| # taz.de -- Asylrecht in der EU: „Tiefpunkt noch nicht erreicht“ | |
| > Die EU-Kommission will die Standards für Asylverfahren weiter absenken. | |
| > Auf dem Tisch liegt ein Vorschlag für die sogenannte Krisenverordnung. | |
| Bild: EU-Außengrenze: Geflüchtete am belarussich-polnischen Grenzzaun im Mai … | |
| Berlin taz | Nach der Verschärfung ist vor der Verschärfung: Nur wenige | |
| Wochen nach der vorläufigen Einigung [1][beim Gemeinsamen Europäischen | |
| Asylsystem (Geas)] gehen die Beratungen der EU-Innenminister über | |
| Änderungen des Asylrechts weiter. An diesem Mittwoch diskutierte der EU-Rat | |
| über einen Vorschlag der EU-Kommission, konnte aber vorerst keine Einigung | |
| erreichen. Es geht um die sogenannte Krisenverordnung. | |
| Die sieht vor, dass die Mitgliedstaaten in Ausnahmesituationen Standards | |
| für die Flüchtlingsaufnahme und die Asylverfahren absenken und | |
| Grenzübergänge schließen können. Möglich sein soll das etwa in politischen | |
| Krisen und bei „höherer Gewalt“ sowie bei einer sogenannten | |
| Instrumentalisierung von Geflüchteten durch Nachbarstaaten. Dann sollen | |
| sämtliche Ankommenden in das sogenannte Grenzverfahren genommen – und bis | |
| zu 40 Wochen festgehalten – werden können. | |
| Die Kommission hatte dies ähnlich bereits 2020 angeregt. Bisher konnten | |
| sich die Mitgliedstaaten aber auf keine gemeinsame Haltung einigen. Die | |
| schwedische EU-Ratspräsidentschaft hatte den Vorschlag Ende Juni wieder auf | |
| die Tagesordnung gesetzt, die spanische treibt die Beratungen nun voran. | |
| Noch in dieser Legislaturperiode soll der Vorschlag verabschiedet werden, | |
| also bis Februar 2024. | |
| Im Herbst 2021 hatte Brüssel bereits eine Art Pilotpojekt dazu | |
| vorgeschlagen: Polen und die baltischen Staaten sollten Grenzübergänge | |
| schließen und Aufnahmestandards für Geflüchtete vorübergehend absenken | |
| dürfen. Grund war, dass diese von Belarus über die Grenze geschleust worden | |
| waren, um der EU zu schaden – so das Argument der Kommission. Auf diese | |
| Weise sollten potenziell Flüchtende abgeschreckt und Belarus das Instrument | |
| aus der Hand genommen werden. „Es wird nicht gelingen, die EU zu | |
| destabilisieren, indem Menschen instrumentalisiert werden,“ sagte | |
| EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen damals. | |
| ## Asylverfahren sollen gänzlich eingestellt werden, so Polen | |
| Doch Polen und die baltischen Staaten wiesen den Brüsseler Vorschlag | |
| zurück: Er sei „kontraproduktiv“, weil darin weiterhin eine Prüfung von | |
| Asylanträgen vorgesehen war. Asylverfahren müssten stattdessen gänzlich | |
| eingestellt werden, sagte Polens EU-Botschafter damals. Polen und die | |
| baltischen Staaten setzten lieber auf direkte Pushbacks der Ankommenden. | |
| Die Kommission hielt an der Idee aber fest. Nur wenige Monate später schlug | |
| sie den Mitgliedsstaaten dann die so genannte | |
| Instrumentalisierungsrichtline vor. Die sollte keine Ausnahmeregelung, | |
| sondern allgemeines Recht werden. Die Kommission verwies zur Begründung | |
| nicht nur auf die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze, sondern auch | |
| auf Vorfälle an der türkisch-griechischen und der marokkanisch-spanischen | |
| Grenze. | |
| Dort hatten die EU-Nachbarstaaten Grenzkontrollen ausgesetzt, damit | |
| Flüchtlinge in größerer Zahl in die EU gelangen konnten. Damit verbanden | |
| sie Forderungen: Marokko erzwang im Mai 2021 die faktische Anerkennung | |
| Spaniens für die Anexion der West-Sahara. Der türkische Präsident Recep | |
| Tayyip Erdoğan ermutigte im Februar 2020 Flüchtlinge demonstrativ, | |
| massenhaft die Grenze zu überqueren und begründete dies damit, dass die EU | |
| sich nicht an ihre Zusagen für die Flüchtlingshilfe gehalten habe. | |
| ## Instrumentalisierungsrichtlinie soll Erpressung erschweren | |
| Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko wiederum hatte die | |
| Geflüchteten 2021 offenkundig über die Grenze nach Polen schleusen lassen, | |
| damit die EU Sanktionen wegen Wahlbetrugs aussetzt. | |
| Die Instrumentalisierungsrichtlinie sollte solche Erpressungsversuche in | |
| Zukunft erschweren. Verhindern würde sie diese aber nicht. Sie scheiterte | |
| zudem Anfang 2023 im Rat, unter anderem am Veto Deutschlands, das die | |
| Kriterien als zu vage bezeichnete. Missbrauch erschien wahrscheinlich. Der | |
| Vorschlag wurde abgelehnt. | |
| Nun liegt das Konzept in Form der Krisenverordnung wieder auf den Tisch. | |
| Diese ist gewissermaßen das Gegenteil der sogenannten | |
| Massenzustromsverordnung, von der die Millionen in die EU geflüchteten | |
| Ukrainer:innen ab Februar 2023 profitierten. Diese ermöglichte der EU, | |
| im Krisenfall unbürokratischer als sonst Schutz zu gewähren. | |
| ## Tiefpunkt noch nicht erreicht | |
| Die Krisenverordnung zielt auf weniger Rechte für Schutzsuchende, wenn in | |
| Krisenfällen ein „Massenzustrom“ zu verzeichnen ist – oder dieser „dro… | |
| Feststellen soll dies die EU-Kommission, nicht die Mitgliedstaaten selbst. | |
| Dann sollen verstärkte Grenzkontrollen durchgeführt werden, andere | |
| EU-Staaten sollen Schutzsuchende aus den betroffenen Ländern übernehmen | |
| müssen oder Geld zur „Bewältigung der Situation“ bereitstellen müssen. | |
| „Der Vorschlag macht noch mal deutlich, dass es den Staaten der EU heute | |
| vor allem um die Entrechtung von Schutzsuchenden geht“, sagt [2][der grüne | |
| EU-Abgeordnete Erik Marquardt]. Die jüngste Diskussion zu dem Thema im Rat | |
| sei „entlarvend“. Der „Tiefpunkt der europäischen Asylreform ist noch | |
| nicht erreicht“, heißt es [3][in einem offenen Brief von 55 NGOs] an die | |
| Bundesregierung. | |
| Die Verordnung droht „an den Außengrenzen den schon bestehenden | |
| Ausnahmezustand rechtlich zu zementieren“. Sie „verbiegt das Recht und | |
| ermöglicht es, das geltende Recht an den Außengrenzen zu brechen.“ | |
| Unterzeichnet haben unter anderem Ver.di, Amnesty und Brot für die Welt. | |
| Aktualisiert am 26.07.2023 um 15.40 Uhr. d.R. | |
| 26 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Verschaerfung-des-EU-Asylrechts/!5939224 | |
| [2] /EU-Abgeordneter-ueber-Asylrecht/!5941545 | |
| [3] /Aufruf-von-Menschenrechtsorganisationen/!5945575 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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