
| allem eine Investition in das eigene Wohlergehen ist. Die Ukrainer*innen | |
| verteidigen nicht nur sich selbst und die Demokratie, sondern auch | |
| diejenigen, die deren wahren Wert noch nicht erkannt oder bereits wieder | |
| vergessen haben. | |
| [4][Dabei braucht die Ukraine dringend Hilfe]. In diesem Krieg geht es um | |
| alle, die Freiheit schätzen, unabhängig von ihrer Herkunft und der Farbe | |
| ihres Passes. In einer Welt, die kurz davor steht, ins finsterste | |
| Mittelalter zurückzufallen, bleibt nur wenig Zeit, um im Paradigma „Unser – | |
| nicht unser“ zu denken. | |
| ## Demokratische Welt in Gefahr | |
| Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 schien die Zeit der Diktaturen | |
| vorbei und die der Demokratien angebrochen. Mehr als dreißig Jahre später | |
| sieht sich die demokratische Welt einer existenziellen Bedrohung durch den | |
| vielleicht gefährlichsten Diktator der Gegenwart gegenüber – Russlands | |
| Präsidenten Wladimir Putin. | |
| Nach zwei Jahren brutaler Invasion in der Ukraine ist das autoritäre | |
| Russland so stark wie eh und je, während die liberalen Demokratien | |
| schwächer werden. Die Geschwindigkeit, mit der alles auf einen Abgrund | |
| zusteuert, müsste selbst die Tapfersten erschrecken. Obwohl inzwischen | |
| Dutzende ukrainische Städte durch russische Bomben zerstört und | |
| [5][Tausende Menschen in ihren Häusern getötet wurden], haben viele immer | |
| noch nicht verstanden, wie real die russische Bedrohung ist. | |
| Die zivilisierte Welt kann nicht gegen einen Diktator verlieren – dieses | |
| Axiom sollte allen Zweiflern klar sein. Die Ukraine zahlt jetzt den | |
| höchsten Preis für ihre Freiheit, sie zahlt mit dem Leben ihrer Kinder, | |
| Frauen und Männer. Denn die Ukrainer*innen haben begriffen, was | |
| passiert, wenn man jemanden wie Putin gewinnen lässt. Die russische | |
| Besatzung bedeutet für sie Massenverhaftungen, [6][verschleppte und | |
| russifizierte Kinder], das Verbot der ukrainischen Sprache und Kultur. Das | |
| Ergebnis ist die Vernichtung der Ukraine als Land und der Ukrainer*innen | |
| als Nation. | |
| ## Exempel für Autokraten | |
| Wenn Russland in der Ukraine gewinnt, wird sich die Spirale der Gewalt in | |
| der ganzen Welt weiterdrehen. Putin wird mit seinem Sieg ein Exempel für | |
| andere Autokraten statuieren. Die liberalen Demokratien werden endgültig | |
| diskreditiert und die Maxime „Wer die meiste Macht hat, hat das Recht“ wird | |
| zur neuen Norm. | |
| Auf dem Schlachtfeld in der Ukraine werden neue Regeln für die Weltordnung | |
| aufgestellt, die alten haben am Morgen des 24. Februar 2022 aufgehört zu | |
| funktionieren. Dies geschah zum Teil, weil man es zuließ. Aber es bleibt | |
| noch etwas Zeit, um die totale Katastrophe zu verhindern. | |
| Die Unterstützung der Ukraine ist heute keine Frage der Wohltätigkeit. Es | |
| geht nicht darum, die Gewalt durch Waffenlieferungen zu verstärken, sondern | |
| sie so schnell wie möglich zu beenden. Denn paradoxerweise können Waffen | |
| Leben retten. | |
| ## Russlands Militärkraft schwächen | |
| Unzählige Menschenleben wurden bereits durch deutsche Gepard-Panzer oder | |
| amerikanische Patriots gerettet, die russische Drohnen und Raketen vom | |
| ukrainischen Himmel geholt haben. [7][Bei den Taurus-Raketen] und den | |
| F-16-Kampfflugzeugen geht es nicht um Eskalation, sondern um die | |
| Reduzierung der militärischen Fähigkeiten Russlands. Wer diese Hilfe | |
| verzögert oder infrage stellt, erhöht die Zahl der täglich getöteten | |
| Ukrainer*innen und rückt den Krieg näher an die eigenen Grenzen. | |
| Putin zu stoppen ist im Interesse aller, es ist eine Investition in das | |
| Leben künftiger Generationen. Denn andere Autokratien nehmen sich ein | |
| Beispiel an Putin und spotten über die Unentschlossenheit des Westens. | |
| Autokratien sind nicht nur stärker geworden, sie lernen auch schnell | |
| voneinander und bilden Allianzen, die manchmal viel effektiver sind als | |
| demokratische Koalitionen. Die freie Welt darf weder an ihren Werten | |
| zweifeln noch ihre Zukunft aufs Spiel setzen. Eine Welt, die von | |
| Autokratien beherrscht wird, wäre für alle, außer den Autokraten selbst, | |
| unerträglich. | |
| ## Wladimir Putin überwinden | |
| Jetzt ist der entscheidende Moment, in dem wir aufhören müssen, Angst zu | |
| haben. Der einzige Weg, Putin zu stoppen, ist, ihn zu überwinden. Und das | |
| können wir nur gemeinsam. Alle anderen Kompromisse verschaffen nur eine | |
| Atempause vor einem neuen Angriff. | |
| Wenn der Westen beschließt, die Ukraine an Putin auszuliefern, weil er | |
| glaubt, damit eine globale Katastrophe verhindern zu können, dann ist das | |
| eine Illusion. Die Beschwichtigung des Aggressors ist nur vorübergehend. | |
| Wenn er verdaut hat, was er bekam, und wieder zu Kräften gekommen ist, wird | |
| er wieder zuschnappen, mit größerer Kraft und größerem Appetit. | |
| Das ist die Geschichte, die die Europäer*innen zu vergessen beginnen – | |
| eine nur allzu gefährliche Tendenz. Diejenigen, die heute von Verhandlungen | |
| mit dem Tyrannen sprechen, werden morgen ihre Söhne an die Front schicken. | |
| Die Autorin war Stipendiatin der [8][taz Panter Stiftung] | |
| 22 Feb 2024 | |
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| [8] /Panter-Stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/ | |
| ## AUTOREN | |
| Anastasia Magasowa | |
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