# taz.de -- Einsatzkräfte an Silvester: „Wir sind nicht unantastbar“ | |
> Feuerwehrmann Antoni Espinoza de Jesús organisiert Treffen zwischen | |
> Jugendlichen und Kollegen in einer Berliner Feuerwache. Das soll Gewalt | |
> vorbeugen. | |
Bild: Dachstuhlbrand in der Silvesternacht in Berlin Neukölln zum Jahreswechse… | |
taz: Herr Espinoza de Jesús, verstehen Sie als Feuerwehrmann, dass | |
Jugendliche gern böllern? | |
Antoni Espinoza de Jesús: Ich persönlich war nicht so der Typ, der gerne | |
geböllert hat. Aber ich kann schon verstehen, dass Jugendliche das reizt, | |
also dass sie gerne sehen, wie da irgendwas in die Luft geht. Die Farben, | |
die Geräusche, ein lauter Knall, das ist es wohl. | |
taz: Damit die Böllerei an Silvester nicht wieder in Gewalt umschlägt, | |
[1][treffen sich Feuerwehrleute inzwischen regelmäßig mit Jugendlichen] für | |
gemeinsame Workshops [2][oder Sportturniere]. Was machen Sie bei diesen | |
Treffen? | |
Espinoza de Jesús: Erst mal besuchen wir die Jugendlichen in ihren | |
Jugendzentren und stellen uns vor. Und dann stellen wir auch viele Fragen: | |
Also ob jemand schon mal mit der Feuerwehr in Kontakt gekommen ist, wieso | |
und wie die Erfahrung war. Dabei gehen wir auch auf Silvester ein, | |
besonders den Jahreswechsel 2022/2023. | |
taz: Das [3][Silvester, bei dem es so viele Angriffe auf Polizei und | |
Feuerwehr] gab. | |
Espinoza de Jesús: In dem Jahr waren die Angriffe auf Einsatzkräfte zur | |
Silvesternacht einfach exorbitant hoch. Deshalb sprechen wir das an. Es ist | |
sowieso nicht nachvollziehbar, dass es überhaupt so weit kommen konnte, | |
weil wir als Feuerwehr wirklich nur kommen, wenn Leute in Not sind. | |
Verkehrsunfälle, Brände und Menschen in Notfallsituationen. Ob das eine | |
starke Blutung ist, eine psychische Erkrankung oder was auch immer. | |
Wir kommen, um zu helfen und um Leute, wenn nötig schnellstmöglich in die | |
Klinik zu bringen. Deswegen ist es ja so erschreckend, dass bei dem | |
Silvester die Kollegen nicht nur behindert, sondern auch angegriffen und | |
beraubt worden sind. Da sind vermummte Menschen auf die Fahrzeuge | |
zugerannt, um die Fächer aufzumachen, um Gegenstände zu klauen und um auf | |
Kollegen zu zielen. Unabhängig davon, ob es echte Schusswaffen waren oder | |
nicht: Es wurden Waffen in die Gesichter der Kollegen gerichtet oder auf | |
die Frontscheibe. Das ist einfach erschreckend. Umso schöner ist es, jetzt | |
einen Ansatz zu haben, um dem entgegenzuwirken. | |
taz: Was ist da Ihr Ansatz? | |
Espinoza de Jesús: Wir haben eine kleine Präsentation und zeigen Videos von | |
solchen Angriffen, und wir zeigen die ganzen Funksprüche von den Kollegen, | |
die dort bedroht worden sind. Und dann fragen wir die Jugendlichen und | |
jungen Erwachsenen auch mal, wie sie das so finden oder ob sie sich | |
vorstellen könnten, in diesem Moment in dem Fahrzeug zu sitzen. Im | |
Endeffekt wollen wir den Jugendlichen zeigen, dass unter unserer Uniform | |
ein normaler Mensch steckt. Denn auf einige wirken wir wohl wie unantastbar | |
darin. Ich glaube, deshalb haben manche so eine passiv-aggressive Haltung | |
uns gegenüber, obwohl wir eigentlich helfen wollen. | |
taz: Wie viel erzählen Sie von sich selbst? | |
Espinoza de Jesús: Ich bin selbst in Spandau aufgewachsen, in der | |
Lynarstraße. Ich habe selbst Mist gebaut als Jugendlicher, war immer | |
draußen unterwegs, und das erzähle ich ihnen auch. Und ich war auch damals | |
schon im Jugendclub von Outreach, mit denen wir jetzt das Projekt machen. | |
Das ist immer cool, wenn die Jugendlichen das hören. Da fragen sie dann | |
direkt, was ich danach gemacht habe. Ich glaube, das öffnet ihnen auch | |
Perspektiven, zu sehen, dass jemand aus der Lynarstaße jetzt Beamter ist | |
und bei der Feuerwehr arbeitet. Dadurch bin ich mit den Jugendlichen ganz | |
gut connected. Jetzt bin ich 29 Jahre alt. Ich bin verlobt, ich habe ein | |
Kind, ich mache gerne Sport, ich zocke gerne, ich gehe gerne raus. Und | |
tatsächlich sehe ich jetzt oft kleinere Geschwister von alten | |
Klassenkameraden bei unseren Workshops, das ist total cool, wie sich dieser | |
Kreis für mich wieder schließt. | |
taz: Was erzählen denn die Jugendlichen, was sie für Erfahrungen mit der | |
Feuerwehr machen? | |
Espinoza de Jesús: Die wollen auch, dass geholfen wird. Und sie wissen, | |
dass wir ja auch für ihre Angehörigen kommen. Einige haben uns gesagt, dass | |
sie die Feuerwehr auch schon unfreundlich erlebt haben. Das kann vielleicht | |
auch mal vorkommen. Etwa wenn man eigentlich schon die ganze Nacht | |
unterwegs ist und dann zum sechsten Alarm um 3 Uhr morgens fährt. Dann bist | |
du total ausgelaugt. Da kommt manches vielleicht mal schroffer rüber, als | |
es gemeint ist. Wir sehen viele tote Menschen, wir sehen harte | |
Schicksalsschläge. Und manchmal ist es schwer umzuschalten, dass man jetzt | |
einfach ein bisschen einfühlsamer sein muss. | |
taz: Zu den Feuerwehrprojekten [4][gehört mehr als ein Treffen]. Wie geht | |
es denn dann weiter? | |
Espinoza de Jesús: Beim zweiten Termin laden wir die Jugendlichen zu uns | |
auf die Wache ein, um die Räumlichkeiten und unsere Arbeit zu zeigen, | |
unseren Alltag. Wir fahren ja nicht nur Einsätze, wir haben auch auf der | |
Wache viel zu tun, und wir haben technische Arbeiten zu erledigen. Wir | |
zeigen ihnen unseren Alltag bei einer 12-Stunden-Schicht, wir fangen also | |
morgens mit einem gemeinsamen Frühstück an, und mittags kochen und essen | |
wir zusammen. Und wenn auf einmal ein Einsatz kommt, und dann müssen wir | |
funktionieren: zack, und in wenigen Sekunden los. Das zeigen wir ihnen | |
dann, dass wir auch nur ganz normale Leute sind, die auch Spaß haben. Mit | |
uns kann man auch rumalbern. Wir zeigen ihnen auch unsere Fahrzeuge und | |
lassen sie mal unsere Uniform anziehen, damit sie mal sehen, unter welcher | |
Belastung wir eigentlich arbeiten. | |
taz: Wie viel wiegt denn so eine Uniform? | |
Espinoza de Jesús: Wenn wir unsere Schutzkleidung anziehen, mit Helm und | |
Druckflaschen hinten auf dem Rücken, dann sind wir schon bei über 30 Kilo. | |
Damit müssen wir auch Treppen steigen und tragen zusätzlich Schlauchkörbe, | |
Axt und Strahlrohr. Damit lassen wir sie dann auch mal komplett durch die | |
Halle laufen, da sehen sie dann schon, wie schnell sie aus der Puste sind. | |
Und dann sagen wir ihnen auch: Jetzt überlegt mal, währenddessen | |
aufgehalten oder abgeschossen zu werden, mit Pyrotechnik. Das ist total | |
unangenehm. | |
taz: Wie [5][kommen die Besuche bei Ihren Kolleg*innen] an? | |
Espinoza de Jesús: Anfangs waren einige Kollegen relativ skeptisch, die | |
Jungs zu uns auf Wache holen. Doch bei den Workshops haben sie gesehen, | |
dass die Jugendlichen echt coole Fragen stellen. Da konnten sie ihr Wissen | |
teilen und einiges erklären. Inzwischen melden sich immer gleich mehrere | |
Kollegen, wenn ich frage, wer bei solchen Aktionen dabei sein will. | |
taz: Was für Fragen haben die Jugendlichen denn so? | |
Espinoza de Jesús: Ein Jugendlicher, 13 oder 14 Jahre alt, hat mal gefragt, | |
wie wir mit dem psychischen Stress umgehen und ob die Feuerwehr uns | |
unterstützt. Da konnte ich gleich viel erzählen, wir haben ein | |
Einsatz-Nachsorge-Team, die wir bei belastenden Situationen anfordern. Mit | |
denen hatte ich auch schon zu tun. Er ist da ganz von allein drauf | |
gekommen, das fand ich total cool. Ich habe ein Notizbuch, und in dem | |
sammle ich diese Fragen. Es kommen eigentlich jedes Mal neue Fragen dazu. | |
taz: Abgesehen davon, dass [6][bei den Jugendlichen grundsätzlich | |
Interesse] da zu sein scheint: Merkt ihr denn schon, dass die Treffen auch | |
einen Effekt haben? | |
Espinoza de Jesús: In Schöneberg meinten die Jugendlichen letztens zu einem | |
Kollegen: Wir haben dich gesehen, wie du beim Einsatz warst, du bist | |
rausgefahren, aber du hast uns gar nicht wahrgenommen. Der Kollege war | |
natürlich voll im Tunnelblick. Aber das ist für uns total schön, dass die | |
Kids jetzt immer darauf achten, wer in dem Fahrzeug sitzt. Die gucken | |
wirklich vorne rein hinter die Frontscheibe und gucken, ob die ein Gesicht | |
erkennen können. Oder letztens war ein Kollege bei einer Notfallpatientin. | |
Und nachdem sie versorgt war, meinte eines ihrer Kinder: Diesen Rucksack, | |
den habe ich schon mal bei euch auf der Wache gesehen. Das ist megacool, | |
wenn du gleich so eine Verbundenheit hast. Die Kids müssen jetzt nicht | |
jeden unserer 5.000 Kolleg*innen wiedererkennen: aber wenn sie wissen, | |
das ist jetzt unser Fahrzeug hier aus unserem Gebiet – dann sind wir auf | |
einem guten Weg. | |
taz: Wenn ich jetzt richtig mitgezählt habe, wären das pro Kiez so drei, | |
vier Begegnungen zwischen Jugendlichen und Feuerwehr. Das ist ja aufs Jahr | |
gesehen gar nicht viel. | |
Espinoza de Jesús: Es ist viel im Gegensatz zu den Jahren davor – da gab es | |
ja gar keine vergleichbaren Treffen. Jetzt haben wir berlinweit in einem | |
Jahr mehr als 70 Treffen und Veranstaltungen organisiert. Und wir machen ja | |
nicht nur die Workshops, wir kommen auch mit einem Fahrzeug zu | |
Stadtteilfesten, wo die Kinder dann ins Auto klettern und Fotos machen | |
dürfen und wir Fragen beantworten und unser Equipment zeigen. | |
Wir treffen die Jugendlichen zu Sportturnieren. Da versuchen wir, die Zeit | |
so gut wie möglich gemeinsam zu verbringen. Wir stellen uns nicht da hin, | |
erzählen was und hauen wieder ab. Sondern wir hängen richtig mit denen ab. | |
Letztens in Spandau haben wir uns in einem richtig schönen Klubhaus | |
getroffen, die haben große Räume, mit Beamer und allem. Da haben wir | |
Tischtennis gespielt und Playstation gezockt, FIFA und Just Dance als | |
Turnier. Mit kleinen Preisen. Und Essen und Trinken natürlich auch. Da | |
reden wir nicht nur über die Arbeit, wir fragen sie auch, was ihre Hobbies | |
sind, was ihre Familien machen. Dieses Rumalbern, Spaßhaben und Erzählen, | |
das ist der eigentliche Eisbrecher. | |
29 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Jugendarbeit-in-Berlin/!5978836 | |
[2] /Jugendsozialarbeit-in-Berlin/!5956953 | |
[3] /Nach-Silvester-Randale-in-Berlin/!5905301 | |
[4] /Jugendsozialarbeit-in-Berlin/!5956953 | |
[5] /Silvester-in-Berlin/!5981673 | |
[6] /Streetworker-zu-Silvesterrandalen-in-Berlin/!5903913 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
## TAGS | |
Silvester | |
Spandau | |
Feuerwehr | |
Jugendarbeit | |
Prävention | |
GNS | |
Jahreswechsel | |
Silvester | |
Silvester | |
Jugendarbeit | |
Jugendgewalt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Silvester in Berlin: Kein Ärger in Verbotszonen | |
Polizei und Feuerwehr ziehen eine gemischte Silvesterbilanz. Mehrere | |
Menschen werden durch Kugelbomben schwer verletzt und Gebäude stark | |
beschädigt. | |
Polizeieinsatz an Silvester in Berlin: Das neue Normal | |
Politik und Polizei feiern den „Erfolg“ des Großeinsatzes an Silvester. F�… | |
das Eigenlob fehlen Belege, aber es dient der polizeilichen Aufrüstung. | |
Jugendarbeit in Berlin: „Zu Silvester noch präsenter sein“ | |
Der Verein Outreach will den Jahreswechsel auch mit Partys befrieden. | |
Jugendliche hätten ein Recht aufs Feiern, sagt Geschäftsführerin Tabea | |
Witt. | |
Jugendsozialarbeit in Berlin: Neuköllner Respekt-Offensive | |
Nach den Silvester-Krawallen spielt die Feuerwehr nun mit Jugendlichen in | |
Berliner Kiezen Fußball. Ziel ist mehr Akzeptanz – in beide Richtungen. |