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# taz.de -- AfD-Verbot und Grundrechtsverwirkung: Mit Transparenz gegen rechts
> Juristische Schritte gegen die Rechtsextremen sind notwendig, ihre
> Risiken überschaubar. Sie könnten die Demokratie resilient gegen rechts
> machen.
Während [1][Hunderttausende endlich Maßnahmen gegen die AfD fordern],
starrt die Politik wie das Kaninchen auf die Schlange. „Sehr hohe Hürden“
gebe es für ein Verbotsverfahren gegen die AfD – meint
Bundesinnenministerin Nancy Faser. Ein „gewaltiger PR-Sieg der AfD“ drohe
im Fall einer Verfahrensniederlage – warnt Bundesjustizminister Marco
Buschmann.
Das gleiche Bild bei einem [2][Verfahren zur Grundrechtsverwirkung von
Björn Höcke]: 1,5 Millionen Menschen haben [3][die Petition] für ein
Vorgehen nach Artikel 18 des Grundgesetzes unterschrieben, aber die
Antragsberechtigten ducken sich weg.
## Gefährlichkeit ist der Dreh- und Angelpunkt
Es ist ja richtig: Parteiverbotsverfahren und Verfahren zur
Grundrechtsverwirkung einzelner Personen sind in der Demokratie ultima
ratio. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben diese Mittel der
„wehrhaften Demokratie“ aus historischer Erfahrung dennoch für nötig
erachtet, jeweils aber auch Voraussetzungen formuliert.
Dreh- und Angelpunkt in beiden Verfahren ist der im Grundgesetz normierte
Schutz vor Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Sowohl
die „Gefährlichkeit“ als auch den Inhalt dieser „Grundordnung“ hat das
Bundesverfassungsgericht mittlerweile so konkretisiert, dass sich mit
Sicherheit sagen lässt: An der mangelnden Gefährlichkeit der Partei bzw.
der Person werden die Verfahren nicht scheitern.
Die AfD hat aktuell das Gefahrenpotential, das der NPD im damaligen
Verbotsverfahren fehlte. Und Björn Höcke als der Spiritus Rector einer
rechtsextremen Partei, der sich aktuell wegen der Verwendung von
SA-Propaganda vor dem Landgericht Halle verantworten muss, hat genau die
akute Gefährlichkeit, die in den vier Verfahren zur Grundrechtsverwirkung
fehlte, die das Bundesverfassungsgericht bislang zu entscheiden hatte.
## Verfassungsfeindlichkeit
Auch im Hinblick auf die Beeinträchtigung der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung sind die Dinge weniger uneindeutig als regelmäßig behauptet.
Das Bundesverfassungsgericht hat den entsprechenden Maßstab [4][in seiner
Entscheidung vom Dienstag], in dem es die NPD bzw. „Die Heimat“ von der
staatlichen Finanzierung ausgeschlossen hat, nochmals präzisiert. Das
Gericht stellt insbesondere auf die Gleichheit ab: Ein ethnischer
Volksbegriff und die Vorstellung von der deutschen „Volksgemeinschaft“ als
Abstammungsgemeinschaft verletzen das Gebot elementarer Rechtsgleichheit.
Wenn das Gericht die Verfassungsfeindlichkeit der NPD im Urteil aus dieser
Woche daran festmacht, dass gerade die Vorstellung der ethnisch definierten
„Volksgemeinschaft“ zu einer gegen die Menschenwürde verstoßenden
Missachtung von Ausländer*innen, Migrant*innen und Minderheiten führt,
dann ist das eins zu eins auf die AfD übertragbar.
Wie die NPD ist die AfD von einer rassistischen, insbesondere
antimuslimischen, antisemitischen und antiziganistischen Grundhaltung
geprägt. Wie die NPD nimmt die AfD eine ablehnende Haltung gegenüber
gesellschaftlichen Minderheiten wie transsexuellen Personen ein.
## Überschaubares Prozessrisiko
Nach allem, was öffentlich bekannt ist, ist daher nicht ersichtlich,
weshalb die vom Verfassungsschutz bereits als rechtsextrem eingestuften
AfD-Landesverbände in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt und auch die
AfD auf Bundesebene nicht als verfassungsfeindlich bewertet werden sollten.
Zahlreiche Funktionär*innen haben sichtbare Spuren dafür hinterlassen,
dass sie darauf abzielen, demokratische und rechtsstaatliche Institutionen
auszuhöhlen. [5][Deportationsfantasien, völkisches Denken],
Inklusionsfeindlichkeit, Antisemitismus, Sexismus: die AfD ist auf allen
Ebenen und in allen Regionen durchsetzt von Menschen, die sich gegen den
Grundsatz der unteilbaren und unverfügbaren Menschenwürde – nach dem
Grundgesetz die Basis von Demokratie und Rechtsstaat – wenden.
Gerade vor dem Hintergrund entsprechender Präzedenzfälle in der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und auch des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte, vor den die Verfahren sicher gebracht
würden, ist eine Ablehnung der Anträge daher kaum zu erwarten.
## Delegitimation der AfD durch Verfahren
Die Risiken, sowohl im Verbots- als auch im
Grundrechtsverwirkungsverfahren, sind daher überschaubar, zumal davon
auszugehen ist, dass die Verfahren professionell geführt werden. Dazu
gehört, dass von Anfang an eine personelle Distanz zu den
Verfassungsschutzämtern gewahrt bleiben muss. Das erste
[6][NPD-Verbotsverfahren] scheiterte 2003 daran, dass der Verbotsantrag auf
Äußerungen gestützt worden war, die V-Männer des Verfassungsschutzes
getätigt hatten. Der Fehler, dass der Staat durch V-Männer und V-Frauen die
Verbotsgründe quasi selbst schafft, darf natürlich nicht erneut begangen
werden. Gerade im Verbotsverfahren werden also entsprechende Vorkehrungen
zu treffen sein.
Zudem wäre es wichtig, dass Bund und Länder konzertiert vorgehen. Statt
sich wie im zweiten NPD-Verfahren 2013 die heiße Kartoffel gegenseitig
zuzuschieben, sollte der Antrag von allen Antragsberechtigten gemeinsam
gestellt werden. [7][Im Verbotsverfahren] müssten also die in Paragraf 43
des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes genannten antragsberechtigten
Institutionen Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat gemeinsam vorgehen.
Im Verwirkungsverfahren wären nach Paragraf 36 des Gesetzes neben Bundestag
und Bundesregierung die Landesregierungen zuständig – wobei hier jede
Landesregierung initiativ werden kann, unabhängig vom Wohnsitz oder
Dienstort des Betroffenen. Das Grundrechtsverwirkungsverfahren gegen Björn
Höcke als thüringischen Fraktionsvorsitzenden der AfD sollten
dementsprechend alle Landesregierungen, und nicht allein die thüringische,
mittragen.
Schließlich wären die Vorwürfe auch transparent zu dokumentieren. Eine das
Verfahren begleitende Öffentlichkeitsarbeit wird daher essenziell sein. So
könnten die Verfahren schon durch ihre Einleitung eine aufklärende Wirkung
entfalten. Zwar verschwinden die rechtsextremen Menschen dadurch nicht.
Aber ein transparent geführtes Verfahren wäre Teil des Unternehmens, diese
Personen wieder für die Demokratie zurückzugewinnen, flankiert von guter
Politik, die ihre Lebenssituationen verbessert.
Zudem kann nicht genug betont werden, dass das Parteiverbot nicht nur auf
die Milieus zielt, die die verfassungsfeindliche Partei wählen, sondern
auch auf die, die von dieser Wahl besonders betroffen sind. Die Menschen in
vulnerablen Konstellationen vor den Konsequenzen der Machtübernahme der
Verfassungsfeinde zu schützen, ist ein maßgebliches Ziel. Dazu gehört eben
auch, der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, was die Politik der AfD für
die Menschen bedeutet, die von der rassistischen, antisemitischen,
sexistischen und ableistischen Politik dieser Partei in ihrer Existenz
betroffen sind.
## Auch eine Niederlage kann zum Erfolg führen
Schon die Einleitung der beiden Verfahren würde in der aktuellen Situation
die Diskurslage in Deutschland verschieben und auch die Brandmauer gegen
Kooperationen mit den Verfassungsfeinden verfestigen, selbst wenn sie
absehbar nicht 2024 abgeschlossen werden.
Natürlich wird die AfD sich weiter als Opfer einer Diktatur- und
Zensurpolitik gerieren. Diese Klaviatur bedient die Partei seit Jahren. Je
sachlicher aber die Verfahren geführt und je sorgfältiger die Vorwürfe
dokumentiert werden, desto weniger wird es der AfD gelingen, diese sich
ohnehin abnutzende Strategie zu diskursiven Erfolgen zu führen.
Und selbst eine Ablehnung der Anträge muss nicht zwangsläufig in einem
„PR-Sieg der AfD“ münden. Das NPD-Verfahren ist das beste Beispiel dafür,
dass eine Partei auch trotz eines abgelehnten Verbotsantrages in der
Bedeutungslosigkeit verschwinden kann. Zwar war die NPD im Jahr des
Verbotsantrags 2013 im Vergleich zur AfD, die in aktuellen Umfragen
bundesweit bei etwa 22 Prozent liegt, schon marginalisiert.
Dennoch zeigt auch das Verfahren gegen die NPD, dass es im Falle einer
Antragsablehnung beim Bundesverfassungsgericht darauf ankäme, genau
herauszuarbeiten, an welchem Punkt das Verfahren gescheitert ist. Wenn dies
angemessen erklärt würde, wenn aus einer eventuellen Ablehnung die
richtigen Schlüsse für Folgeverfahren und Gesetzesänderungen geschlossen
würden, kann auch ein verlorenes Verfahren ein Schritt vorwärts auf dem Weg
sein, die Demokratie [8][gegen Rechtsextremismus resilient] zu machen.
Dass auch schon die Verfahrenseinleitung unabhängig vom Ausgang einen
Resilienzeffekt entfalten kann, zeigen im Übrigen auch die 1996
zurückgewiesenen Anträge auf Grundrechtsverwirkung gegen die Neonazis
Thomas Dienel und Heinz Reisz. So hat das Bundesinnenministerium unter dem
damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) das Scheitern der
Verfahren am Tatbestandsmerkmal der Gefährlichkeit gerade damit begründet,
dass sich schon die Verfahrenseinleitung „mäßigend auf die rechtsextreme
Szene“ ausgewirkt habe.
Voraussetzung für solch einen „Erfolg ohne Obsiegen“, wie es in der
Prozessführungspraxis oft im Anschluss an das 2004 erschienene Buch
„Success without Victory“ des US-amerikanischen Verfassungsjuristen Jules
Lobel formuliert wird, ist freilich eine das Verfahren begleitende,
professionelle Öffentlichkeitsarbeit.
Davon sind die politisch Verantwortlichen derzeit leider noch allzu weit
entfernt. Doch es bleibt zu hoffen, dass der Druck der Öffentlichkeit und
die sich nun regenden Proteste hier einen Unterschied machen werden.
27 Jan 2024
## LINKS
[1] /Termine-Demos-gegen-Rechtsextremismus/!5988174
[2] /Stoppt-Hoecke-Petition/!5985179
[3] https://aktion.campact.de/weact/hocke-stoppen/teilnehmen
[4] /Urteil-zur-NPD-Parteienfinanzierung/!5984461
[5] /Rechtes-Geheimtreffen-in-Potsdam/!5985429
[6] /Karlsruher-Urteil-zur-NPD-Finanzierung/!5984418
[7] /AfD-Verbot/!5986382
[8] /Protestwelle-gegen-rechts/!5986801
## AUTOREN
Andreas Fischer-Lescano
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