# taz.de -- Verschärfung des EU-Asylrechts: Bei Grünen und SPD regt sich Krit… | |
> Die Ampel will die Reform des EU-Asylrechts mittragen. Von Grünen- und | |
> SPD-Abgeordneten kommt Protest, auch an der Grünen-Basis regt sich | |
> Widerstand. | |
Bild: Grenzpolizisten an einem Betonzaun an der EU-Außengrenze zwischen der T�… | |
Berlin taz | Bei Grünen und SPD regt sich Protest gegen die Pläne der | |
Bundesregierung für die Reform des europäischen Asylrechts. 24 | |
Bundestagsabgeordnete und mehrere Landtagsabgeordnete von den beiden | |
Parteien haben in einem gemeinsamen Papier die Reformpläne kritisiert. Sie | |
schreiben: „Wir teilen die Sorge vieler Menschen, dass die Vorschläge für | |
ein neues Gemeinsames Europäisches Asylsystem das Recht auf Asyl | |
abschwächen könnten.“ | |
Kritik wird auch innerhalb der Grünen lauter. In nur wenigen Tagen haben | |
über 700 Mitglieder der Grünen einen Brief an [1][die eigene Spitze] | |
unterzeichnet. „Die Berichte über die Prioritäten der deutschen | |
Bundesregierung [haben uns] erschüttert“, heißt es darin. Und: „Wir | |
erwarten, dass ihr […] dazu beitragt, dass Populismus nicht in Gesetzesform | |
gegossen wird.“ Beide Schreiben liegen der taz vor. | |
Die EU-Innenminister beraten am Donnerstag in Luxemburg über die seit | |
Jahren strittige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Es | |
geht unter anderem um die Frage, ob es Vorprüfungen von Asylanträgen an den | |
EU-Außengrenzen geben soll. Die Ampel – inklusive der Grünen – hat sich | |
dafür offen gezeigt, will aber durchsetzen, dass Minderjährige unter 18 und | |
Familien mit Kindern diese Verfahren nicht durchlaufen müssen. | |
Entsprechend [2][hatten sich auch Außenministerin Annalena Baerbock und | |
Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) geäußert]. Baerbock sagte, | |
Grenzverfahren seien hochproblematisch, der EU-Kommissionsvorschlag sei | |
aber die einzige Chance, auf absehbare Zeit zu einem „geordneten und | |
humanen Verteilungsverfahren“ zu kommen. | |
## Forderung nach klarem Verteilmechanismus | |
Die Abgeordneten von SPD und Grünen wenden sich in ihrem Papier unter | |
anderem gegen die geplanten Verfahren an den EU-Außengrenzen. „Wir sehen | |
die flächendeckende Einführung von Grenzverfahren kritisch, da sie | |
haftähnliche Zustände befördern“, heißt es. Kritisiert wird auch die | |
drohende Ausweitung der sicheren Drittstaaten. Entscheidend für den Ausgang | |
eines Verfahrens seien dann nicht mehr die Ursachen für die Flucht, sondern | |
der Reiseweg. | |
Auch könne ein gemeinsames europäisches Asylsystem nur „mit einer guten und | |
verbindlichen Verteilung“ funktionieren. Einzelne Staaten könnten mit einer | |
hohen Zahl von Geflüchteten an die Aufnahmegrenze kommen, „nicht aber ein | |
ganzer Kontinent“. Deshalb müssten sich „möglichst viele Staaten | |
beteiligen“. Danach sieht es derzeit aber nicht aus, Ungarn und Polen sind | |
dagegen. | |
Initiiert hat das Papier die Organisation „Brand New Bundestag“, die sich | |
parteiübergreifend für eine „progressive, zukunftsorientierte Politik“ | |
einsetzt. Unterschrieben haben unter anderem die Bundestagsabgeordneten | |
Hakan Demir, Sebastian Roloff, Carmen Wegge und Ye-One Rhie von der SPD | |
sowie Kassem Taher Saleh, Canan Bayram, Awet Tesfaiesus und Lisa Badum von | |
den Grünen. | |
„Im Mittelpunkt der GEAS-Reform muss die Einhaltung der Rechte der | |
Geflüchteten stehen“, fordert SPD-Mann Hakan Demir. Deutschland müsse die | |
von vielen EU-Staaten angestrebte Aufweichung des Asylrechts verhindern und | |
das reguläre Asylverfahren der Normalfall bleiben – mit einer fairen und | |
ausgewogenen europäischen Verteilung. | |
## Druck von der Basis | |
„Viele Aspekte sind komplett unklar und hoch problematisch“, sagt der grüne | |
Bundestagsabgeordnete Kassem Taher Saleh. Der aktuelle Vorschlag werde auch | |
nichts an den vielen Toten im Mittelmeer und auf den Fluchtwegen ändern. | |
„Wir brauchen stattdessen sichere Fluchtrouten und eine staatliche | |
Seenotrettung.“ | |
Den Brief an die Grünen-Spitze hat Kassem Taher Saleh nicht unterschrieben. | |
Dieser soll vor allem Dingen Ausdruck der Sorge an der Basis sein, heißt | |
es. Unterzeichnet haben aber auch die Hamburger Justizsenatorin Anna | |
Gallina, die Fraktionsvorsitzende im thüringischen Landtag, Astrid | |
Rothe-Beinlich, und Timon Dzienus, Co-Vorsitzender der Grünen Jugend. „Die | |
Verhandlungsposition Deutschlands ist nicht, was sich die Ampel vorgenommen | |
hat“, sagte Dzienus der taz. „Statt Verschärfungen braucht es mehr | |
Unterstützung der Kommunen und der Länder an den EU-Außengrenzen.“ | |
„Ich könnte kein Lager an EU-Außengrenzen mitvertreten, das geht mit | |
grüner, menschenrechtsorientierter Flüchtlingspolitik nicht zusammen“, | |
kritisierte auch die Thüringerin Rothe-Beinlich im Gespräch mit der taz. Es | |
habe auch mit ihrer Ost-Erfahrung zu tun, dass sie grundsätzlich gegen | |
tödliche Grenzen aufbegehre. | |
„Auch große Teile der Bundestagsfraktion sind besorgt“, sagte die | |
niedersächsische Bundestagsabgeordente Karoline Otte der taz. Mitglieder | |
der Fraktion aber hätten den Brief nicht unterschrieben, weil er sich auch | |
an die eigene Fraktionsspitze richte. Sie selbst habe ihren Unmut in | |
internen Gesprächsrunden bereits kundgetan. „Wir brauchen einen echten | |
Solidaritätsmechanismus“, so Otte. „Man darf sich nicht rauskaufen können | |
und so die Grausamkeit der libyschen Küstenwache finanzieren.“ | |
## Nouripour und Haßelmann wiegeln ab | |
Der Brief ist an die Minister*innen Annalena Baerbock, Robert Habeck | |
und Lisa Paus sowie an die beiden Parteivorsitzenden und die beiden | |
Fraktionschefinnen gerichtet. „Die Ausweitung sicherer Drittstaaten, | |
schlechterer Rechtsschutz, verpflichtende Grenzverfahren in Haftlagern und | |
eine massive Verschärfung des gescheiterten Dublin-Systems sind nur einige | |
der Rechtsverschärfungen, die in der vorgeschlagenen Reform des Asylsystems | |
angelegt sind“, heißt es darin. | |
Mitgliedsstaaten würden teilweise zur Inhaftierung der Schutzsuchenden | |
verpflichtet und zusätzliche massive Möglichkeiten zu | |
Asylrechtsverschärfungen auf nationaler Ebene erhalten. Das gemeinsame Ziel | |
der Grünen sei ein anderes gewesen: „eine Reform, die geeignet ist, das | |
Grundrecht auf Asyl zu schützen, menschenunwürdige Bedingungen zu beenden | |
und für eine faire Verteilung zu sorgen“. Es sei schwer nachvollziehbar, | |
warum die deutsche Verhandlungsposition nicht annähernd den Inhalten des | |
Koalitionsvertrags entspreche. | |
„Der innerparteiliche Diskurs zeichnet uns als Partei aus“, meint | |
Grünen-Chef Omid Nouripour als Reaktion auf den Brief. „Fakt ist, dass wir | |
seit vielen Jahren ein dysfunktionales europäisches Asylsystem haben, das | |
zu unhaltbaren Zuständen an den Außengrenzen führt.“ Deshalb setze man sich | |
für eine europäische Reform ein, „aber nicht um jeden Preis“. Die Grünen, | |
so Nouripour, machten sich für einen verpflichtenden europäischen | |
Solidaritäts- und Verteilmechanismus stark. Vulnerable Gruppen müssen | |
ebenso geschützt werden wie Schwangere und [3][Familien mit Kindern] gemäß | |
UN-Kinderrechtskonvention von möglichen Grenzverfahren ausgenommen werden. | |
„Auch uns Grüne stellt diese Situation vor eine echte Herausforderung“, so | |
die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann, die in dem Brief ebenfalls | |
adressiert wird. „Wir wollen nach jahrelangem Stillstand, Rechtsverstößen | |
und teilweise menschenunwürdigen Zuständen endlich das Leid an den | |
Außengrenzen lindern und Schritte zu einer gemeinsamen europäischen Lösung | |
gehen.“ Gleichzeitig teile sie die Sorgen derer, die das Recht auf Asyl als | |
ein Grundrecht hochhalten. | |
6 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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