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# taz.de -- Janine Wissler über Zukunft ihrer Partei: „Die Linke wird überl…
> Linken-Vorsitzende Janine Wissler möchte ihre Partei mehr für soziale
> Bewegungen öffnen – und AfD-Wähler:innen gewinnen. Wie stellt sie sich
> das vor?
Bild: Das Auftreten der Linken war zuletzt nicht optimal, sagt Janine Wissler
taz: Frau Wissler, Sie haben am Montag verkündet, dass Carola Rackete und
[1][Gerhard Trabert] für Die Linke in den Europawahlkampf ziehen. Die
Seenotretterin und der Sozialmediziner sind parteilos. Warum haben sie die
beiden vorgeschlagen?
Janine Wissler: Wir wollen uns noch stärker öffnen gegenüber sozialen
Bewegungen, Engagierten aus der Zivilgesellschaft und Gewerkschaften. Mit
Gerhard Trabert kandidiert der „Arzt der Armen“, der mit seinem Arztmobil
Obdachlose versorgt und in Krisen- und Kriegsgebieten auf der ganzen Welt
im Einsatz war. [2][Carola Rackete] will Klimagerechtigkeit und
Klassenpolitik miteinander verbinden. Wenn die Zeiten rauer werden, müssen
die fortschrittlichen Kräfte näher zusammenrücken. Es braucht einen neuen
linken Pol der Hoffnung. Deshalb freuen wir uns sehr, dass die beiden für
Die Linke zur Europawahl antreten wollen.
Ein positives Zeichen an die Bewegungslinke, eine Abfuhr an das
Wagenknecht-Lager. Der Parteivorstand hat mittlerweile mit Sahra
Wagenknecht [3][offiziell gebrochen]. Doch ihre Fans könnten mit Carola
Racketes Position zu Flucht und Asyl ein Problem haben. Wieso sollten diese
Leute trotzdem weiter Die Linke wählen?
Dieser Vorschlag ist eine Einladung und ein Angebot an alle, die sich eine
andere, solidarische EU wünschen. In der Linken sind wir uns völlig einig,
dass man nicht zulassen darf, dass immer mehr Menschen im Mittelmeer
ertrinken und Geflüchtete an den Außengrenzen inhaftiert werden. Der
Vorschlag spiegelt die Vielfalt der Linken wider. Neben Rackete und Trabert
kandidieren wollen auch Özlem Demirel, eine aktive Gewerkschafterin und
Friedensaktivistin sowie der Parteivorsitzende Martin Schirdewan, der sich
für Umverteilung und gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West
einsetzt.
Umverteilung, das müsste vielen Leuten gefallen. Vor allem jetzt, wo die
Preise steigen. Wieso profitiert Ihre Partei davon nicht?
Das hat mehrere Gründe. Das Auftreten der Linken war in den letzten Monaten
nicht gerade optimal. Das müssen wir selbstkritisch feststellen und
verändern. Viele Menschen hatten den Eindruck, wir sind mehr mit uns selbst
beschäftigt als mit ihren realen Problemen.
Wann sind Sie denn mit der Selbstbeschäftigung fertig?
Mit dem Beschluss, den der Parteivorstand getroffen hat [gemeint ist der
einstimmige Beschluss vom 10. Juni, mit dem Sahra Wagenknecht zur Rückgabe
ihrer Mandate aufgefordert wird; d. Red.], haben wir eine klare Linie
gezogen. Auf der Grundlage wollen wir wieder vorankommen und die Lähmung
überwinden, die uns Mitglieder, aber auch Vertrauen von Bündnispartnern
gekostet hat. Aber dass man das nicht in drei oder vier Wochen schafft, ist
auch klar. Das braucht einen langen Atem.
Sie sagten, der fehlende Zuspruch für Die Linke habe mehrere Gründe. Was
sind denn die anderen?
Ich denke, ein zentraler Punkt ist schon, dass die Leute uns im Moment
nicht zutrauen, dass wir wirklich für Veränderung kämpfen.
Wie sieht die Strategie für die Restlinke jetzt eigentlich aus? Die AfD und
Wagenknecht haben ja einen klaren Plan.
Also wir sind schon die deutliche Mehrheit und nicht der „Rest“ [lacht].
Vielleicht im Hinblick auf die Mitglieder. Aber in den Wahlvorhersagen
dümpelt Die Linke bei 5 Prozent. Wie wollen Sie aus dieser Krise
herauskommen und bei der Bundestagswahl 2025 über die 5-Prozent-Hürde
klettern?
Dafür haben wir den „Plan 25“ gemacht, in dem wir festgehalten haben, was
wir tun müssen, damit Die Linke in zwei Jahren gestärkt wieder in den
Bundestag einzieht. Der erste Schritt ist, innerparteiliche Streitigkeiten
zu klären und zu beenden. Der zweite ist, dass wir unser Profil schärfen
wollen, insbesondere bei der sozialen Gerechtigkeit. Genau, es gibt eine
große Unzufriedenheit mit der Ampel und gerade deshalb halte ich eine
soziale Alternative zur Ampel für dringend notwendig. Gerade in den
sozialen Fragen müssen wir Druck auf die Bundesregierung machen.
Und was ist mit dem Klima?
Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das Leben vieler Menschen und führt
zu großen sozialen und gesellschaftlichen Zerwürfnissen. Im Globalen Süden
aber auch hierzulande. Hungersnöte, Dürren, Hitzetote in den Städten,
Überschwemmungen: Der Planet brennt und das Zeitfenster, den Klimawandel
auf unter 2 Grad zu begrenzen, schließt sich. Eine Linke auf der Höhe der
Zeit darf nicht die Hüterin der Öl- und Gasheizungen sein, sondern muss
deutlich machen: Die Energiewende muss durchgesetzt werden. Und zwar jetzt
und auf sozial gerechte Weise. Denn anders als es die rechte Opposition
behauptet, geht die Ampel die Energiewende ja nicht zu schnell an, im
Gegenteil: Sie tut das viel zu langsam und wälzt die Kosten auf die ab, die
ohnehin wenig haben. Alle, die durchs Land fahren, sehen, dass jede Wiese
verbrannt ist und überall Wassermangel herrscht, dass Wälder brennen.
Die Leute, die das stört, wählen ja oft immer noch die Grünen.
Das stimmt. Aber von den Grünen gibt es ja gerade auch Ablöseprozesse. Weil
viele enttäuscht sind: wegen Lützerath, wegen der Klimapolitik, auch jetzt
wegen der Asylpolitik. Die Grünen verlieren ja in den Umfragen.
Stimmt, aber das führt nicht dazu, dass die Linken dazugewinnen.
Daran arbeiten wir jetzt. Wir wollen unter anderem eine Mitgliederkampagne
machen, ausgetretene Mitglieder zurückgewinnen und uns öffnen gegenüber
sozialen Bewegungen. Wir haben eine gute Programmatik und tolle aktive
Mitglieder. Wir brauchen jetzt so etwas wie einen Neustart für Die Linke.
Und was tut die Linke, um den aktuellen Höhenflug der AfD zu stoppen?
Wir zeigen klare Kante gegen rechts und gegen Rassismus. Es wird ja oft
diskutiert, ob wir AfD-Wähler zurückgewinnen wollen oder nicht. Das ist die
falsche Frage. Die Frage ist doch: Wie gewinnt man Wähler? Und man gewinnt
sie doch nicht, indem man selbst rechte Narrative bedient oder rechte
Forderungen übernimmt, so wie die Ampelregierung es gerade mit der
Asylrechtsreform tut. Das stärkt die AfD bloß.
Was hilft dann?
Wir müssen deutlich machen: Nicht die Geflüchteten sind dafür
verantwortlich, dass es zu wenig Wohnraum gibt, sondern ein Grund ist, dass
alle 12 Minuten eine Sozialwohnung aus der Bindung fällt. Es sind nicht die
Geflüchteten dafür verantwortlich, dass viele Menschen in Armut leben,
sondern das ist Folge der Hartz-Reformen, von Niedriglöhnen und
Rentenkürzungen. Nicht die Migration ist die Mutter aller Probleme, sondern
die soziale Ungleichheit und die Klassengesellschaft.
In anderen europäischen Ländern konnten linke Parteien mehr Wirkung
entfalten, zum Beispiel La France insoumise in Frankreich, Podemos in
Spanien oder die KPÖ in Österreich. Was kann die deutsche Linkspartei sich
da abgucken?
Wir hatten gerade einen spannenden Austausch mit der KPÖ. Eine Sache, die
wir uns da abgucken können, ist: praktische Solidarität. Das wollen wir
noch stärker machen, also zum Beispiel Sozialberatung und die finanzielle
Unterstützung sozialer Projekte in der Nachbarschaft. Ein gutes Beispiel
dafür fand ich, während Homeschooling in der Coronazeit zu sagen: „Ihr
müsst etwas kopieren? Kommt doch einfach in unser Büro und macht das hier!“
Zum anderen können wir noch einiges darüber lernen, wie man sich gegenüber
Kräften öffnen kann, die bisher nicht in der Partei sind, also lokale
Initiativen oder soziale Bewegungen.
Das ist Carola Rackete auch wichtig. Sie will keine Einzelkämpferin sein.
Was tut die Linke denn dafür, um innerhalb der Partei neues Personal
aufzubauen, das bestenfalls genauso beliebt wird wie Sahra Wagenknecht?
Es ist klar, dass sich Politik auch immer über Personen überträgt.
Allerdings sollten sich linke Abgeordnete nicht ständig an der eigenen
Partei abarbeiten, sondern an den gesellschaftlichen Verhältnissen und am
politischen Gegner, und die demokratisch beschlossenen Positionen der
Partei vertreten.
Was sind die konkreten Maßnahmen, um Nachwuchs zu begeistern und zu
fördern?
Ja, zum Beispiel Mitgliederseminare, politische Bildung, eine gute
Öffentlichkeitsarbeit. Aber natürlich ist klar, dass es eine Weile dauert,
bis Menschen sich eine bundesweite Bekanntheit aufgebaut haben. Es stehen
wichtige Landtagswahlen in Bayern und Hessen an, wo wir auch neue Gesichter
bekannt machen wollen. Wir haben auch schon viele großartige Leute, die
lokal verankert und bekannt sind, beispielsweise in Rostock, Köthen und im
Vogtlandkreis, dort haben die Kandidierenden der Linken die
Bürgermeisterwahl gewonnen. Auch in Konstanz, Mainz und Kassel haben wir
sehr gut abgeschnitten.
Wie schätzen Sie denn die Überlebenschancen der Linken ohne Sahra
Wagenknecht ein? Können Sie das in Prozent ausdrücken?
Die Linke wird überleben. Da bin ich mir sehr sicher. Aber unser Ziel ist
ja nicht, einfach nur zu überleben, sondern erfolgreich zu sein, etwas zu
bewegen und die Gesellschaft positiv zu verändern. Wir wollen der
erstarkenden Rechten etwas entgegensetzen, linke Ideen voranbringen und die
herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnisse infrage stellen.
18 Jul 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Lotte Laloire
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