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# taz.de -- Carola Rackete über ihre EU-Kandidatur: „Wir alle haben Verantwo…
> Die Aktivistin Carola Rackete kandidiert bei der Europawahl 2024 für die
> Linke. Die Partei müsse wieder einen „Gebrauchswert“ bekommen für die
> Menschen, sagt sie.
Bild: „Der Bewegung fehlt die Verknüpfung zu einer starken Linken“, sagt d…
taz: Frau Rackete, [1][Sie kandidieren auf dem Ticket der Linkspartei für
die Europawahl 2024]. Warum wechseln Sie die Seiten, von der Bewegung in
die Politik?
Carola Rackete: In der Situation, in der wir hier in Deutschland sind,
fehlt der Bewegung auf der Straße die Verknüpfung zu einer starken
parlamentarischen linken Kraft. Zum Beispiel im Bereich Klimagerechtigkeit:
Historisch und global gesehen hat Deutschland die viertmeisten Emissionen
und damit eine besondere [2][Verantwortung für die Klimakrise]. Wir müssen
wirklich etwas tun. Und gleichzeitig haben wir dieses eklatante Versagen
der jetzigen Bundesregierung. Das ist Arbeitsverweigerung auf allen Ebenen,
besonders auch von den Grünen. Warum sie damit durchkommen, hat auch sehr
viel damit zu tun, dass es keine starke linke Opposition im Bundestag gibt.
Die aktuelle linke Fraktion dort macht leider oft keine gute Arbeit beim
Thema Klimagerechtigkeit. Das liegt nicht am Programm, das ist wirklich
stabil. Aber die guten Klimapolitiker*innen, die es in der Linken
gibt, sind dort kaum vertreten.
Sie zieht es ins EU-Parlament.
Ich denke, ich kann auf EU-Ebene mehr bewirken. Aber es ist wichtig, sich
auch dafür einzusetzen, dass die Richtung der Linken auch im Bundestag klar
vertreten wird. Dass sozial gerechte Klimamaßnahmen nicht mehr gegen andere
Ungerechtigkeiten oder gegen die Armut der Menschen ausgespielt werden. Das
würde auch die Bewegung stärken. In dem, was Bewegung alles tun kann, ist
die parlamentarische Kraft ein wichtiger Baustein. Natürlich müssen die
Bewegungsakteure aber auch wirklich stark auf der Straße bleiben.
Sie haben mal gesagt, Sie würden sich aus einem Verantwortungsgefühl heraus
politisch engagieren. Wie viel von diesem Gefühl steckt in Ihrer
Kandidatur?
Wir haben alle eine Teilverantwortung an dem, was gesellschaftlich
passiert. Anfangs war ich von der Kandidatur weniger überzeugt. Dann hatte
ich einige interessante Gespräche, gerade mit Leuten, die keinen
europäischen Pass haben, aber trotzdem von der EU-Politik betroffen sind.
Die haben gesagt: „Naja, du hast diesen Pass, das ist ein Privileg. Du
kannst kandidieren.“ Und das stimmt, das ist ein Privileg. Wenn wir zudem
sehen, wie stark rechte, teilweise faschistische Parteien in Europa gerade
sind, dann finde ich das total besorgniserregend.
Natürlich kann man sich auch Zivilgesellschaftlich gegen Rechts oder
antirassistisch engagieren. In Deutschland haben wir aber gerade eine ganz
spezifische Situation. Es besteht das Risiko, dass wir mit der Linken die
einzige antikapitalistische Partei, und auch die einzige Partei, die jetzt
gegen GEAS gestimmt hat, aus dem Bundestag verlieren könnten. Ich finde,
das wäre tatsächlich ein großes gesellschaftliches Problem. Auch deshalb
habe ich mich zur Kandidatur entschieden, als die Parteivorsitzenden auf
mich zukamen.
Einige Stimmen in der Linkspartei tun sich schwer mit einer [3][klaren
Haltung gegen den russischen Angriffskrieg]. Wie stehen Sie dazu?
Ich wünsche mir natürlich, dass die Partei eine ganz klare antiimperiale
Haltung einnimmt. Ich war nicht nur schon mehrfach in der Ukraine, sondern
auch in Georgien, wo Russland in den letzten 15 Jahren auch zweimal
einmarschiert ist und jedes Mal ein Stück vom Land behalten hat. Für mich
ist es vollkommen klar, dass eine linke Partei sich generell auf die Seite
der jeweils Unterdrückten stellen muss. Und dass wir nicht aus
irgendwelchen historischen Zusammenhängen Autokraten und Diktatoren
verteidigen dürfen, nur weil sie vielleicht eine linke Geschichte haben. Ob
das jetzt in China, in Weißrussland oder in Russland ist. Da müssen wir die
Position der Zivilgesellschaft einnehmen und die antiimperialistische
Perspektive als verbindendes Thema haben.
Eine andere Debatte, die die Linkspartei gerade spaltet, ist der [4][Umgang
mit Sahra Wagenknecht] und ihre Ankündigung, eine eigene Partei zu gründen.
Dass der Parteivorstand sich einstimmig dazu geäußert hat, dass sie ihr
Mandat zurückgeben soll, finde ich sehr gut. Und jetzt ist es wichtig, als
Bewegungsakteure zu überlegen, was wir beitragen können, um die Linkspartei
in eine neue Richtung zu bringen. Sodass sie wieder einen Gebrauchswert für
die Menschen auf der Straße bekommt – sowohl für Geringverdiener mit
deutschem Pass als auch für Migrant*innen. Und dass wir diese Frage
wirklich von unten, also letztlich als ökologische Klassenpolitik aufmachen
und dabei eine klare antirassistische Haltung haben.
Wie kann die Neuausrichtung der Linken gelingen?
Wir brauchen einerseits ein Verständnis dafür, wie fundamental die Probleme
der Partei sind, warum sie Wähler*innen und Unterstützer*innen
verloren hat – und einen Plan, wie es nun wieder vorwärts geht. Dazu
braucht es einen starken Veränderungswillen, also mehr als nur Worte. Es
ist immer einfach, zu sagen: „Wir machen jetzt einen Neustart.“ Aber ich
bin optimistisch, dass wir das zusammen hinbekommen.
Das heißt konkret?
Die Linke muss beide mitnehmen: sowohl die Leute, die sich schon lange in
der Partei engagieren, als auch diejenigen, die ein Interesse an einer
linken Partei haben, aber sich eher der linken Zivilgesellschaft zuordnen.
Ich glaube, nur wenn diese zusammenkommen, kann die Linke eine gute neue
Richtung und eine klare Haltung gewinnen.
Wie stellen Sie sich das vor?
Es braucht einen Beteiligungsprozess, der öffentlich und nicht nur nach
innen gerichtet ist. Dazu sollten auch Leute außerhalb der Partei
eingeladen sein, darüber zu diskutieren, wie die Partei wieder einen
Gebrauchswert erreichen kann und zu welchen, auch konfliktreichen, Themen
sie sich klar positionieren sollte.
Sie sagen, Ihr mögliches Mandat im EU-Parlament wäre ein „Bewegungsmandat�…
Planen Sie dafür auch einen öffentlichen Beteiligungsprozess?
Das erarbeiten wir gerade. Und das ist richtig spannend. Zwei Sachen
sollten wir dabei besonders im Gleichgewicht halten: Einerseits müssen wir
die Wähler*innen in Deutschland mitbedenken und repräsentieren. Auf der
anderen Seite sind es gerade bei der Klimakrise – und ich will in den
Umweltausschuss – hauptsächlich die Menschen im globalen Süden, die von der
EU-Politik betroffen sind. Für mich ist deshalb ganz klar, dass man deren
Anliegen stark nach vorne stellen und sich für sie einsetzen muss. Dabei
geht es unter anderem um Lieferketten, Landwirtschaft, Abkommen wie
Mercosur oder Fracking-Gas.
Mit welchen konkreten Bewegungsakteuren sind Sie verbunden?
Im Bereich Klimagerechtigkeit sind die Themen Fracking und LNG gerade
besonders heiß. Zum Beispiel in Vaca Muerta, in Argentinien, hatte ich
letztes Jahr die Möglichkeit, gute Kontakte zu knüpfen. Dort will
Deutschland jetzt unter anderem seine Handelsbeziehungen ausbauen. Ich
glaube, das sind wichtige Kämpfe, die sich auch mit ganz Europa verbinden.
Die Proteste gegen Gasterminals ziehen sich ja wirklich von Rügen bis nach
Italien. Auf der anderen Seite steht die Frage von sozial gerechter
Transformation. Auch dazu gibt es in Europa spannende Projekte, die zeigen,
wie es gehen kann. Zum Beispiel das #WirFahrenZusammen-Bündnis, das
versucht, den sozial gerechten Wandel zusammen mit Gewerkschaften und
Beschäftigten zu organisieren.
Sehen Sie ein mögliches Konfliktpotenzial zwischen einem eventuellen Mandat
und ihrer Verwurzelung in der Bewegung?
Wir müssen langfristig dafür sorgen, dass wir für Kritik auch erreichbar
bleiben und nicht irgendwann die Ohren davor verschließen. Transparenter
Austausch ist dafür der erste Schritt. Zum Beispiel müssen wir mit dem Team
auf den großen Zusammenkünften der Bewegung, wie dem System Change Camp
Anfang August in Hannover, persönlich vor Ort sein, wenn das von der
Bewegung gewünscht ist.
Was ließe sich mit einem Mandat in einer EU-Institution überhaupt
erreichen, was sich aus der Bewegung heraus nicht erreichen lässt?
Wir können den Bewegungen Ressourcen, Medienaufmerksamkeit sowie relevante
Informationen über Entscheidungsprozesse zur Verfügung stellen und
Bewusstsein für ihre Probleme schaffen. Das ist immerhin etwas. Aber
natürlich können wir auch nicht jede soziale Bewegung im Europaparlament
abbilden. Das hat auch mit den Kontexten zu tun, in denen wir aktiv sind.
Mein Team und ich kommen eher aus Klimagerechtigkeits- oder aus
Migrationsbewegungen. Insofern ist es cool, dass mit Gerhard Trabert auch
noch eine andere parteilose Person vorgeschlagen wurde. Inwiefern er sich
an soziale Projekte im Bereich Armut rückkoppeln wird, das kann ich für ihn
aber natürlich nicht sagen.
Für eine stärkere Sichtbarkeit anderer Bewegungsthemen im EU-Parlament –
und übrigens auch für die Veränderung der Linkspartei – bräuchte es aber
auch noch ganz, ganz viele andere Akteure. Zum Beispiel die
Krankenhausbewegung, Menschen von #IchBinArmutsbetroffen oder andere
antirassistische Bündnisse.
20 Jul 2023
## LINKS
[1] /Aktivistin-als-EU-Spitzenkandidatin/!5944965
[2] /Klimagespraeche-zwischen-USA-und-China/!5944926
[3] /Spaltung-der-Linken/!5935275
[4] /Krise-bei-der-Linkspartei/!5938538
## AUTOREN
Tobias Bachmann
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