# taz.de -- Jugendsozialarbeit in Berlin: Neuköllner Respekt-Offensive | |
> Nach den Silvester-Krawallen spielt die Feuerwehr nun mit Jugendlichen in | |
> Berliner Kiezen Fußball. Ziel ist mehr Akzeptanz – in beide Richtungen. | |
Bild: Neuköllner Jugendliche gegen Feuerwehrleute: Kennenlernen mit Fußball n… | |
BERLIN taz | Als Team „City Chicken“ das zweite Tor schießt, werden die | |
Feuerwehrmänner nervös. „Wo warst du!“, pflaumt einer der | |
Mittelfeld-Spieler aus der Feuerwehr-Mannschaft seinen Teamkollegen in | |
Tornähe an. Es ist das Finalspiel einer Mini-Liga-Runde mit sechs Teams. | |
Zwei Mannschaften hat die Feuerwehr aus ihren Wachen Neukölln, Buckow, | |
Treptow und Köpenick aufgestellt, in den vier anderen spielen Neuköllner | |
Jugendliche – [1][alle männlich] – die regelmäßig im Jugendclub Sunshine | |
Inn der Weißen Siedlung trainieren. | |
Ein Spiel dauert sieben Minuten. Die Jugendlichen sind flink und wendig, | |
lassen sich den Ball kaum abnehmen. Für das in seinen bisherigen Spielen | |
recht starke Team „Feuerwache Treptow“ wird es eng. Die Fußballspiele sind | |
[2][Teil einer Respekt-Offensive]: Treffen und Workshops mit der Feuerwehr | |
waren [3][eine der Maßnahmen, die die Teilnehmer*innen der beiden | |
Gipfel gegen Jugendgewalt] im Februar beschlossen hatten. | |
[4][Zu dem Gipfel] hatte die damalige regierende Bürgermeisterin Franziska | |
Giffey (SPD) eingeladen, nachdem Feiernde in der Silvesternacht [5][in | |
mehreren Bezirken Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr attackiert] | |
hatten. Und nun ist die Feuerwehr an diesem sonnigen September-Samstag also | |
direkt zwischen die Hochhäuser der Siedlung [6][am südlichen Ende der | |
Sonnenallee in Neukölln] gekommen. Um sich „in den Kiez zu öffnen“, wie es | |
der Einsatzbereichsleiter Axel Wendt ausdrückt. | |
Neben dem Fußballplatz haben sie zwei Einsatzwagen hingestellt. An der Tür | |
des einen stehen bald die kleineren Kinder Schlange, um einmal auf dem | |
Fahrersitz Platz zu nehmen und sich, mit den Händen am Lenkrad, von ihren | |
Müttern dort fotografieren zu lassen. Manche können kaum über das | |
Armaturenbrett drübergucken. | |
## Eifrige Reanimation | |
Vor dem einen Einsatzwagen kniet einer der Feuerwehrmänner neben einer | |
Reanimationspuppe. Als erster fragt er jedes Kind, das zu ihm kommt: „Wie | |
ist denn die Telefonnummer der Feuerwehr, wen ruft ihr, wenn es brennt?“ | |
Dann macht er ihnen vor, wie sie die Hände verschränken und die Arme | |
durchdrücken sollen, und wie sie dann mit schnellen Pumpbewegungen auf den | |
Brustkorb eine bewusstlose Person wiederbeleben können. | |
Eifrig strecken gleich drei Kinder ihre Arme Richtung Puppe. Ein Mädchen | |
will gar nicht aufhören, ein Junge fängt an, parallel auf dem Bauch zu | |
drücken. Der Feuerwehrmann bremst etwas und erklärt den neu Dazugekommenen, | |
wie sie einen Atem- und Herzstillstand überhaupt feststellen können. | |
Gebannt gucken die Kinder auf die Skala an der Puppe, die zeigt, wie gut es | |
mit der Animierung klappt. | |
Er habe sich gewundert, dass man in der Mitte des Brustkorbs drücken soll, | |
sagt ein 11-Jähriger. „Das Herz ist doch an der Seite.“ Sehr anstrengend | |
sei das Reanimieren, „aber er hat gesagt, ich soll dabei Stayin’ alive | |
summen, also den Song, dann ist es das richtige Tempo“, sagt der Junge. | |
„Das hat geholfen.“ | |
Die Feuerwehr freut sich über die entspannte Stimmung und über das | |
Interesse der Kinder und Jugendlichen. Der Hintergrund dafür sind die | |
weniger erfreulichen Zusammentreffen bei den Silvester-Krawallen. Mehrere | |
Fälle sind [7][schon vor Gericht gelandet]. An diesem Donnerstag muss sich | |
ein junger Erwachsener verantworten, der zum Tatzeitpunkt noch minderjährig | |
war. Er soll eine Schreckschusspistole abgefeuert haben, ein Feuerwehrmann | |
und ein Journalist hatten Knalltraumata erlitten. Angeklagt ist er wegen | |
Verstoß gegen das Waffengesetz und gefährlicher Körperverletzung. | |
## Temporärer Tinnitus nach Silvester | |
Im Gerichtssaal erklärt der Journalist, dass er in der Silvesternacht mit | |
einem Fernsehteam die Feuerwehr begleitet hätte. Er habe einen der Männer | |
interviewt, als er auf einmal lautes Knallen gehört habe. Er hätte das | |
Interview abgebrochen, zwei Tage hätten ihm danach die Ohren geklingelt, | |
ein temporärer Tinnitus. In der Videoaufnahme aus der Nacht sieht man, wie | |
sich ein Jugendlicher neben dem interviewten Feuerwehrmann ins Bild drängt, | |
sein Gesicht ist vermummt. Auch die Schüsse sind zu hören. | |
Der Feuerwehrmann erlitt ebenfalls ein Knalltrauma. In der Verhandlung sagt | |
er, dass sie vorher mit den Jungs auf der Straße ins Gespräch gekommen | |
waren, Smalltalk, „völlig entspannt“. Auch im Video wirkt er gelassen. | |
Der Angeklagte ist bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die | |
Polizei war dem Jugendlichen später auch anhand der Fernsehbilder auf die | |
Spur gekommen. Bei einer Hausdurchsuchung hätten sie eine Nike-Jacke wie im | |
Video bei ihm gefunden. Im Laufe der Verhandlung gesteht er die Tat ein – | |
und entschuldigt sich. „Ich bin eigentlich nicht jemand, der so etwas | |
macht“, sagt er. | |
Der Staatsanwalt fordert zwei Wochen Jugendarrest. Die Vertreterin der | |
Jugendgerichtshilfe sagt, dass sie [8][das Verhalten als „jugendtümlich“ | |
einschätze], und dass er sehr bedenkenlos gewesen sei. Am Ende verurteilt | |
ihn der Richter zu 60 Stunden Freizeitarbeit wegen gefährlicher | |
Körperverletzung und unerlaubtem Waffenbesitz. „Ich hoffe, sie haben | |
begriffen, dass das eine extrem dumme Geschichte war“, sagt er. | |
## Gegenseitiges Kennenlernen | |
In der Weißen Siedlung wertete Ralf Gilb, Geschäftsführer von Outreach, das | |
Fußballturnier als Erfolg. Outreach macht mobile Jugendarbeit, sie | |
organisieren nun auch die Kieztage mit der Feuerwehr. Es soll nicht bei den | |
Fußballspielen bleiben: Demnächst sollen Einsatzkräfte für Workshops oder | |
gemeinsames Kochen in die Jugendclubs kommen. „Wenn Jugendliche und | |
Feuerwehr ins Gespräch kommen, darüber entsteht Akzeptanz“, sagt Gilb. „In | |
beide Richtungen. Es geht genauso darum, [9][dass die Feuerwehrleute die | |
Jungendlichen kennenlernen]“, betont er. | |
Bei seiner Begrüßung vor dem Eröffnungsspiel hatte Gilb [10][auch auf | |
Silvester verwiesen]. „Wir würden euch gern als Botschafter gewinnen: dass | |
ihr auch anderen klar macht, dass es nicht cool ist, die Feuerwehr | |
anzugreifen“, sagte er. | |
Im Endspiel kann Team „Feuerwache Treptow“ den Rückstand von 2:0 in den | |
verbleibenden 3 Minuten nicht aufholen. Team „City Chicken“ gewinnt und | |
bekommt den „Hot Asphalt Cup“ überreicht, beide Teams klatschen sich ab. | |
Noch vier Cups stehen an: Kommenden Samstag in Reinickendorf, später noch | |
in Schönberg-Nord, in Spandau und in Marzahn. | |
15 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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