| # taz.de -- Haushaltsplan für Berlin: Rechentricks mit Jugendsozialarbeit | |
| > Neukölln wollte Straßensozialarbeit aus Geldern gegen Jugendgewalt | |
| > finanzieren. Das Parlament wies dies zurück – nun muss der Bezirk | |
| > woanders kürzen. | |
| Bild: Böllerverbotszone Hermannplatz Neukölln – soziale Probleme lassen sic… | |
| BERLIN taz | Ausgerechnet Neukölln und ausgerechnet Gewaltprävention: Kurz | |
| vor dem Abschluss der Haushaltsverhandlungen hängen im Norden des Bezirks | |
| mehrere Projekte für Straßensozialarbeit am seidenen Faden. Konkret | |
| betroffen sind Angebote für Jugendliche mit „erhöhtem sozialpädagogischen | |
| Bedarf“ im Reuterkiez, Schillerkiez, am Hermannplatz und der | |
| Karl-Marx-Straße. Es sind Projekte, die sich an Jugendliche in prekären | |
| Situationen richten, an junge Menschen, die sozial benachteiligt sind und | |
| die laut den Trägern über Schule oder andere Strukturen oft gar nicht | |
| erreicht werden. | |
| Der Grund für die Finanzierungsprobleme ist eine Lücke von rund 560.000 | |
| Euro im Haushalt von Neukölln. Der Bezirk hatte deshalb die Mittel bei der | |
| Straßensozialarbeit für Jugendliche aus dem Haushaltsplan herausgenommen – | |
| mit dem Plan, die Projekte dann, in einem zweiten Schritt, aus den über die | |
| [1][Gipfel gegen Jugendgewalt] bereitgestellten Geldern wieder zu | |
| finanzieren. | |
| „All das, was ich mache, mache ich, weil der Haushalt nicht anders | |
| aufzustellen ist“, hatte Katrin Dettmer, kommissarische Leiterin des | |
| Jugendamts Neukölln, bei der ersten Lesung des Haushalts im | |
| Jugendhilfeausschuss noch gesagt. Dort hatte sie auch in Aussicht gestellt, | |
| dass Kürzungen [2][„durch Jugendgipfelgelder 2024 abgefedert“] werden | |
| könnten. | |
| Das Problem versteckt sich im Unterschied zwischen Haushaltsplan und | |
| tatsächlichen Zuweisungen. Im Plan des Jugendamts für 2023 waren rund | |
| 560.000 Euro mehr aufgeführt, als dann die Finanzverwaltung tatsächlich an | |
| Mitteln zur Verfügung stellte. Das Jugendamt konnte laut Bezirk einen Teil | |
| des Gelds im Laufe des Jahres durch Umschichtungen aus anderen Bereichen | |
| einsparen. Deshalb kam die Lücke 2023 noch nicht zum Tragen. In der | |
| Aufstellung des Haushalts für 2024/25 fehlen die rund 560.000 Euro nun aber | |
| tatsächlich. | |
| ## Finanzierung aus eigenen Mitteln | |
| Der Plan des Bezirks, diese Lücke über Gelder gegen Jugendgewalt zu | |
| stopfen, wird so allerdings nicht aufgehen. „Zusätzliches Geld gibt es nur, | |
| wenn bestehende Projekte nicht eingespart werden“, hatte Falko Liecke | |
| (CDU), ehemaliger Jugendstadtrat von Neukölln und inzwischen | |
| [3][Staatssekretär für Jugend beim Senat, im B.Z.-Interview] gesagt. „Ich | |
| bin entsetzt darüber, dass ausgerechnet der Bezirk, in dem es die | |
| schlimmsten Krawalle und Ausschreitungen gegen Polizei- und Feuerwehrkräfte | |
| zu Silvester gab, Kürzungen zum Beispiel bei der Straßensozialarbeit | |
| vollzieht.“ | |
| Der Haushaltsausschuss des Abgeordnetenhauses hat den Plan Neuköllns ohne | |
| die Finanzierung der Projekte nun zurückgewiesen. „Dieses Vorgehen ist dem | |
| Haushaltsausschuss möglich“, teilte die Senatsverwaltung für Jugend auf | |
| Nachfrage mit. Neukölln habe die Finanzierung der Projekte aus eigenen | |
| Mitteln herzustellen. „Damit stehen dem Bezirk wieder die vollen Mittel zur | |
| Verfügung, zusätzlich zu den Geldern aus dem Jugendgewaltgipfel“, sagte | |
| Staatssekretär Liecke. „Ich begrüße diese Entscheidung ausdrücklich.“ | |
| Im Bezirk selbst ist man weniger euphorisch. Denn das heißt nicht, dass das | |
| Geld dafür nun da ist. „Faktisch wurde so Geld in den Haushalt | |
| festgeschrieben, das es nicht gibt“, sagt Bezirksbürgermeister Martin Hikel | |
| (SPD) der taz. „Der Bezirk hat keine Kürzungen vorgenommen. Diese Aussage | |
| der Senatsverwaltung weise ich entschieden zurück, die Kürzung kam vom | |
| Senat“, sagt er. „Vielmehr hat der Bezirk im Jahr 2023 mehr Geld als | |
| zugewiesen für die Jugendsozialarbeit ausgegeben, um die Jugendarbeit zu | |
| stärken und in diesem Jahr eben Kürzungen zu vermeiden.“ Dies sei ihnen nun | |
| auf die Füße gefallen. | |
| Für Hikel stellt sich nun die Frage, inwieweit die Bezirke überhaupt noch | |
| eigene Projekte steuern können, wenn das Abgeordnetenhaus so stark | |
| reguliert. Die Entscheidung auf Landesebene bedeute, dass der Bezirk die | |
| Gelder wohl woanders einsparen muss. „Die wenigen freiwilligen Leistungen, | |
| die der Bezirk steuern kann, stehen komplett zur Disposition“, sagt Hikel. | |
| Von 30 Millionen Euro müsse der Bezirk etwa 10 Millionen bei den | |
| freiwilligen sozialen Leistungen einsparen – etwa in der Obdachlosenarbeit, | |
| in der Suchthilfe und der Seniorenarbeit, wo [4][Neukölln „entsprechend der | |
| Problemlagen“ Schwerpunkte] setzen wollte. Welche konkreten Maßnahmen in | |
| Zukunft entfallen, werde derzeit diskutiert. | |
| ## Noch keine Pflichtaufgabe | |
| Aus Sicht der Projekte sei die [5][Unsicherheit über die Finanzierung | |
| zuletzt sehr belastend gewesen], sagt Samira Bekkadour von Outreach. „Wir | |
| haben in der Hobrechtstraße einen Raum für Jugendliche und sind in der | |
| Gegend dort mit Straßensozialarbeiter*innen präsent. Die | |
| Sozialarbeiter*innen vermittelten dort etwa bei Problemen zwischen | |
| Jugendlichen und Gewerbetreibenden oder bei Konflikten in der | |
| Nachbarschaft“, sagt sie. | |
| „Wir arbeiten zu sozialer Ungleichheit, zu Antisemitismus und zu | |
| Homophobie.“ Rund 10 bis 15 Jugendliche würden sie täglich erreichen, ihre | |
| Arbeit würde auch dazu beitragen, die Jugendlichen in soziale Netzwerke | |
| einzubeziehen. „Die Arbeit ist wichtig, insbesondere in einer Zeit, in der | |
| die Wirkungen der Pandemie noch zu spüren sind, die Mieten steigen und in | |
| der die Kriege in der Welt sich auch im Bezirk abbilden“, sagt sie. | |
| Die Straßensozialarbeit in Nordneukölln von [6][Outreach], [7][Gangway] und | |
| vom [8][Madonna Mädchenzentrum] wird über den Paragraf 13 finanziert – das | |
| bedeutet, dass sie nicht zu den Pflichtaufgaben eines Bezirks gehört. Nur | |
| deshalb konnte sie zur Disposition stehen. „Wir fordern, dass auch die | |
| Arbeit nach Paragraf 13 zu Pflichtaufgaben werden“, sagt Simone Hermes, | |
| beratendes Mitglied im Jugendhilfeausschuss und Sprecherin der politischen | |
| Selbstvertretung der freien Träger. Sie fordert zudem mehr Geld für diesen | |
| Bereich. „Allein durch Teuerungen und durch gestiegenen Bedarf sind es | |
| trotzdem immer noch viel zu wenig Mittel“, sagt sie. | |
| Weiterhin sei vieles nur temporär und nur projektfinanziert. „Das heilt | |
| nichts, und es deckt nicht die Bedarfe“, sagt sie. „Straßensozialarbeit ist | |
| nicht dazu da, Feuer zu löschen, sondern um die Folgen von Armut | |
| aufzufangen.“ Das sei gerade in Neukölln wichtig, wo jedes zweite Kind von | |
| Armut betroffen sei. | |
| 6 Dec 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Silvestervorbereitungen/!5965300 | |
| [2] https://www.berlin.de/ba-neukoelln/politik-und-verwaltung/bezirksverordnete… | |
| [3] https://www.bz-berlin.de/berlin/neukoelln/falsch-verstandene-toleranz-faell… | |
| [4] https://youtu.be/WIZy-uTbOuE?list=PLgqUxMeOmFHwGeGhstZMYz9-6NyBfJvRa&t=… | |
| [5] https://www.instagram.com/vallah_unkuerzbar/?img_index=1 | |
| [6] https://outreach.berlin/ | |
| [7] https://gangway.de/ | |
| [8] http://berlin.madonnamaedchenpower.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
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