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# taz.de -- Maßnahmen gegen Jugendgewalt: In Neukölln liegt auch die Lösung
> Der oft negative Fokus auf den Berliner Bezirk Neukölln ist übertrieben.
> Im Gegenteil: Hier ist viel Vorbildhaftes zu finden.
Bild: Überraschend: Manchmal passiert in Neukölln auch einfach mal gar nichts
Wenn in Neukölln etwas passiert, scheint es meist krasser als im Rest des
Landes. So gab es bundesweit in der Silvesternacht Ausschreitungen mit
Angriffen auf Polizei und Rettungspersonal, etwa in [1][Stuttgart], Essen,
Hannover und [2][Frankfurt am Main], und auch an viele Orten in Berlin, wie
[3][Schöneberg] und Prenzlauer Berg. Doch im Fokus der Berichterstattung
stand danach: Neukölln.
Auch Rangeleien an einer Baderutsche kommen nicht nur im hiesigen
[4][Freibad am Columbiadamm] vor. Doch wenn sich in [5][Stadtroda],
[6][Kaiserslautern] oder [7][Gelsenkirchen] Freibadgäste kloppen, schreibt
darüber meist nur die lokale Zeitung. Über das Verhalten von Neuköllner
Jugendlichen diskutiert dagegen gleich die ganze Republik.
Unbestritten, Neukölln hat eine Reihe von Problemen. Die Armut im Bezirk
ist hoch. Das bedeutet, dass überdurchschnittlich viele Kinder im Mangel
aufwachsen. Die Ausstattung der Schulen ist oft schlecht, die gut
ausgebildeten Lehrer*innen suchen sich, wenn sie die Wahl haben, eher
Schulen in anderen Bezirken aus. Weil der Norden Neuköllns als hip gilt,
ist es inzwischen schwer, eine Wohnung zu bekommen und die Mieten sind
stark gestiegen, so dass Familien oft sehr beengt leben.
Mit rund 330.000 Einwohner*innen hat der Bezirk die Größe einer
mittelgroßen Stadt – mit dem Unterschied, dass in Neukölln
überdurchschnittlich viele Menschen ohne Wahlberechtigung leben, etwa weil
sie nur eine Duldung haben, also einen eher prekären Aufenthaltstitel. Und
ja, auch die Kriminalität ist in Neukölln ein Problem – wenngleich die
Anzahl von Straftaten in [8][Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg höher] ist.
## Ansätze aus dem Bezirk ausgeweitet
Neukölln ist gleichzeitig aber auch ein Ort, an dem Lösungen entstehen. Die
für den Bezirk zuständige Jugendrichterin Kirsten Heisig forderte schon
2010, dass gerade jugendliche Straftäter schnell mit ihrem Handeln
konfrontiert werden sollten. Inzwischen ist das danach benannte „Neuköllner
Modell“ bundesweit in der Strafverfolgung [9][gang und gäbe], es gilt
[10][als durchaus erfolgreich].
Auf ähnlichen Überlegungen beruht auch die [11][Arbeit des Teams
Jugend-Delinquenz] (vorher: AG Kinder- und Jugendkriminalität), für das
seit 2016 in Neukölln Jugendamt, Polizei, Staatsanwaltschaft,
Jugendberufsagentur, Amtsgericht und Sozialarbeiter*innen eng
zusammenarbeiten. Im Fokus stehen junge Menschen zwischen 11 und 17 Jahren,
die wiederholt durch Gewalt aufgefallen sind: im Fachjargon Intensivtäter,
Schwellentäter oder kiezorientierte Mehrfachtäter genannt. Entscheidend
dabei ist: Die Sozialarbeiter*innen gucken auf die Stärken und
Potenziale dieser – meist männlichen – Jugendlichen.
Auch dieses Neuköllner Modell gilt als erfolgreich. So sagte etwa die
Leiterin der dortigen Jugendgerichtshilfe: „Unter denen, die bisher wegen
der Randale an Silvester angeklagt sind, war jedenfalls keiner von unseren
Jugendlichen.“ Mehr als 100 Jugendliche haben das Programm bisher
erfolgreich durchlaufen, die Abbrecherquote ist gering. Ziel ist, dass die
Jugendlichen über den Zeitraum von einem Jahr nicht mehr straffällig
geworden sind und dass sie Perspektiven für Schule, Beruf und Freizeit
entwickelt haben. Das Programm soll nun auf ganz Berlin ausgeweitet werden
– eine der ersten großen Maßnahmen gegen Jugendgewalt, die [12][bereits im
Gipfel nach Silvester] angekündigt worden waren.
## So anders ist Neukölln gar nicht
Als Franziska Giffey (SPD) noch Bezirksbürgermeisterin war, hatte sie
regelmäßig [13][Delegationen zu Besuch], die sich über das Zusammenleben
der Menschen aus mehr als 160 Nationen informieren wollten. Und die
Rütli-Schule haben Senat und Bezirk nach dem ebenfalls bundesweit
diskutierten Brandbrief 2006 zu einem Vorzeige-Campus ausgebaut.
Befeuert durch antimuslimische und rassistische Vorurteile werden aus der
Sicht von außen die sozialen Probleme in Neukölln zu oft mit gefühlten
kulturellen Unterschieden erklärt. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass
die sozialen Herausforderungen in Neukölln nicht anders sind als in anderen
Orten in Deutschland auch. Deshalb eignen sich die hier entwickelten
Lösungsansätze ja tatsächlich gut dazu, sie an anderen Orten anzuwenden.
Und dass hier Menschen mit so unterschiedlichen Herkünften, Hintergründen
und Bedürfnissen in Neukölln letztlich doch recht reibungslos zusammenleben
– auch das kann man durchaus mal als vorbildhaft anerkennen.
19 Aug 2023
## LINKS
[1] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/stuttgart/angriffe-polizis…
[2] https://www.hessenschau.de/tv-sendung/angriffe-in-der-silvesternacht-was-si…
[3] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/12/berlin-schoeneberg-auseinande…
[4] /Jugendgewalt-im-Schwimmbad/!5945079
[5] https://www.otz.de/regionen/stadtroda/streit-im-freibad-stadtroda-fuehrt-zu…
[6] https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/kaiserslautern/kaiserslautern…
[7] https://www.derwesten.de/staedte/gelsenkirchen/gelsenkirchen-news-krankenha…
[8] https://www.kriminalitaetsatlas.berlin.de/K-Atlas/bezirke/atlasbez.html
[9] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/strafverfahren-junge-taeter-beschle…
[10] /!5465706/
[11] /Antigewaltprojekt/!5950155
[12] /Politik-gegen-Jugendgewalt-in-Berlin/!5908495
[13] https://www.berlin.de/ba-neukoelln/aktuelles/pressemitteilungen/2016/press…
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Neukölln
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