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# taz.de -- Debütalbum von Kokoroko: Fusion aus Jazz und Afrobeat
> Das Londoner Jazzoktett Kokoroko veröffentlicht mit „Could We Be More“
> sein Debütalbum – tolle Afrobeatjazzfusion in zeitgemäßem Rahmen.
Bild: Die Musik der achtköpfigen Londoner Band Kokoroko macht glücklich, nich…
Am Anfang stand Mangel. Das mag man kaum glauben, weil die Musik der
achtköpfigen Londoner Band Kokoroko so reichhaltig klingt, was wiederum
sehr glücklich macht. Jedenfalls traf die Trompeterin Sheila Maurice-Grey
alias Ms Maurice 2014 bei einem Workshop in Kenia auf den Perkussionisten
Onome Edgeworth – im Gespräch tauschten sich die beiden darüber aus, was so
geht im Nachtleben ihrer britischen Heimatstadt.
Und, sie entdeckten darüber hinaus ein gemeinsames Faible für Afrobeat, der
Fusion aus westafrikanischem Highlife, US-Jazz und Funk, wie sie in den
später 1960er Jahren in der nigerianischen Hauptstadt Lagos entstanden war
und sich in den letzten drei Jahrzehnten [1][an vielen Orten innerhalb und
außerhalb Westafrikas weiterentwickelt] hatte.
Schnell waren sie sich einig, dass diese Musik auf Londoner Clubbühnen
fehlt – obwohl es in der britischen Hauptstadt eine große westafrikanische
Community gibt. Um zu Afrobeat zu tanzen, musste man sich seinerzeit noch
in altbackene Kontexte begeben. „Ein älteres, meist weißes Publikum und
drei Afrikaner:innen auf der Bühne,“ so beschreibt die heute 31-jährige
Maurice-Grey das Szenario, das ihr früher öfters begegnete.
## Kokoroko heißt „Sei stark“
„Wer, wenn nicht wir“, dachten sie und Edgeworth – und gründeten Kokorok…
In der Sprache der im nigerianischen Delta lebenden Urhobo bedeutet der
Bandname „Sei stark“; ein guter Teil der acht Musiker:innen hat
westafrikanische Wurzeln.
Dass es dann noch acht Jahre dauern sollte, bis nun mit „Could We Be More“
das Debütalbum von Kokoroko erscheint, hat Gründe – nicht nur
pandemiebedingte. Anfangs verstanden sie sich vor allem als Tribute-Band,
die einem jungen Publikum Musik der Stars des Genres – Fela Kuti, Ebo
Taylor, Pat Thomas – näherbringt.
Erst mit der Zeit, so erzählt es Maurice-Grey der taz, entstand das
Bedürfnis, eigene Songs zu komponieren. Mittlerweile bezeichnet sie, die
auch bei der überwiegend weiblichen Jazz-Supergroup Nérija mitmischte und
neben der Musik als Bildende Künstlerin arbeitet, Kokoroko als ihr „Baby“.
„Uns wurde klar, dass das, was wir machen, sich nicht darin erschöpfen
kann, den Genregrößen nachzueifern. Als junge britische Musiker:innen
müssen wir uns fragen, welche eigene Geschichte wir mit der Musik
erzählen.“
Und diese Geschichte hält viele Facetten bereit. Kokorokos Fusion aus Jazz
und Afrobeat kommt vielstimmig daher. Es steckt Funk, Soul und viel
Londoner Gegenwart darin: flirrende, leicht psychedelische wirkende
Highlife-Gitarren; Bläser, die nicht niedelig oder kantig wirken, sondern
warm und weich klingen.
## Leichtigkeit im Dialog
Eine urban anmutende Polyrhythmik, durch die ein entspannter Groove führt.
Das alles eingebettet in Musik, die eher durch komplexe Klang- und
Rhythmustexturen als durch eingängige Hooklines besticht. Dazu ein
ständiges Pingpong zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Die Musik von
Kokoroko nimmt diesen Dialog mit Leichtigkeit auf.
Was „Could We Be More“ allerdings weitgehend fehlt: ein Andocken an die
meditative Ästhetik ihres Riesenhits „Abusey Junction“ – es wirkt fast s…
als hätten Kokoroko es vermieden, für ihr Debütalbum den Crossover-Appeal
ihres sweeten, eingängigen, von einer plänkelnden Gitarre und einer
sehnsuchtsvollen Trompete vorangetriebenen Hits zu wiederholen.
Zu hören war der Song erstmals auf dem Sampler „We Out Here“ (2018),
seither wurde er millionenfach gestreamt. Mit dieser Compilation stellte
sich seinerzeit die junge, vitale Londoner Jazzszene vor, die in der
Hauptstadt entstanden war. Kuratiert hatte das wegweisende Album mit
Künstler:innen wie Nubya Garcia, Ezra Collective, Moses Boyd oder dem
Klarinettisten Shabaka Hutchings (Bandleader der Sons of Kemet) Labelmacher
Gilles Peterson, besser bekannt als DJ und BBC-Radiomoderator.
## Erfolg mit „We Out Here“
Für das noch weitgehend unbekannte Oktett hatte „We Out Here“ zur Folge,
dass Kokoroko über Nacht vielen Menschen ein Begriff waren – auch außerhalb
von Jazzzirkeln. Und dass alle Welt mehr von ihnen hören wollte. Damit
haben sie sich Zeit gelassen. Nun ist das ausgesprochen abwechslungsreiche
Ergebnis endlich da, mit dem sie zugleich klarstellen: Erfolg suchen sie
nicht im Fahrwasser ihres Überraschungshits.
Dass Kokoroko für ein Publikum spielen, das anders aussieht als die
Menschen auf der Bühne – darum muss die Band sich keine Sorgen mehr machen.
Zumindest nicht, wenn sie auf ihrem Südlondoner Home Turf spielen, wie etwa
an einem verregneten Abend vor einigen Wochen, an dem sie ihr Album in
einem Club im afrokaribisch geprägten Londoner Stadtteil Brixton
vorstellen.
Im Interview erzählt Maurice-Grey, das lange vorab ausverkaufte Konzert sei
ein Heimspiel gewesen. Und für sie persönlich ein besonderer Abend: Um die
Ecke ist sie zur Schule gegangen, in der Kirche hatte sie ihre ersten
Auftritte mit ihrer Trompete.
Auf jeden Fall liegt Anspannung in der Luft, die nach wenigen Augenblicken
in Euphorie umschlägt. Das Album ist zu diesem Zeitpunkt zwar in trockenen
Tüchern, das Publikum kennt, wenn überhaupt, jedoch nur die Vorabsingles
„We Give Thanks“ und „Something’s Going On“ – Letzterer ein wilder …
durch Afrobeat, Jazz, Soul und Psychedelic-Funk.
## Konzentration und Improvisation
Eine Mischung, die trotz der stilistischen Bandbreite des Songs während
seiner fünf Minuten kompakt präsentiert wird. Teilweise klingt die Musik
tight, geradezu auf Hochglanz poliert, dann wieder fasert sie aus. Dieses
Oszillieren zwischen Konzentration und Improvisation umreißt die Pole,
zwischen denen sich Kokoroko bewegen.
Das Londoner Publikum lässt sich bereitwillig darauf ein, die neuen Songs
werden frenetisch gefeiert, ebenso die Coverversionen, von denen etliche
auf der Setliste stehen. Früher testeten Kokoroko neues Material meist
vorab auf der Bühne.
Dass das bei den Songs des Debüts pandemiebedingt kaum möglich war, hatte
durchaus Vorteile, erklärt Maurice-Grey: „Wir tun uns leichter, wenn wir
uns sich nicht gleich beim Komponieren überlegen, ob Menschen dazu tanzen,
sondern uns dem Charakter der Musik frei von Erwartungen nähern. Unsere
Attitüde war: Das ist jetzt unser Sound. Letztlich schafft er die Grundlage
für die Zukunft. Von hier aus können wir uns weiterentwickeln.“
## Der Geist Fela Kutis
Am deutlichsten [2][zu spüren ist der Geist Fela Kutis] in „Age of Ascent“,
einem mäandernden Afrobeat-Track. „Ewa Inu“ hat dagegen ein bittersüße
Anmutung und beim Auftakt „Tojo“ sorgt die Bläsersektion für dynamische
Funkiness. Die besteht bei Kokoroko aus drei Frauen, die auf der Bühnenshow
viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Auch sporadische Gesangparts und
Tanzeinlagen werden von den dreien getragen; neben Maurice-Grey sind es die
Saxofonistin Cassie Kinoshi und Richie Seivwright an der Posaune.
Die verschiedenen Elemente sind verwebt zu einem ultraentspannenden, warmen
Klangteppich. Live ergibt diese Mixtur Sinn, „Could We Be More“ hätten ein
paar Widerhaken vielleicht gutgetan. So oder so: Hörer:innen werden es
der tollen Musik danken, wenn sie diese nicht als akustische Tapete
begreifen – und sich stattdessen auf die Details einlassen, die unter der
glatten Oberfläche stecken.
13 Aug 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Stephanie Grimm
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