# taz.de -- Antigewaltprojekt: Vorbild Neukölln | |
> Der Senat will in Neukölln erprobte Maßnahmen gegen Jugendgewalt auf alle | |
> Bezirke ausweiten. Sie richten sich an auffällige, gewalttätige | |
> Jugendliche. | |
Bild: Polizeieinsatz nach Rangeleien im Neuköllner Columbiabad | |
BERLIN taz | Wenn ein 13-Jähriger mehrmals mit Gewalttaten auffällt, dann | |
stimmt möglicherweise etwas nicht in seinem „System“ – ob Schule, Familie | |
oder Freundeskreis. Diese Überzeugung liegt der Arbeit des Neuköllner Teams | |
„Jugend-Deliquenz“ zugrunde. In dem Team betreuen vier | |
Sozialarbeiter*innen „strafrechtlich signifikant gefährdete“ junge | |
Menschen im Alter von 10 bis 17 Jahren, und das Projekt soll nun als | |
Konsequenz aus dem Gipfel gegen Jugendgewalt vom Januar auf ganz Berlin | |
ausgeweitet werden. Zu dem hatte die damalige [1][Regierungschefin | |
Franziska Giffey (SPD) im Januar nach Ausschreitungen in der | |
Silvesternacht] eingeladen. | |
Das Besondere in Neukölln: Die [2][Sozialarbeiter*innen arbeiten eng | |
mit Staatsanwaltschaft, Polizei, Schulen, dem Jugendamt, psychologischen | |
Fachdiensten] und nicht zuletzt den Familien zusammen. Sie sind direkt beim | |
Jugendamt angestellt, die Jugendlichen haben durch sie eine*n feste*n | |
Ansprechpartner*in. Dadurch können die Sozialarbeiter*innen schnell | |
reagieren: „Wir erfahren es direkt von der Polizei, wenn etwas vorgefallen | |
ist. Die Betreuer*innen konfrontieren die Jugendlichen unmittelbar | |
danach“, sagt Martina Kirstan, Leiterin der Jugendgerichtshilfe Neukölln, | |
bei einer Vorstellung des Projekts am Dienstag. | |
„Dann kann der Jugendliche sich nicht wegducken“, sagt Kirstan. „Das hat | |
Vorteile: Wenn wir einen jungen Menschen sechs Wochen später fragen, warum | |
er in dieser einen Nacht mit einem Kuhfuß im Wedding von der Polizei | |
aufgegriffen wurde, dann erinnert er sich entweder nicht mehr richtig, oder | |
er hat sich schon eine Geschichte zurechtgelegt.“ | |
„Wir gehen davon aus, dass Jugendliche mit Gewaltverhalten Defizite | |
zeigen“, sagt Neuköllns Jugendamtsleiterin Katrin Dettmer. Das könnten etwa | |
große Belastungen oder Konflikte zu Hause sein, mangelnde Orientierung oder | |
wenig Wertschätzung, sagt sie. Außerdem litten die Jugendlichen selbst | |
unter ihrem Verhalten. „Sie haben ein schlechtes Gewissen und schämen sich | |
meist, wenn sie gewalttätig geworden sind. Daraus entsteht oft wieder Wut“, | |
erklärt Dettmer. „Sie wollen ja gar nicht überall rausfliegen.“ In der | |
Betreuung würden die Jugendlichen merken, dass sie selbst Verantwortung für | |
ihr Verhalten übernehmen müssen – und können. | |
## Sinnvolles Freizeitverhalten | |
„Wir sprechen mit den Jugendlichen auch über [3][problematisches und über | |
sinnvolles Freizeitverhalten]. Übrigens auch darüber, wie sie Silvester | |
feiern wollen“, sagt Dettmer. Dazu gehöre, herauszufinden, wie die | |
Jugendlichen gern ihre Freizeit verbringen würden, und sie anzuregen, | |
„besser nicht in den Arkaden herumzuwabern, sondern sich eine Sportart oder | |
eine andere Beschäftigung zu suchen“. | |
Das Projekt ist 2016 [4][als AG „Kinder- und Jugendkriminalität“] | |
gestartet, von den vier Sozialarbeiter*innen sind drei | |
Antigewalttrainer*innen und ein*e Suchtberater*in. Neuköllns | |
damaliger Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) hatte es nach einem Vorbild aus | |
Essen initiiert. Mehr als 100 Jugendliche haben das Programm seitdem | |
durchlaufen. Erfolgreich, wie die Leiterinnen des Jugendamts und der | |
Jugendgerichtshilfe betonen. Ziel ist, dass die Jugendlichen – in der | |
übergroßen Mehrheit männlich – im Zeitraum eines Jahres keine Straftaten | |
mehr begehen, eine schulische oder berufliche Perspektive entwickeln und | |
ihr Freizeitverhalten reflektieren. | |
Die Senatsverwaltung für Bildung, Familie und Jugend will das Projekt | |
[5][nun auf ganz Berlin ausweiten]. In allen Bezirken sollen die | |
Jugendämter eine bis vier Sozialarbeiter*innen dafür einstellen. Es | |
ist eine der Maßnahmen, die die Senatsjugendverwaltung mit den im Februar | |
beschlossenen Mitteln aus dem Jugendgewaltgipfel verstärken will. 2,6 | |
Millionen Euro stehen dafür in diesem Jahr bereit, jeweils weitere 2,6 | |
Millionen sind für die kommenden beiden Jahre [6][im Haushalt eingestellt]. | |
Für die Jugendverwaltung ist das [7][wichtige Präventionsarbeit]. „Wir | |
wollen die Bewährungshilfe arbeitslos machen“, scherzt Liecke, nun | |
Staatssekretär für Jugend und Familie, am Dienstag. | |
Noch im Juli hatten [8][Akteur*innen beklagt, dass von den beim | |
Jugendgipfel angekündigten 20 Millionen] für 2023 noch kein Geld geflossen | |
sei. Dass die Verwaltung nun im August ankündigt, das Neuköllner Projekt | |
auszuweiten, begründet Liecke auch mit dem Haushalt, der nun erst im | |
Abgeordnetenhaus diskutiert wird. Er räumt außerdem ein, das es dauern | |
könnte, genug geeignete Sozialarbeiter*innen zu finden. Doch | |
[9][langsam sei das nicht]: „Je mehr dieser Jugendlichen wir erreichen, | |
desto wahrscheinlicher ist es, dass wir an Silvester zukünftig andere | |
Bilder sehen.“ | |
16 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Politik-gegen-Jugendgewalt-in-Berlin/!5908495 | |
[2] https://www.berlin.de/ba-neukoelln/politik-und-verwaltung/aemter/jugendamt/… | |
[3] /Nach-Silvester-Randale-in-Berlin/!5905301 | |
[4] /Noch-mal-neu-das-Neukoellner-Modell/!5288343/ | |
[5] /Reaktion-auf-Randale-an-Silvester/!5905124 | |
[6] /Sozialpolitik-in-Berlin/!5941856 | |
[7] /Silvesterrandale-in-Berlin/!5937406 | |
[8] /Gewaltpraevention-nach-Silvesterrandale/!5947138 | |
[9] /Debatte-ueber-Jugendgewalt/!5904835 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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