# taz.de -- Jugendarbeit in Berlin: „Zu Silvester noch präsenter sein“ | |
> Der Verein Outreach will den Jahreswechsel auch mit Partys befrieden. | |
> Jugendliche hätten ein Recht aufs Feiern, sagt Geschäftsführerin Tabea | |
> Witt. | |
Bild: Erste Hilfe: Kennlerntreffen zwischen Feuerwehr und Jugendlichen in Neuk�… | |
taz: Frau Witt, freuen Sie sich schon auf Silvester? | |
Tabea Witt: Das ist jetzt eine Fangfrage, oder? Also unsere Teams sind | |
überzeugt, dass wir gute Angebote machen und dass die Jugendlichen und | |
jungen Menschen ein schönes Silvester erleben werden. Aber natürlich | |
besteht auch die Sorge, dass es wieder knallen könnte – und dass [1][dann | |
wieder pauschale Verurteilungen und rassistische Diskussionen] losgehen. | |
Wie bereiten Sie sich bei Outreach auf Silvester vor? | |
Wir bereiten uns schon das ganze Jahr darauf vor, weil wir in der | |
Jugendsozialarbeit auf langfristige, nachhaltige Arbeit und Beziehungen | |
setzen. Direkt nach dem letzten Silvester haben wir viel mit den | |
Jugendlichen geredet über ihre Sichtweise auf die Nacht. Wir organisieren | |
inzwischen Begegnungen zwischen Jugendlichen und Feuerwehr. Wir beraten und | |
begleiten und achten darauf, dass noch mehr zu jugendgerechten Zeiten zu | |
tun, also besonders in den Abendstunden. Und wir haben unsere | |
Präventionsangebote ausgeweitet, etwa im Mitternachtssport. | |
Was ist das genau? | |
Das sind Sportangebote bis Mitternacht oder teils auch darüber hinaus, | |
insbesondere Freitagnacht. Zu Zeiten also, in denen es besonders sinnvoll | |
ist, eine Alternative zur Straße anzubieten. Der Sport fördert soziale | |
Kompetenzen, etwa Impulskontrolle, Konfliktfähigkeit und Teamfähigkeit. Wir | |
können dabei auch destruktive Gruppendynamiken beobachten und mit den | |
Jugendlichen besprechen, wie sie solche Dynamiken drehen können oder sich | |
rausziehen. Das sind gute Lernfelder. Der Sport baut auch viel Stress ab. | |
Arbeiten Sie auch konkret zu Silvester? | |
Wir leisten zu Silvester gezielte Aufklärungsarbeit. Wir sprechen mit den | |
Jugendlichen über ihre Pläne, fragen sie nach ihren Sorgen und tauschen uns | |
mit ihnen dazu aus, was man tun kann, wenn etwas ausartet. Wir bestärken | |
sie darin, Verantwortung zu übernehmen, also etwa auch in ihren | |
Freundeskreisen mit anderen darüber zu sprechen. Mit drei Gruppen werden | |
wir über Silvester verreisen, das hatten sie sich gewünscht. Und wir planen | |
auch Partys. | |
Ja? Was ist der Plan? | |
Uns ist es wichtig, die Jugendlichen ernst zu nehmen in ihrem Bedürfnis zu | |
feiern. Sie haben ein Recht auf Partys und auf einen schönen Jahreswechsel. | |
Für die Tage vor Silvester und den Abend selbst bereiten wir Angebote und | |
Feiern vor. Die Jugendlichen gestalten mit: Sie übernehmen Aufgaben, etwa | |
als DJ, bei Karaoke, Bingo, oder indem sie Fotos machen. Das sind je nach | |
Standort Partys für 15 bis sogar 200 Personen, mit Einlass- und | |
Sicherheitskonzept. Ich denke, darüber erreichen wir insgesamt um die 700 | |
Jugendliche. Außerdem sind wir an Silvester in Neukölln, Schöneberg, | |
Spandau und Kreuzberg auch mit Streetwork-Teams unterwegs. | |
Waren die Streetwork-Teams in den vergangenen Jahren auch an Silvester auf | |
den Straßen präsent? | |
Ja, aber in diesem Jahr werden wir das noch verstärken. Wichtig ist uns, | |
dass wir als Teil der Straße dort sind und nicht, um ordnungspolitisch zu | |
wirken. Wir beobachten Dynamiken und können bremsen, wenn sich etwas | |
unglücklich entwickelt. | |
Nervt es Sie, dass Sie Ihre Arbeit nun so stark auf Silvester ausrichten | |
müssen? Das ist meistens ja eh kein Tag, an dem Mitarbeiter*innen gern | |
arbeiten. | |
Wir haben niemanden dazu verpflichtet. Unsere Sozialarbeiter*innen | |
bereiten die Angebote vor, weil sie gern etwas beitragen und weil wir auch | |
Verantwortung übernehmen wollen. Es hat eher genervt, wie viel | |
Jugendfeindlichkeit in der Debatte nach dem letzten Silvester ans Licht | |
kam. | |
Und jetzt? Sie sagen, dass Ihre Arbeit das ganze Jahr läuft. Trotzdem | |
werden alle darauf gucken, [2][was in der Silvesternacht in Neukölln | |
passiert] – oder besser nicht passiert. | |
Wir haben schon das Gefühl, dass die Politik unsere Arbeit ernst nimmt und | |
sieht, dass sie das ganze Jahr über wichtig ist. | |
Tatsächlich? Es sind dieselben Politiker, [3][die im vergangenen Jahr die | |
rassistische Debatte angestoßen haben]. Die CDU, die jetzt regiert, hatte | |
[4][nach den Vornamen der Täter] gefragt. | |
Die Vornamen-Abfrage war aus unserer Sicht höchst problematisch, weil sie | |
Stigmatisierungen Vorschub leistet. Stattdessen brauchen wir die Frage nach | |
den sozialen Verhältnissen. Nicht nur in der Sozialarbeit wurde darüber | |
sehr kritisch diskutiert. Im Ergebnis hat auch die jetzige Landesregierung | |
die geplanten Präventionsmaßnahmen weitergetragen und nun in die Umsetzung | |
gebracht. Wir hoffen sehr, dass es dabei bleibt. | |
Erwartet die Politik, dass Silvester dieses Jahr besser läuft? | |
Das müssen Sie die Politik fragen. Wir bemerken tatsächlich eine hohe | |
Aufmerksamkeit, viele haben uns gefragt, was wir machen. | |
Fühlen Sie sich da auch mit überzogenen Erwartungen konfrontiert? | |
Eins ist klar: Es braucht Zeit, um langfristig zu wirken. Mittel aus den | |
Gipfeln zur Prävention von Jugendgewalt werden tatsächlich erst im | |
kommenden Jahr richtig wirksam. Denn nennenswerte Gelder sind erst seit | |
Oktober und November geflossen. [5][In der High-Deck-Siedlung] in Neukölln | |
… | |
… dort, wo letztes Silvester der Reisebus ausgebrannt ist … | |
… stellen wir jetzt erst ein Team auf. Wir hoffen, dass wir mit unserer | |
Arbeit da dann Stück für Stück an die Ursachen herankommen, wenn wir dort | |
ganzjährig präsent sind. | |
Was ist aus Ihrer Sicht besonders wirksam? | |
Nach wie vor würden wir gern mehr anbieten, und wir hoffen, das bringt im | |
kommenden Jahr noch mehr sichtbare Erfolge. Wo wir schon länger tätig sind, | |
da merken wir, dass die Jugenddelinquenz zurückgeht und dass die | |
Jugendlichen mehr Verantwortung übernehmen. Wir würden auch gern die | |
Zusammenarbeit mit der Feuerwehr weiterführen: Mit ihr hatten wir in | |
Neukölln, Reinickendorf, Schöneberg, Marzahn und Spandau [6][Sportturniere, | |
und die Feuerwehr hat ihre Arbeit vorgestellt]. Außerdem haben sich | |
Feuerwehrleute und Jugendliche bei Workshops getroffen. Die Feuerwehren | |
haben nun Kiezbeauftragte, die für die Jugendlichen ansprechbar sind. Am | |
Interesse der Jugendlichen merken wir schon jetzt, dass sich das gut | |
entwickelt. Noch liegt aber keine Entscheidung vor, ob das Projekt weiter | |
gefördert wird. | |
Vieles ging sehr schleppend los, und eine [7][weitere Förderung ist nicht | |
überall] gesichert. | |
Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass alles früher startet. Dann wären | |
wir schon weiter. Da hat sich wegen der Wiederholungswahl viel verzögert. | |
Es ist das alte Thema: Projekte werden für ein Jahr bewilligt, und dann ist | |
unsicher, wie es weitergeht. Wir würden uns längere Laufzeiten wünschen, | |
über drei oder fünf Jahre, auch wegen des Fachkräftemangels: Wir finden | |
besser Mitarbeiter*innen, wenn wir Stellen für mehrere Jahre zusagen | |
können. | |
Was, wenn es am Silvesterabend doch wieder knallt? | |
Das können wir natürlich nicht verhindern. Dazu sind zu viele Menschen in | |
der Stadt, und wir müssen auch mit einem gewissen Krawalltourismus rechnen. | |
In unseren Angeboten können wir die Settings gut kontrollieren, und wenn es | |
doch zu Ausschreitungen kommt, können wir gut deeskalieren. | |
12 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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