# taz.de -- Berliner Gewaltdebatten: Hauptsache, es knallt! | |
> Silvester, Freibad, Görli – die drei Debatten in diesem Jahr zeigen: An | |
> Lösungen ist kaum einer interessiert, umso mehr aber an rassistischen | |
> Ressentiments. | |
Bild: Die Mutter der jüngsten Gewaltdebatte: Silvester in Berlin | |
Bereits zum dritten Mal in diesem Jahr sind lokale Berliner Gewaltvorfälle | |
ein bundesweit diskutiertes Thema. Wieder spielen Fakten dabei kaum eine | |
Rolle gegen allenthalben artikulierte Schnellschüsse, Vorurteile und | |
Ressentiments. Die [1][Debatten nach den Krawallen in der Silvesternacht], | |
den [2][Konflikten in den Freibädern] und nun der Kriminalität im Görlitzer | |
Park kann man wie Schablonen übereinanderlegen. Stets zeigt sich, wie sich | |
eine breite Öffentlichkeit nahezu ohne Interesse an der Faktenlage das Maul | |
zerreißt. | |
Vielen – Politiker:innen sowie bezahlten wie unbezahlten | |
Kommentator:innen – geht es nicht darum, den Ereignissen auf den Grund | |
zu gehen und adäquate Lösungen für die Problemlagen zu finden. Stattdessen | |
wird munter drauflos gepoltert, emotionalisiert und das eigene – oft | |
rassistische – Süppchen gekocht. Zum Leidwesen auch jener, die tatsächlich | |
unter der Gewalt zu leiden haben. | |
Die Diskussion nach den Krawallen in der Silvesternacht entzündete sich an | |
den letztlich nach unten korrigierten Zahlen der Polizei. Auf Basis der | |
Annahme, dass 145 überwiegend migrantische Täter vor allem in Neukölln | |
Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr attackiert hätten, funktionierte | |
der gesellschaftlich eingeübte Sarrazin’sche Reflex. Viel zu spät folgte | |
die scheibchenweise Korrektur: weniger Festnahmen, weniger | |
Neukölln-zentriert, weniger Angriffe, mehr deutsche Angreifer. | |
Für das kollektive Gedächtnis aber war der Drops gelutscht, im Kopf blieb | |
die Frage, welchen Vornamen die jungen Krawallmacher eigentlich haben. Und | |
jene, deren Vornamen tatsächlich nicht deutsch sind, ist ein weiteres mal | |
klargemacht worden, dass sie eigentlich nicht erwünscht sind. Beim damit | |
programmierten nächsten Riot darf man sich dann wieder bestätigt fühlen. | |
Dass nach Giffeys Gipfel gegen Jugendgewalt – immerhin – versprochene | |
zusätzliche Geld für die Jugendhilfe [3][floss über Monate nicht]. | |
## Alarmistische Reflexe | |
Mit den Vorfällen im Columbiabad war es dann so weit. Erneut wusste man bis | |
ins letzte Dorf der Republik, dass Neuköllner und Kreuzberger Freibäder | |
generelle No-go-Areas seien. Zu beobachten war der permanente alarmistische | |
Reflex, jeden Vorfall als „neue Eskalationsstufe“ einzuordnen, der nur | |
durch neue repressive Maßnahmen zu lösen sei. [4][Ausweispflicht] statt | |
Lösungen. Wenig Raum blieb da auch für Empathie mit dem überlasteten, | |
unterbesetzten Personal in den Bädern. | |
In der nun tobenden Debatte um den Görli wiederum wurden ungenaue | |
[5][Statistiken, etwa zu Sexualstraftaten im Gebiet, nicht hinterfragt], | |
sondern als Beweis der Unsicherheitsthese herbeigezogen. Fröhlich einigt | |
sich die populistische Mehrheit darauf, dass nur Zäune, Kameras und Polizei | |
die Lösung sein können – als wären Drogenkonsum und Perspektivlosigkeit als | |
Ursachen der Gewalt damit gelöst und als gingen Verdrängungseffekte im Park | |
nicht zulasten der Anwohner:innen außen herum. | |
Dass sich sogar der Tagesspiegel in einem Kommentar zum Görlitzer Park ohne | |
jede Erläuterung die alte NPD-Forderung zu eigen macht – „Gewalttäter | |
müssen natürlich abgeschoben werden“ –, zeigt, wie tief der Anspruch | |
gesunken ist, Probleme mit mehr als Reflexen und Populismus zu bearbeiten. | |
4 Aug 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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